Kreative Artikel zum Thema Nähen

Herausforderung Maßanzug

Ich habe mir vor einigen Monaten ein großes Projekt vorgenommen: Ich habe beschlossen, meinen ersten Maßanzug komplett ab der Schnitterstellung  zu fertigen.

An sich ist das meine tägliche Arbeit: Schnitte für Kleidung erstellen und diese dann zu nähen. Dass ein Maßanzug die Königsdisziplin der Schneiderei ist, wusste ich bereits vorher und so hat es mich nicht verwundert, dass ich Schritt für Schritt vor diverse Probleme gestellt wurde.

Schritt 1: Das Material

Natürlich habe ich den Anzug nicht für mich selbst gemacht. Hier muss auf die Wünsche des Kunden Rücksicht genommen werden. In meinem Fall durfte sich meine bessere Hälfte über einen Maßanzug freuen.

Glücklicherweise waren wir uns über die Farbe sofort einig. Ein kräftiges blau, nicht zu dunkel aber auch nicht zu knallig. So glücklich war ich über diese Wahl nach wochenlanger Suche dann aber doch nicht mehr. Tatsache ist: Schurwolle ist für einen Anzug das am angenehmsten zu verarbeitende und gleichzeitig aber auch optisch und für den Träger ansprechendste Material. Unglaublich, aber ich habe weder nach mehrmals stundelanger Suche im Internet, noch in diversen Stoffläden den passenden Stoff in der richtigen Farbe gefunden. Grau, Schwarz oder dunkelstes Dunkelblau wären kein Problem gewesen. Aber da ich mir dieses spezielle Blau in den Kopf gesetzt hatte, musste ich da durch. Schließlich haben Firmen wie „Boss“ o.a. den Stoff ja auch irgendwoher 😉 Ein Stoffladen hätte sogar einen passenden Stoff für mich bestellen können, der hätte aber 150€/lfm gekostet und das liegt dann doch etwas über meinem Budget. Also ging die Suche weiter. Nachdem ich den Besuch  auf dem Stoffmarkt in 100km Entfernung, mit einem Tagesausflug verbinden konnte, habe ich letztendlich die perfekte Farbe gefunden. Bei der Stoffart allerdings musste ich einen Kompromiss eingehen und stand nun vor der Aufgabe, einen Anzug aus relativ unflexiblem Baumwollstoff (100% CO) herzustellen.

Schritt 2: Die Schnitterstellung

Das Material war gekauft, das Maß genommen. Ein Vorläufer muss genäht werden. Die erste Anprobe mit dem Anzug aus Nesselstoff war schnell erledigt. Der Grundschnitt wird angepasst. Weiter geht’s mit der Schnitterstellung für den endgültigen Anzug. Ich habe Bücher, Videotutorials und Internetseiten gewälzt, bis ich mich endlich für die „Machart“ des Anzugs entscheiden konnte.

Möchte ich den Anzug komplett traditionell fertigen? Dann werde ich viiiiel Zeit damit verbringen Leinen- und Roßhaareinlagen per Hand miteinander und schließlich mit dem Oberstoff zu verbinden.

Wähle ich eine industrielle Verarbeitung, wird das Vorderteil ganz einfach mit einer Klebeeinlage fixiert. Geht schnell, aber dabei habe ich erstens nichts gelernt und zweitens ist die Passform weniger gut zu beeinflussen.

Bleibt noch die semitraditionelle Verarbeitung, die die Handarbeit mit der schnellen industriellen Variante kombiniert.

Ich habe mich für eine Mischung aus traditioneller und semitraditioneller Variante entschieden. Da der Baumwollstoff sowohl eine Klebeeinlage als auch die feinen Stiche zum Anbringen des Placks deutlicher abzeichnet als ein Wollstoff, schien mir eine weitere Mischvariante sinnvoll. Zugegeben habe ich wirklich lange gebraucht, bis ich endlich verstanden habe, wie das Rosshaar denn nun letztendlich an welchen Stellen mit welchen Stichen am Sakko befestigt wird. Große Hilfe hat mir hier ein Nähbuch geleistet, das ich in Indien von der Mutter eines Freundes geschenkt bekommen habe.

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Nun habe ich mich endlich an die Schnitterstellung gewagt. Die Hose war nicht der Rede wert. Doch das Sakko hat einiges an Zeit eingenommen. Am Ende hatte ich alleine für das Sakko über 30 Schnittteile erstellt.

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Schritt 3: Das Nähen

Zum Glück habe ich beim Nähen mit der Hose angefangen. Die ist so gut geworden, dass ich für das Sakko hochmotiviert war. Ich glaube andersrum wäre es mir schwerer gefallen 😉

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Für das Sakko habe ich ganz einfach erst einmal angefangen, alle Teile, soweit möglich, miteinander zu verbinden. Die Ärmel haben einen unechten Schlitz im Saum bekommen. Das Rückteil wurde mit offenen Seitenschlitzen versehen. Zum Glück hatte ich meine alten Unterrichtsmaterialien zu diesen Verarbeitungsweisen noch, sonst hätte es wohl noch länger als ohnehin schon gedauert 😉

Schließlich habe ich die nächste Anprobe einberufen, die Ärmel provisorisch angesteckt und auch die Roßhaareinlage schon mit eingeheftet, um den Fall des Revers zu  prüfen.

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Bis zur dritten Anprobe habe ich die Leistentaschen im Oberstoff und die Paspeltasche im Innenfutter eingearbeitet.
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Schritt 4: Die Roßhaareinlage pikieren

Jetzt konnte ich mich nicht mehr lange vor dem Pikieren der Roßhaareinlage drücken. Das Vorderteil bestand nun aus dem Oberstoff, der Roßhaareinlage als Zwischenschicht und dem Innenfutter verbunden mit einem klebefixierten Beleg.

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Den Kragen habe ich mit einem Schurwollstoff unterlegt, an welchen sich die Einlage gut pikieren lies.

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Die Passform wird an der Schneiderpuppe geprüft und mit dem Dampfbügeleisen dressiert.

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Auch ans Revers angelegt macht er eine gute Figur.

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Schritt 5: Die Ärmel einnähen

Die letzte große Schwierigkeit bestand darin, die Ärmel sauber ins Armloch einzunähen. Hier wäre ein flexibler Wollstoff durchaus einfacher zu verarbeiten gewesen. Aber den hatte ich nunmal nicht. Versuch Nr. 1 war sehr faltig und wellig. Letztendlich hat es mir geholfen, die Armkugel im Oberstoff zu raffen und dann in das Armloch einzunähen. Doch auch die Verarbeitung von Ärmelfisch und Schulterpolster muss geübt sein. Es ist schon eine Weile her, seit ich das das letzte Mal gemacht habe, so dass ich auch hier diverse Internetseiten und alte Schulunterlagen gewälzt habe. Die Ärmelfische habe ich übrigens einfach selbst aus Wattevlies zugeschnitten. Mit viel Geduld hat auch das Ärmeleinnähen geklappt.

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Die übrigen Nähte schließen etc. war nun kein Problem mehr. Das Ergebnis finde ich durchaus sehenswert.

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Passend zum roten Innenfutter habe ich mir an der Aussenseite ein paar Details erlaubt.
Die Brusttasche mit roten Absteppungen.

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Die Knöpfe mit rotem Garn angenäht.

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Das rote Knopfloch am Ärmel.

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Das Revers habe ich mit großen Stichen abgesteppt.

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Im Rückteil finden sich offene Seitenschlitze.

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Das rot-blau changierende Innenfutter mit der Paspeltasche.

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Und nochmal das komplette Werk.

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Fazit: Es könnte tatsächlich einen nächsten Anzug geben. Diesen dann aber mit flexiblerem Material. Idealerweise eben Schurwolle. Für ein Erstlingswerk bin ich wirklich zufrieden. Wer sich ebenfalls an einem Anzug probieren möchte, sollte auf jeden Fall viel Geduld und Zeit mitbringen.

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