Hallo Ihr Lieben,
Needle painting – Sticken wie gemalt, das beschäftigt mich schon ewig. Kann ich doch so beide Hobbies perfekt miteinander verbinden. Bevor es an die Umsetzung in der BERNINA Sticksoftware V6 geht, möchte ich zuvor zwei Ausflüge machen. Zum Einen in die Malerei und zum Anderen in die sehr alte Handsticktechnik „Needle painting” bzw. „Long- and short-stitch embroidery“. Beide Themen sind für meine Technik elementar, um mit Nadel und Faden zu malen.
1. Fangen für zunächst mit der Malerei an.
Wir sehen unsere Welt dreidimensional. Die Dreidimensionalität eines Objektes entsteht durch unsere Wahrnehmung von Licht und Schatten. Ein Beispiel: Wir zeichnen einen Kreis und füllen die Fläche mit einer Farbe. Es bleibt eine gefüllte Fläche in Kreisform. Wir zeichnen noch einen Kreis, setzen eine Lichtquelle, fangen an Licht und Schatten zu zeichnen. Wir nehmen eine Kugel wahr. Wie entsteht diese Wirkung? Durch weiche Verläufe von hell nach dunkel. Durch das richtige Setzen von Licht und Schatten. Obwohl wir immer noch im sw-Modus arbeiten, wird die Kugel für uns plastisch und realistischer. Wir können uns etwas vorstellen.
Mal ganz in Kurzform gesprochen: wenn wir etwas realistischer darstellen möchten, müssen wir Licht und Schatten malen. Je detaillierter und präziser wir das tun, desto realistischer die Wirkung. Dabei spielt der Einsatz von Farbe natürlich eine wichtige Rolle.
Jetzt haben wir nur ein Problem: wir wollen ja ein maschinengesticktes Motiv in Needle painting-Optik. Der Maler hat die Möglichkeit, mit dem Pinsel die Farben zu mischen, um weiche Übergänge zu schaffen. Je dezidierter er das tut, um so realistischer wird der Eindruck. Er kann Feinheiten malen und Materialien darstellen. Das kann ich mit Stickgarn nicht tun. Das Garn an sich kann ich nicht mischen. Wenn ich mit meiner Nähmaschine sticke, muss ich in Flächen oder Linien denken. Multicolorgarn hilft mir da auch nicht weiter, da das Ergebnis nicht kontrollierbar ist. Also was tun?
2. Wir machen einen Ausflug in die sehr alte Handsticktechnik „Needle painting“ bzw. „Long- and short-stitch embroidery“.
Hier finden wir die Antwort auf unser Problem. Vielleicht hat schon jemand nach Trish Burr oder Needle painting gegoogelt. Sicher seit Ihr von den Bildern genauso begeistert, wie ich – Stickereien wie Ölbilder. Die Farbtiefe, die naturgetreue Darstellung ist einfach unglaublich. Man sieht erst beim zweiten Hinsehen, das ist ja gestickt! Die Grundtechnik an sich ist eigentlich einfach. Die Umsetzung natürlich nicht ganz so. Die Handstickerinnen unter Euch mögen mich bitte korrigieren, wenn ich falsch liege. Da ich keine Handstickerin bin und ich die Begriffe auf deutsch nicht genau gefunden habe. Im Prinzip werden kurze und lange „Plattstiche” aneinander gesetzt. Durch den Einsatz von kurzen und langen Stichen, habe ich die Möglichkeit Farben optisch zu mischen. Hier eine Zeichnung, um das zu verdeutlichen.
In der ersten Reihe sticke ich mit einer hellen Farbe (ich bleibe mal bei grau) eine Reihe mit kurzen und langen Stichen. In der zweiten Reihe setze ich mit einem dunkleren grau gleich lange Stiche. Das mache ich in den folgenden Reihen genauso, nur das ich jeweils einen Grauton dunkler werde. Es entsteht optisch ein Verlauf. Ihr könnt Euch vorstellen, wenn ich das mit einem sehr feinen Garn tue, wird der Verlauf sehr fein. Ich erziele also ungefähr den gleichen Effekt, wie die impressionistischen Maler. Sie haben kurze und lange Pinselstriche oder Punkte auf Leinwand aufgebracht und die Farben optisch über die Distanz im Auge gemischt. Ich male also mit Stickgarn und Nadel!
Es sind nur zwei Dinge absolut wichtig und unbedingt zu beachten:
1. Die richtige Farbwahl. Die Farbtöne zueinander müssen im richtigen Kontrast stehen. Ist der Kontrast zwischen Farbe A und B, z.B. in der ersten und zweiten Reihe, zu gering, entsteht optisch eine große Fläche. Ist der Kontrast zu groß, entsteht ein Bruch – siehe Bild.
2. Ich brauche den Versatz der einzelnen Stiche zueinander, damit sich die Farben weich mischen. Sonst habe ich nur zwei Linien.
Ein Tipp: Ob etwas gut abgestuft ist, seht Ihr besser, wenn Ihr es aus der Entfernung betrachtet und wenn Ihr die Augen etwas zukneift.
Nun stellt sich die Frage, wie man die Formen modelliert. Auch hier gibt mir die Handsticktechnik eine Antwort. Ich sticke in Winkeln. Auch hier wieder eine Zeichnung zur Verdeutlichung.
Beim Needle painting male ich mir meine Form auf meinen Stoff. Ich habe eine blütenblattähnliche Form. Diese Blüte hat in der Mitte einen Stempel. Ich würde also von Außen zur Mitte sticken und der Form folgen. Da sich mein Blatt in der Mitte verjüngt, habe ich in der Mitte weniger Stiche. Um mein Blatt realistisch zu gestalten, setze ich Hilfswinkel und sticke entlang dieser Winkel. Sticke ich einfach gerade runter, sehe das ziemlich unrealistisch aus.
Die Umsetzung in der BERNINA Sticksoftware V6
Jetzt kommen wir zum eigentlichen Kern der Sache. Wie mache ich das nun in der V6? Daran habe ich lange getüftelt. Es gibt nun einmal nicht die Funktion Plattstiche als Füllung. Jedenfalls nicht so, wie ich es brauche. Und einzelne Konturen setzen, funktioniert auch nicht. Ich habe diverse Füllungen ausprobiert und war wenig begeistert. Also musste ich ein wenig um die Ecke denken. In der V6 brauche ich für meine Technik das Werkzeug „Blockdigitalisierer”, den Füllstich: „Satinstich” und ganz wichtig „Objekteigenschaften – Randstrukturierung” und “Stickdichte”. Mit diesen Funktionen bekomme ich eine annähernd ähnliche Optik, wie beim „Needle painting”. Und das sind alles Werkzeuge, die Ihr bereits gut kennt.
Fangen wir also an:
Wir wählen das Werkzeug “Blockdigitalisierer” aus und digitalisieren unsere erste Stickreihe. Ich habe zur Verdeutlichung das Blatt genommen.
Wir setzen Kurven- bzw. Eckpunkte und folgen den Hilfslinien. Kommt Euch das bekannt vor? Richtig meine ominösen Stichwinkel. Die habe ich mir hier abgeschaut und als Idee für meine Satinkontur übernommen. Dann öffne ich meine Objekteigenschaften und fülle meine Fläche mit einem Satinstich, Spezialstich, Stickdichte manuell 0.60.
Gehe auf Effekte – Randstrukturierung und lasse meine Fläche in eine Richtung ausfransen. Zuvor schalte ich noch (Wichtig!) die Unterlagstiche aus!
Jetzt wähle ich eine zweite Stickfarbe aus und digitalisiere mit dem Blockdigitalisierer meine zweite Stickreihe. Das mache ich in der gleichen Weise, wie bei der Handsticktechnik. Ich fülle wieder mit Satinstich, Spezialstich, Stickdichte 0.60 und wähle unter Effekte meine Randstrukturierung aus. Nur das ich dieses Mal in beide Richtungen ausfransen lasse.
Ich füge Reihe um Reihe ein, bis ich den Rand meiner Form erreicht habe. In der letzten Reihe lasse ich wieder nur in eine Richtung ausfransen.
Voila, wir haben einen Verlauf. Wir können jetzt natürlich noch mit den Farben spielen und die Abstufungen fein justieren, aber wir müssen uns nachher eh auf die richtige Auswahl des Stickgarnes konzentrieren und die perfekte Abstufung finden.
Achtet bitte darauf: über den Grad des Ausfransens bestimme ich die optische Vermischung der Farben. Die einzelnen Stufen sollten sich schön vermischen. Die Flächen dürfen sich aber auch nicht zu stark überlappen, sonst produziere ich dicke Stickflächen. Die Mischung macht’s und das Fingerspitzengefühl. Die Stickwinkel sollten von Reihe zu Reihe sauber gesetzt werden. Also über Objekt umformen schön nacharbeiten.
Soweit zur Technik. Jetzt zur Umsetzung unserer Rose. Bevor wir anfangen zu Digitalisieren, möchte ich, das Ihr am Wochenende malt. Schnappt Euch bitte die Buntstifte, Filzer oder den Tuschkasten von Euren Kindern oder Enkelkindern und druckt Euch meine gezeichnete Rose mehrfach auf DIN A4 aus. Ich möchte nämlich erst ein paar „Trockenübungen” mit Euch machen. Aus unserer platten Rose soll nämlich ein dreidimensionales Objekt werden. Für die Rose wählt Ihr nach Möglichkeit 3-4 Farbtöne aus, für die Blätter 3 Grüntöne. Bei Buntstiften oder Filzern sollten es nach Möglichkeit, Töne von hell nach dunkel sein. Also ein helles Rot, ein mittleres Rot, ein dunkles Rot. Es geht auch von Rosa, über Pink bis Lila. Wenn Ihr Tusche nehmt, könnt Ihr über den Einsatz von Wasser die Farbe heller machen. Probiert ruhig mehrere Varianten, damit Ihr ein Gefühl dafür bekommt. Wer keine Farbstifte hat, kann auch mit einem Bleistift das Schattieren üben. Wichtig ist nur, das Ihr das Malen von Verläufen, von Licht und Schatten übt.
Warum? Bei dieser Sticktechnik, sowohl im Handstick- als auch im Maschinenstickbereich, sind wir Maler. Maler mit Nadel und Faden. Wir müssen uns deshalb vielmehr mit dem Thema Farbe beschäftigen. Licht und Schatten setzen ist das A und O. Ihr dürft jetzt nicht in Flächen denken, sondern in Verläufen. (Übrigens, die Verlauffunktion in der Software habe ich auch ausprobiert. Es funktioniert nicht so, wie wir es für unsere Technik gebrauchen können.) Dreidimensionalität ist das Thema.
Hier die Vorlage zum Download (rechte Maustaste, Fenster öffnet sich, Bild abspeichern). Sie ist auf Grundlage unserer ersten Strichzeichnung aus dem Workshop: “Vom Bild zum Stickmuster – Teil 1” entstanden. Ich habe lediglich die Stichwinkel eingezeichnet und ein paar Blätter weg gelassen.
Und so geht Ihr vor:
Seht Euch das Originalfoto an und analysiert es. Wie man sieht, sind die Blätter im Kelch am Dunkelsten. An den Stellen, wo sich die Blätter nach außen biegen, sind die Blätter am Hellsten. Hier fällt am meisten Licht auf das Blütenblatt. Da ich mir jetzt einfach noch ein wenig künstlerische Freiheit herausnehme und es auch nicht zu kompliziert für Euch werden soll, habe ich ein wenig stilisiert. Der Einfachheit halber, könnt Ihr meine Vorlage zur Orientierung beim Ausmalen nehmen.
Ich wünsche Euch ein gutes Gelingen…
Bis bald Andrea
P.S.: Bitte versucht noch nicht die Rose zu sticken. Es gibt nämlich noch eine Kleinigkeit, die Ihr wissen müsst.
Hallo Andrea
Ich bin ebenfalls fleissig am üben da ich jedoch ein Neuling bin habe ich noch nicht alle Lektionen nachgearbeitet melde mich aber dann später mit Bildern.
Lg Cornelia
Hallo Andrea,
vielen vielen Dank für Deine sehr ausführlichen und sehr guten Erklärungen. Da ich auch schon lange auf der Suche nach einer geeigneten Verbindung zwischen Malen und Stoff im Allgemeinen bin, kommt mir das Thema sehr entgegen. Ich werde also auf jeden Fall versuchen, deine Hausaufgaben bestmöglich zu erledigen. Bin sehr gespannt, ob es mir einigermaßen gelingen wird.
LG Barbara
Hallöchen, das sieht super toll aus und ist toll erkrklärt, ich werde malen malen malen….Grüße