
Moschino
Jackett und T-Shirt, Mailand, Herbst/Winter 2012/2013
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Ein Mantel mit vier Ärmeln, ein Kleid wie eine Schlangengrube, Anzüge, bedruckt mit nackter Haut oder Ziegelsteinen – das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zeigt Mode, die vor allem performativ – nicht unbedingt tragbar – ist. Mit rund 60 Modellen von Designern wie Rei Kawakubo, Martin Margiela, Alba d’Urbano oder Iris van Herpen und Videoarbeiten lenkt die Ausstellung den Blick auf Mode, die das Innere nach aussen kehrt und Oberflächen aufbricht.

Moschino
Jackett und T-Shirt, Mailand, Herbst/Winter 2012/2013, Vorder- und Rückansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Es ist eine kleine feine Schau textiler Täuschungsmanöver, die noch bis zum 1. Juni 2014 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zu sehen ist und die die Kuratorin Angelika Riley in die vier Kapitel Simulation, Enthüllung, Verfremdung und Verformung gegliedert hat.

Iris van Herpen
Snake Dress, Haute Couture, Amsterdam, 2011
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Kleidung kann mittels Oberflächengestaltung suggerieren, zitieren oder vortäuschen, etwas anderes zu sein. “Snake Dress” der Niederländerin Iris van Herpen ist ein Beispiel: Wie Tentakel, die sich um den Körper winden, quellen flexible Röhren aus dem kurzen Kleid, das schuppenartig mit transluzenten schwarzen Folienstreifen besetzt ist. Die Grenzen zwischen Kleid und Skulptur, zwischen Mode, Kostüm und Objekt werden überschritten.

Iris van Herpen
Snake Dress, Haute Couture, Amsterdam, 2011, Seitenansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Die Mode der Pop-Ära greift in den 1960er und 1970er Jahren die Werbeästhetik auf und macht Kleidung selbst zum Träger von Botschaften. In einen neuen Kontext oder auf ein neues Medium gesetzt, entstehen neue Zusammenhänge und Assoziationen. Der amerikanische Grafiker Harry Gordon macht beispielsweise 1968 das Fotomotiv “Mystique Eye” zum “Poster Dress”. Es lenkt den Blick des Betrachters vom Kleid weg – und hin zum Motiv des lockenden Blicks.

Harry Gordon
Poster Dress „Mystique Eye“, London, 1968
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Trompe-l’oeil, die Kunst der Illusion, ist ein wiederkehrendes Thema in der Konzeptmode von Maison Martin Margiela. 1996 werden beispielsweise Kleidungsstücke mit Fotografien anderer Kleidungsstücke bedruckt. Original und Kopie sind nicht voneinander zu trennen, weniger noch, wenn eine Neuauflage für den Modehersteller Hennes & Mauritz von 2012 dazu kommt. Die Ausstellung stellt beides nebeneinander.

Maison Martin Margiela
Abendkleider für H&M, Paris, Frühling/Sommer 1996, Rückansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Im weiteren Sinn gehört auch das (Ver-)Kleiden in fremden Häuten zu den “Augentäuschern”. Grosse Anziehungskraft üben Fellimitationen und “Animal Prints“ aus, die seit Jahrzehnten Bestandteil nahezu jeder Saison sind. In diesem besonders klischeebehafteten Bereich der Mode erscheinen die Variationen dieses Themas nahezu unbegrenzt.

Maison Martin Margiela
Abendkleider für H&M, Paris, Frühling/Sommer 1996, Vorderansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Während Kleider aus durchscheinenden Materialien erotisch erscheinen, kann entblösste Haut unter zerrissener oder aufgeschlitzter Kleidung eher verstörend wirken, so wie die Modelle von Bernhard Willhelm. In den seltensten Fällen wird der unmittelbare Blick auf intime Körperstellen freigegeben, vielmehr wird die Vorstellung von Blösse erzeugt.

Maison Martin Margiela
Mantel Maison, Paris, Herbst/Winter 2002/2003, Vorderansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Seit den 1980er Jahren durchbrechen avantgardistische Designer die vorherrschende Ästhetik des Neuen und Perfekten mit ihren Entwürfen. Sie folgen anderen Gestaltungsprinzipien und sind beeinflusst von Kunstströmungen und der Jugendkultur wie Arte Povera und Punk. Auch greifen sie zurück auf Ideen, die in Notzeiten wie jene nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen. Die aus Resten zusammengesetzten Kleidungsstücke wirken oft überraschend modisch. Ein zusammengesetzter Trenchcoat mit vier Ärmeln von Martin Margiela ist ein Ergebnis dieses neuen Gestaltungsprinzips.

Maison Martin Margiela
Mantel Maison, Paris, Herbst/Winter 2002/2003, Rückansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Als zur gleichen Zeit Nähte nach aussen gekehrt, Säume nicht mehr geschlossen und Taschenbeutel oder andere Elemente aus dem Innenleben von Kleidung zur Schau gestellt werden, wird der aus der Kunst und Philosophie entlehnte Begriff “Dekonstruktion” erstmals auch auf Mode angewendet.

Rei Kawakubo
Mantel, Comme des Garçons, Tokio, Herbst/Winter 2012/13
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Für die Wintersaison 2012/2013 entwirft Rei Kawakubo (Comme des Garçons) aussergewöhnlich farbstarke Modelle aus Filz. Die flachen, geometrischen, übergrossen Formen scheinen vom Körper abgekoppelt zu sein und entfalten doch eine überraschende Eleganz, wenn sie getragen werden. Ins Überdimensionale aufgeblasene Punktmuster, Rosenblüten, Camouflage- oder Raubtierdrucke persiflieren gängige Stoffdessins.

Rei Kawakubo
Mantel, Comme des Garçons, Tokio, Herbst/Winter 2012/13
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Kleidung manipuliert die natürlichen Körperformen beider Geschlechter, besonders aber die der Frau. Das führt dazu, dass sie die Bewegungsfreiheit der Trägerin mitunter erheblich einschränkt. Aktuelles Modedesign greift immer wieder historische oder kulturelle Referenzen auf und verarbeitet sie zu neuen, gelegentlich extremen Formen. Historische Beispiele in der Ausstellung zeigen verschiedenen Verformungen des Körpers durch Kleidung, etwa wie die Einengung von Oberkörper und Taille durch Schnürung mit einem Mieder (18. Jh.).

Rei Kawakubo
Damenkleid Comme des Garçons, Tokio, Frühling/Sommer 2012
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Eine aktuelle Interpretation und Zuspitzung des Themas „bis zur Bewegungsunfähigkeit schön“ ist ein Kleid aus der Sommerkollektion 2012 von Comme des Garçons. Ein elastischer Schlauch verpackt die Trägerin nahezu vollständig und lässt nur Öffnungen für Gesicht und Füße zu, für die Hände gibt es lediglich zwei Öffnungen in Hüfthöhe.

Rei Kawakubo
Damenkleid Comme des Garçons, Tokio, Frühling/Sommer 2012, Vorderansicht
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Foto: Maria Thrun
Die Ausstellung spannt einen Bogen vom 18. Jahrhundert bis hin zum Cyber Space und kehrt das Innere nach Aussen, mal analytisch, mal amüsant, mal ironisch.
***
Info:
Inside Out.
Einblicke in Mode
7. Juni 2013 – 1. Juni 2014 verlängert bis 15. März 2015
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Steintorplatz
20099 Hamburg
Infos und Fotos freundlicherweise vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zur Verfügung gestellt – vielen Dank!
liebe jutta,
klasse, dass du dich durch diese beispiele zur stoffgestaltung inspiriert fühlst! es ist wirklich schade, dass man nicht alle interessanten ausstellungen selbst besuchen kann, zumal es gerade bezüglich der textilen themen zu boomen scheint.
beste grüsse
gudrun
Liebe Gudrun,
du greifst einen sehr interessanten Bereich auf, es ist einfach mal etwas ganz anderes.
Doch so wie ich meinen Mann kenne, würde er durchaus das Sakko und Shirt von Moschino vom ersten Bild anziehen. Ob es finanzierbar wäre, ist die andere Frage ;-).
Doch wozu hat er eine Frau, die Stoffe gestaltet. Ich werde ihm dieses Foto also bestimmt NICHT zeigen……
Liebe Grüße!
Jutta