Kreative Artikel zum Thema Quilten

Boro – Stoffe des Lebens

Verschiedene Arbeitskleider und Schlafkimonos in einer Galerie des Schlosses von Boisbuchet spätes 19. Jahrhundert bis Mitte 20. Jahrhundert Sammlung Stephen Szczepanek, Amy Katoh, Alexander von Vegesack

Verschiedene Arbeitskleider und Schlafkimonos in einer Galerie des Schlosses von Boisbuchet
Spätes 19. Jahrhundert bis Mitte 20. Jahrhundert
Sammlung Stephen Szczepanek, Amy Katoh, Alexander von Vegesack
Foto: vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt.

Noch bis zum 2. August 2015 zeigt das Museum für Ostasiatische Kunst Köln (wie bereits angekündigt) die Ausstellung ‘Boro – Stoffe des Lebens / The Fabric of Life’, die rund 50 seltene, zwischen 1850 und 1950 in Japan entstandene Kleidungsstücke und Gebrauchstextilien umfasst. Die Schau basiert auf einer von der Domaine de Boisbuchet CIRECA (Frankreich) 2013 organisierten Wanderausstellung und ist im Zusammenhang mit der Diskussion um ‘fast fashion’ aktueller denn je.

Arbeitsjacke (noragi) Spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle Sammlung Stephen Szczepanek

Arbeitsjacke (noragi)
Spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle
Sammlung Stephen Szczepanek
Foto: vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt.

Das japanische Wort ‘boro’ bedeutet ‘zusammengeflickt’ und bezeichnet hier die in Indigoblau gefärbten Flickengewänder der japanischen Landbevölkerung. Teure Baumwollstoffe waren der Oberschicht vorbehalten. Als abgetragene Lumpen gelangten sie preisgünstig in die Hände der Bauern, die daraus nicht nur eindrucksvolle Kleidung von hohem ästhetischem Reiz schufen: Neben Kimonos und Arbeitskleidung entstanden z.B. auch Futons oder Bettdecken aus den Baumwollstoffresten.

Futon-Decke (futonji) Erste Hälfte 20. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle, u.a. mit Ikat-Mustern bedruckte Baumwollstoffe (nikoniko kasuri) Sammlung Stephen Szczepanek

Futon-Decke (futonji)
Erste Hälfte 20. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle, u.a. mit Ikat-Mustern bedruckte Baumwollstoffe (nikoniko kasuri)
Sammlung Stephen Szczepanek
Foto: vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren grosse Teile Japans so arm, dass die Bevölkerung nicht in der Lage war, neue Textilien zum Anziehen oder auch für das Bett zu kaufen. Besonders im Norden war die Baumwolle extrem kostspielig. Der Erwerb von gebrauchten Stoffen ermöglichte es der bäuerlichen Bevölkerung, sich patchworkartige Textilien herzustellen, die immer wieder repariert und sogar von Generation zu Generation weitervererbt wurden.

Bearbeitung roher Baumwolle: Die Frau rechts trennt die Fasern von den Samen, der Mann links lockert sie zum Spinnen auf Studio Kusakabe Kimbei, ca. 1890-99, Albuminabzug, handkoloriert MOK, P 9, copyright Rheinisches Bildarchiv

Bearbeitung roher Baumwolle: Die Frau rechts trennt die Fasern von den Samen, der Mann links lockert sie zum Spinnen auf
Studio Kusakabe Kimbei, ca. 1890-99, Albuminabzug, handkoloriert
MOK, P 9, copyright Rheinisches Bildarchiv
Foto: vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt.

‘Boro-Textilien gehörten zur einfachen Bevölkerung und repräsentieren eine kollektive Vergangenheit der Verarmung’, erklärt Stephen Szczepanek, ein New Yorker Galerist, aus dessen Privatsammlung die meisten Boro-Exponate stammen. ‘Nachdem sich Japan Mitte des 20. Jahrhunderts gesellschaftlich in Richtung Modernisierung und Urbanisierung umgestaltete, gerieten die Boro-Textilien weitgehend in Vergessenheit. Sie sind jedoch als greifbare Verkörperung eines kulturellen Erbes geblieben, das jetzt kritisch überdacht wird.’

Winterjacke (hanten) Spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle und Leinen, aus Lumpen mit Baumwollkettfäden dicht gewebt (sakiori), sashiko-Stickerei Sammlung Stephen Szczepanek

Winterjacke (hanten)
Spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle und Leinen, aus Lumpen mit Baumwollkettfäden dicht gewebt (sakiori), sashiko-Stickerei
Sammlung Stephen Szczepanek
Foto: vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt.

In der Tat werden einige grundlegende Prinzipien der traditionellen japanischen Ethik und Ästethik, wie z. B. shibui, wabi-sabi oder mottainai diskutiert, Konzepte, die für den Respekt der Einzigartigkeit der Dinge und im Gegensatz zum Lebensstil der heutigen Konsumgesellschaft stehen. In ihrer minimalistischen Schönheit demonstrieren die Boro-Textilien künstlerische Kreativität und positive Bejahung allen Seins, aber auch den Respekt vor dem natürlichen Material und der Arbeit der Hände.

Drei Taschen für Reis (kome bukuro) Spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle Sammlung Stephen Szczepanek

Drei Taschen für Reis (kome bukuro)
Spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle
Sammlung Stephen Szczepanek
Foto: vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt.

Darüber hinaus weisen die Boro-Textilien eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Ästhetik der Collagen in der modernen Kunst auf: Man fühlt sich an Künstler wie Paul Klee oder Robert Rauschenberg erinnert – eine Inspirationsquelle für heutige Designer und gleichzeitig ein Denkanstoss für Konsumenten.

Wattierter Schlafkimono (yogi) Spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle Sammlung Stephen Szczepanek

Wattierter Schlafkimono (yogi)
Spätes 19. Jahrhundert, Indigo gefärbte Baumwolle
Sammlung Stephen Szczepanek
Foto: vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt.

Vorläufer der Boro-Textilien waren die buddhistischen Mönchsumhänge, die ‘kesa’ genannt werden. Sie wurden als Ausdruck des buddhistischen Armutsideals ebenfalls aus Flicken zusammengesetzt. Aus der museumseigenen Kölner Sammlung sind herausragende Stücke in die Boro-Ausstellung integriert.

Arbeitsgewand aus Resten von Hanffasern (okuso zakkuri) gewebt Spätes 19. Jahrhundert, Hanffasern, Reste von Hanffasern (okuso) und Indigo gefärbte Baumwolle Sammlung Stephen Szczepanek

Arbeitsgewand aus Resten von Hanffasern (okuso zakkuri) gewebt
Spätes 19. Jahrhundert, Hanffasern, Reste von Hanffasern (okuso) und Indigo gefärbte Baumwolle
Sammlung Stephen Szczepanek
Foto: vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt.

Auf der website der Domaine de Boisbuchet CIRECA sind noch detailliertere Informationen (fr/en) und weitere Abbildungen zu finden.

Arbeitsjacke (noragi) Spätes 19. Jahrhundert, mit Indigo und Färberdistel gefärbte Baumwolle Sammlung Stephen Szczepanek

Arbeitsjacke (noragi)
Spätes 19. Jahrhundert, mit Indigo und Färberdistel gefärbte Baumwolle
Sammlung Stephen Szczepanek
Foto: vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt.

***

Info:

28. März – 2. August 2015

Boro – Stoffe des Lebens

Museum für Ostasiatische Kunst Köln
Universitätsstrasse 100
50674 Köln

www.museum-fuer-ostasiatische-kunst.de

Infos und Fotos freundlicherweise vom Museum für Ostasiatische Kunst Köln zur Verfügung gestellt – vielen Dank!

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Kommentare zu diesem Artikel

7 Antworten

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  • Gudrun Heinz BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

    halli hallo,
    herzlichen dank für euer freundliches feedback!
    ausstellung und thema haben mich so fasziniert, dass ich die stichworte shibui, wabi-sabi und mottainai mal näher recherchiert habe. es sprengt den rahmen des ausstellungshinweises, aber es lohnt sich, wenn man sich mit diesen ethisch-ästhetischen prinzipien aus japan befassen will.
    in diesem zusammenhang noch ein buchtipp:wabi-sabi art workshop von serena barton (north light books) beschäftigt sich mit mixed media techniken und ist inspiration pur, eine augenweide mit praxistipps.
    eine schöne neue woche und
    beste grüsse
    gudrun

    • Anne Richardt BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

      Liebe Gudrun!

      Dein Beitrag ist schon vier Jahre alt, und ich bin erst jetzt darauf gestoßen. Ich bekomme immer von einer Bekannten die alten Hefte von Textilkunst.  Gestern habe ich auf einer längeren Autofahrt die Ausgabe Juni 2018 gelesen. Dort gab es einen Bericht über Boro und den Hinweis, dass in Köln 2015 eine Ausstellung über diese Technik gab. Im Textilmuseum Krefeld fand vom 7. bis 9.10.2018 ein Workshop mit der Künstlerin Claudia Merx statt, bzw. Sollte stattfinden. Ich habe heute mit Frau Merx telefoniert, es gab nur drei Anmeldungen. Bei meinen Recherchen im Internet fand ich Dich. Ich würde  gerne einmal telefonisch mit Dir Kontakt aufnehmen, um mit Dir über Deine Erfahrungen zu sprechen. Ich bin 74 Jahre alt (gefühlt 54), bin seit Jahren in einer Nähgruppe, aber mein Hobby ist „aus alt mach neu“!

      Diese Boro Technik würde mich wahnsinnig interessieren. Ich werde mich mal auf die Suche machen, ob hier oben in Bremen und Umgebung jemand ist, der mir da weiterhelfen kann. Aber Deine Erfahrungen interessieren mich auch sehr. Wenn Du Dich meldest, gebe ich Dir meine Tel. Nr.

      Herzliche Grüße Anne

       

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