Der Legende nach soll er während eines Ausritts im Wald eingeschlafen sein und von einem prachtvollen, sonnengleich im Zentrum seiner neuen Residenz liegenden Schloss geträumt haben. Die Rede ist von Markgraf Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach (1679 – 1738), der – und das ist Tatsache – vor 300 Jahren in der unbesiedelten Rheinebene, mitten im markgräflichen Jagdwald den Grundstein für das Schloss legte und die Stadt Carols’Ruhe gründete, die bis heute seinen Namen trägt.
Bisweilen wird die mit rund 300.000 Einwohnern zweitgrösste Stadt Baden-Württembergs auch ‘Fächerstadt’ oder ‘Residenz des Rechts’ genannt. Diese Beinamen verweisen nicht nur auf die heute in Karlsruhe ansässigen obersten Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch auf ihren Grundriss. Nach den Regeln eines idealisierenden Ordnungsprinzips erbaut, erhebt sich im Zentrum der symmetrischen Gesamtanlage der Schlossturm, von dem 32 Wege wie die Strahlen einer Sonne ins markgräfliche Land hinausführen. Das südliche Viertel des Vollkreises, also in Form eines Fächers, bildet das anfangs bebaute Stadtgebiet, da es Karl Wilhelm mit Privilegien gelungen ist, die ersten Bewohner anzulocken.
Mit dem runden Jubiläum in diesem Jahr feiert die Stadt nicht nur ihren Stadtgründer, der mit seiner innovativen Regierung und seinem legendären Lebensstil unvergessen ist. Das Badische Landesmuseum – untergebracht im Karlsruher Schloss – zeigt derzeit die grosse Landesausstellung ‘Karl Wilhelm 1679 – 1738’, die erste Schau über den Markgrafen überhaupt mit rund 250 zum Teil noch nie gezeigten Exponaten, die den Geist seiner Epoche wieder aufleben lassen.
Mit einem visuellen Paukenschlag wird der Besucher im ersten Ausstellungsbereich in Empfang genommen. Dort betritt man eine barocke Theaterbühne mit einer lebensgrossen, historischen Darstellungen nachempfundenen Karl-Wilhelm-Figur mit Allonge-Perücke auf einem kleinen Podest, im Hintergrund die brennende Residenzstadt Durlach. In den ‘Kulissen’ sind ganz persönliche Exponate des Markgrafen aus seinen ersten Lebensjahren, wie ein Kinderporträt Karl Wilhelms, ein Kavaliersdegen, Schreibübungshefte und Briefe zu entdecken.
Das Pathos ist Absicht. Nur aus ihrer Zeit heraus lässt sich eine schillernde Persönlichkeit wie Karl Wilhelm verstehen, dessen Leben ganz im Zeichen des Absolutismus und der barocken Inszenierungen stand.
Über ein dunkles Waldstück, das gestalterisch auf die Verlegung der ehemaligen Residenz von Durlach in den Hardtwald Bezug nimmt, gelangt der Besucher in die ‘Fächerstadt’ um 1715, ins Zentrum der Ausstellung, das dem Strahlensystem der Planstadt nachempfunden ist. Hier spielen die Residenz und ihre historischen Anfänge die Hauptrolle.
Nach drei Jahren Bauzeit kann Karl Wilhelm 1718 mit Hofstaat und Verwaltung sein neues Schloss in Karlsruhe beziehen, während seine Frau Magdalene Wilhelmine in Durlach in der Karlsburg zurück bleibt.
Eine Schatzkammer mit Leihgaben aus dem Hause Baden bildet das Herzstück der Präsentation und lässt mitunter einen intimen Blick auf den Menschen Karl Wilhelm zu. Die Ordenspokale und der Ordensstern des 1715 gestifteten Fidelitas-Ordens schlagen wiederum den grossen Bogen zum 300. Stadtgeburtstag.
Im letzten Bereich der Ausstellung lädt eine barock stilisierte Parkanlage zum Spaziergang ein. Hier begegnet man dem Barockfürsten Karl Wilhelm ‘zwischen Lust und Last’. Stark und ehrgeizig, gebildet und charmant soll er gewesen sein.
Neben seinen politischen Ambitionen, einer straffen, auf Sparsamkeit bedachten Regierung, gibt er sich vor allem seinen persönlichen Leidenschaften hin. Wie alle Fürsten seiner Zeit legt auch er gesteigerten Wert auf Prachtentfaltung und Repräsentation und greift dafür tief in die Staatskasse. Im Hafen am Rhein ankert seine 25 Meter lange Yacht, stets bereit für private Reisen ins In- und Ausland.
Er importiert über 5.000 verschiedene Tulpensorten sowie exotische Pflanzen und Tiere. Daneben übt er sich im Experimentellen, wie der vergeblichen Herstellung von Gold, gründet eine eigene Tabakfabrik und unterhält ein eigenes Hoftheater mit einem festen Ensemble.
Und: Er hat nicht nur eine Schwäche für amouröse Abenteuer mit seinen Hofsängerinnen, sondern auch für rauschende Feste. In seiner Sammlung befinden sich – neben 22 Perücken für den täglichen Gebrauch, darunter eine Tag- und Nacht-Perücke: halb schwarz, halb weiss – nahezu 70 unterschiedliche Karnevalskostüme wie das eines Harlekins.
Bis zum Ende seiner Regierungszeit 1738 sollte es Karl Wilhelm dennoch gelingen, die hohe Last der Staatsschulden, die ihm sein Vater Markgraf Friedrich Magnus überlassen hatte, um die Hälfte zu reduzieren. Über das Finanzielle hinaus sind der Bau des Schlosses und die Neugründung der Stadt Karlsruhe auch konzeptionell ein Erfolg.
Die Geometrie der Schloss- und Stadtanlage ist bis heute einzigartig. Die 32 Strahlen, die vom Schlossturm aus in alle Richtungen hinausgehen, ziehen 2015 in umgekehrter Richtung die Blicke der Öffentlichkeit auf Karl Wilhelms Werk.
Im Rahmen des 300. Stadtgeburtstages finden in Karlsruhe zahlreiche Veranstaltungen statt. Auch ich werde einen Mosaikstein in dieses grosse ‘Puzzle’ mit der Präsentation der von mir kuratierten und organisierten Ausstellung ‘Zeichen der Zeit‘ einfügen, die vom 2. August – 13. September 2015 in der Evangelischen Stadtkirche am Marktplatz in Karlsruhe gezeigt werden wird, die ihrerseits mit Abendmahlskannen und -kelchen als Leihgaben zur Grossen Landesausstellung beiträgt.
***
Info:
9. Mai – 18. Oktober 2015
Karl Wilhelm 1679 – 1738
Badisches Landesmuseum Karlsruhe
Schloss
76131 Karlsruhe
Öffnungszeiten:
Di – So, Feiertage: 10 – 18 Uhr
Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet.
Ein 336 Seiten umfassender Katalog ist zum Preis von 29,50 EUR (Museumsausgabe) erhältlich.
Infos und Fotos freundlicherweise vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe zur Verfügung gestellt – herzlichen Dank!
Hallo Gudrun,
Dankeschön für diesen Blog-Beitrag! Ich habe ihn (wie ich das mit Deinen Beiträgen bereits öfter getan habe) wieder einmal zum Anlass genommen, mein aktives Nichtwissen etwas zu verringern. Jetzt weiß ich, was eine Schneppentaille ist. Am besten gefallen haben mir jedoch die high-heels. Wenn ich die Fußform anschaue, denke ich, dass selbst ein high-heel-Spezialist darauf kaum vernünftig laufen kann 🙂
Liebe Grüße Annette.
hallo annette,
herzlichen dank!
ich möchte nicht wissen, wie die ‘gebundenen’ – eigentlich verkrüppelten – füsschen alt-chinesischer damen ausgesehen haben. in china hatte man mir erklärt, dass keine grossartige notwendigkeit für die fürstlichen damen bestanden hätte, um sich überhaupt zu fuss fortzubewegen. man trug sie. vielleicht liegt der fall hier ähnlich?
wenn ich es mir so überlege, auch eine form von unterdrückung, raffiniert getarnt durch ein ‘schönheitsideal’. – wer das wohl erfunden hat?
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
habe etwas gegoogelt. Wie die Lotosfüße erreicht wurden ist wirklich gruslig und grausam. Für mich absolut unverständlich: Die Idee kam, wenn ich das richtig gelesen habe, von einer Tänzerin. Üblich waren sie wohl nicht nur bei hochherrschaftlichen Damen. Verboten wurde diese Unsitte von einem Mann. Nicht, weil er Mitleid mit den Frauen hatte, sondern weil es wichtigeres zu tun gab als Füße zu verkrüppeln.
Zu Zeiten des Rokoko gefielen sich auch die hohen Herren mit “schlankem Fuß”, der mit aus anatomischer Sicht katastrophal schmalem Schuhwerk mit Absatz (wenn ich darf: http://www.mkg-hamburg.de/de/sammlung/sammlungen/mode/herrenschuhe.html ) erreicht wurde. Ich wüsste gerne, wieso es die Herren der Schöpfung schon lange geschafft haben, auch wenn sie modebewusst sind, im wahrsten Sinne des Wortes mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu sehen, die Damen aber bis heute nicht…
Schöne Pfingsten und liebe Grüße
Annette.
vielen dank, liebe annette, für die fortführung des themas. man könnte bei den darin anklingenden fragen vom hundertsten ins tausendste kommen … but I digress