Im Fokus der Ausstellung ‘Expressive Bildteppiche’ stehen rund 20 grossformatige Wandbehänge mit abstrakten Figurenkompositionen der Künstlerin Johanna Schütz-Wolff (1896 – 1965). Bereits als junge Frau stellte die Textilkünstlerin in den 1920er Jahren gemeinsam mit expressionistischen Malern wie Gerhard Marcks, Otto Dix, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Hans Arp aus.
Anlass für diese Sonderausstellung im GRASSI Museum für Angewandte Kunst in Leipzig ist zum einen der 50. Todestag der Künstlerin, zum anderen das Jubiläum ‘100 Jahre Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle’. An dieser Hochschule erhielt sie ihre Ausbildung und baute dort später eine Webklasse auf. Johanna Schütz-Wolff selbst nahm in den Jahren 1927 und 1930 an Ausstellungen im Grassimuseum teil.
Die Arbeiten von Johanna Schütz-Wolff bestechen durch ihre in fein abgestuften Schattierungen gewebten Figuren, die auf dem meist dunklen Grund aus der Tiefe zu schweben scheinen. Diese Figuren lösen sich in einzelne, sich überschneidende Bildflächen förmlich auf. Hier wird ihre enge Verbindung zur Grafik deutlich. Neben den Bildteppichen werden ausgewählte Beispiele aus ihrem grafischen Werk und Dokumentationen baugebundener Projekte präsentiert. Dabei wird deutlich, dass es im Werk der Künstlerin keine Grenze zwischen freien und angewandten Arbeiten gibt.
Bekannt wurde Johanna Schütz-Wolff vor allem durch ihre in den 1920er – 30er Jahren geschaffenen Arbeiten. Sie kam eher zufällig zur Bildweberei. An der Hallenser Burg Giebichenstein wurde sie zunächst in Grafik und Schriftkunst (1915 – 1918) ausgebildet, setzte ihr Studium an der Münchner Kunstgewerbeschule fort und kehrte 1919 nach Halle/Saale zurück. Hier baute sie auf Wunsch ihres ehemaligen Lehrers, Paul Thiersch, die neue Webklasse auf. In dieser frühen Zeit entstandene Grafiken und Gouachen bilden den Auftakt der Ausstellung.
Ohne eine klassische Webausbildung, nur mit Grundkenntnissen der Weberei, konnte Johanna Schütz-Wolff neue Wege gehen. Ihre Bildgewebe entstanden – ohne die übliche detaillierte, farbige 1:1-Vorzeichnung – direkt am Webstuhl. Auch bezog sie bewusst die Wirkung der Kettfäden in die Gestaltung mit ein, die bei der traditionellen Gobelintechnik völlig verdeckt sind. So konnte sie fein abgestufte Farbnuancen weben, die ihren Figuren Plastizität gaben.
Ihre Schülerinnen bildete Schütz-Wolff jedoch gewissenhaft in den klassischen Techniken der Flach- und auch der Bildwirkerei aus. Verschiedene Arbeitsproben und Werkstücke in der Ausstellung verdeutlichen die Arbeit der Webklasse und ihre Aussenwirkung. Eine aktuelle Arbeit aus dem Studiengang Textildesign der Kunsthochschule Halle schlägt die Brücke zur Gegenwart.
Ihre eigenen, anfangs noch stark farbigen, bald jedoch auf schwarzen Grund, Naturtöne und wenige Farbakzente reduzierten Bildteppiche fanden sehr schnell starke Beachtung. Sie war auf vielen Kunstschauen gemeinsam mit den führenden Künstlern des deutschen Expressionismus vertreten und bekam 1928 auf der Ausstellung ‘Deutsche Kunst’ in Düsseldorf eine Silbermedaille für ihren Bildteppich ‘Liegende’, der auch zu den Exponaten der Ausstellung gehört.
Dieser Erfolg brach 1933 abrupt ab. Johanna Schütz-Wolff wurde vom offiziellen Kunstbetrieb ignoriert und fand nur noch im kirchlichen Bereich eingeschränkte Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten. Beim Besuch der Ausstellung ‘Entartete Kunst’ 1937 in München, wo eine ihrer Arbeiten gezeigt wurde, erkannte sie die von der nationalsozialistischen Kunstpolitik ausgehende Gefahr. Als dann 1938 eine Hausdurchsuchung durch die Gestapo drohte, zerschnitt sie in einer Nacht 13 ihrer grossformatigen Wandbehänge in kleine Stücke und zerstörte sie. Lediglich Schwarzweissfotografien sind erhalten, die in der Ausstellung als mediale Präsentation zusammen mit dem einzigen, erhaltenen Fragment dieser Vernichtungsaktion den existierenden Arbeiten gegenübergestellt werden.
Den grössten Teil der Kriegsjahre verbrachte die Künstlerin in Ried in Oberbayern. Sie lebte in der Nähe von Maria Marc, der zweiten Ehefrau des Malers Franz Marc, die auch als Bildwirkerin tätig war, mit der sie seit 1920 eine freundschaftliche Beziehung verband. Ihre in dieser Zeit entstandenen Bildteppiche sind in der traditionellen Wirktechnik gearbeitet und zeigen eine deutlich andere Formensprache.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges konnte Johanna Schütz-Wolff sehr bald an die Erfolge während der Zeit der Weimarer Republik anknüpfen. Sie kehrte zu ihrer eigenen Webtechnik zurück und schuf mehrere grossformatige Wandbehänge, die an die Arbeiten der 1930er Jahre anknüpften. Einer dieser Bildteppiche ist die 4,5 m breite Arbeit ‘Frau vor Landschaft’ im Besitz des GRASSI Museums für Angewandte Kunst. Diese Arbeit ist normalerweise in der Dauerschau ‘Jugendstil bis Gegenwart’ zu sehen und ein Highlight der Ausstellung. Daneben experimentierte sie mit anderen stilistischen Mitteln und setzte Elemente ihrer zeitgleich entstehenden Grafik in Bildteppiche um. In der Ausstellung werden neben bekannten Arbeiten auch solche gezeigt, die noch nie öffentlich präsentiert wurden.
In den 1950er und 1960er Jahren entstanden mehrere grosse Arbeiten, die nicht auf das Material Textil beschränkt blieben. Für die IGA (Internationale Gartenausstellung) 1953 in Hamburg entwarf sie die grosse Wandgestaltung ‘Drei ruhende Frauen’ aus gebogenen Metallrohren. Diese Arbeit ist nicht erhalten, aber als wichtiger Teil ihres Gesamtwerks in einer Fotodokumentation zu erleben.
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Info:
21. Mai – 20. September 2015
Expressive Bildteppiche
Johanna Schütz-Wolff
GRASSI Museum für Angewandte Kunst
Johannisplatz 5 – 11
04103 Leipzig
Ausstellungseröffnung:
Mi, 20. Mai 2015, 19 Uhr
Informationen und Fotos freundlicherweise vom GRASSI Museum für Angewandte Kunst, namentlich von Frau B. Küster, zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank!
Hallo Gudrun,
vielen Dank nicht nur für die eindrucksvollen Bilder!
Liebe Grüße Annette.
hallo annette,
gern geschehen!
ich war beeindruckt von der geschichte hinter dieser ausstellung.
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
ich denke oft, dass ich mit viel Glück in eine (wenigstens) hier freie und friedliche Zeit geboren wurde. Das eigene Werk zu zerstören, um einer möglichen Internierung zu entgehen, muss furchtbar sein.
Überhaupt schon der Begriff “entartete Kunst”…
Liebe Grüße Annette.