Ein riesiger Haufen gebrauchter Kleidungsstücke füllt einen Raum im Museum Rijswijk, den Raum, in dem der in Vergessenheit geratene Dichter Hendrick Tollens einst arbeitete, und ‘verschluckt’ dabei die historischen Möbel aus dem 19. Jahrhundert.
Ein riesiger Haufen? Nein, nicht ganz. Es handelt sich um eine Skulptur des Amerikaners Derick Melander, ähnlich wie die hier abgebildete aus dem Jahr 2010, die repräsentativ für diese 4. Textil-Biennale ist und über das eigentliche Material hinausgeht.

Rijswijk Textile Biennial 2015
Derick Melander: Into the Fold 2, 244 x 244 cm, 2010
Foto: Derick Melander
Melander, der schon viele Objekte aus getragener Kleidung, die Geschichten aus dem Leben ihrer Besitzer, aber auch von der Allgemeinheit erzählen, geschaffen hat, nutzte die Vorgeschichte und Gegebenheiten des Museums, um ca. eine Tonne extra dafür gespendete alte, getragene Kleidung sorgfältig zu falten und als Kubus aufzustapeln und dabei die Möbel und Bücher des Dichters teilweise sichtbar einzuarbeiten. Das raumfüllende spannende ‘Kollektivportrait’ ist temporär, wird nach Ausstellungsende wieder aufgelöst und die Textilien werden einem karitativen Zweck zugeführt.
In eine ähnliche Richtung geht die Norwegerin Kari Steihaug, die in ihrer Arbeit alte Kleider und ihre ehemaligen Träger wieder vereint.

Rijswijk Textile Biennial 2015
Kari Steihaug: 4. Klasse (4th Grade), 170 x 500 cm, 2008, Detail
Foto: Thor Westrebø
Sie zieht gestrickte Norwegerpullover teils wieder auf, um mit dem frei gewordenen Garn eine Gruppenaufnahme von den Schülern, die die Pullover getragen haben, zu stricken.
Die Textil-Biennale, die das Museum Rijswijk im Wechsel mit Papier-Biennalen organisiert und zeigt, sei international tonangebend, schreibt Grietje van der Veen in ihrem Bericht über ihren Ausstellungsbesuch. Quilts, wie sie für Quiltwettbewerbe gefordert werden …
… suche man in Rijswijk vergebens. ‘Hier gibt es keine Vorgaben und die Technik spielt eine untergeordnete Rolle, sondern es gilt Wagnis und Experiment mit dem Medium Textil,’ liest man zu Beginn von Grietjes Bericht.
Wie die Finnin Raija Jokinen , die beispielsweise sehr fragil und verletzbar wirkende transparente menschliche Figuren aus Flachsfasern kreiert, die im wahrsten Sinne des Wortes ‘unter die Haut gehen’.
Bei dieser Biennale handelt es sich um einen Wettbewerb ohne spezielles Thema, so dass viele Stories erzählt, Erinnerungen bewahrt …
… Metaphern gebildet oder Ästhetisch-Allegorisches geschaffen und von einer Jury für die Ausstellung ausgewählt wurden, wie zum Beispiel die natürlich-künstlich wirkende Installation von Pseudo-Pflanzen ‘Garden Sweet Garden’.
Die vietnamesich-französische Künstlerin Mai Tabakian spielt bewusst mit Gegensätzen, benutzt in der Natur vorkommende Elemente, verfremdet diese jedoch durch knallfarbige kunstlederähnliche Stoffe, die sie über zuvor von ihr kreierte Kunststoffformen zieht. Eine Augenweide mit kryptischer Botschaft.

Rijswijk Textile Biennial 2015
Mai Tabakian: Garden Sweet Garden, Installation von 32 Skulpturen, 100 x 200 x 250 cm, 2012 – 13
Foto: Mai Tabakian
Die Arbeiten von 19 internationalen Künstlern zeigt das Museum und alle diese Arbeiten bieten Anlass zur Reflektion, regen zum Nachdenken an, sagen etwas aus.
In den Fabeln von La Fontaine agieren Tiere wie Menschen. Henrique van Putten aus den Niederlanden hat ihre eigene aussagekräftige Tierwelt in Textil geschaffen, die Rückschlüsse auf das menschliche Leben zulässt, wo es bisweilen ums nackte Überleben geht.

Rijswijk Textile Biennial 2015
Henrique van Putten: the poor, 40 x 50 x 15 cm, 2014
Foto: Henrique van Putten
Die künstlerischen Statements gehen auch darüber hinaus, dass die Kenntnisse, wie Textilien entstehen – früher selbstverständlich jedem bekannt und in fast jedem Haushalt praktiziert – inzwischen vergessen werden. In den Schulen stehen Weben, Stricken, Häkeln, Nähen nicht mehr auf dem Lehrplan, Billigketten verschleudern Textilien, die nach wenigem Tragen einfach weggeworfen werden, Ausbeutung von Arbeitskräften in Niedrigstlohnländern und Konsum sind die Stichworte. Eine ganze Reihe von Ausstellungen in der letzten Zeit thematisiert dies – zu Recht.

Rijswijk Textile Biennial 2015
Amanda McCavour: Living Room, 305 x 305 x 305 cm, 2010 – 2011
Foto: Agata Piskunowicz
Wie bereits angekündigt, läuft die Ausstellung in Rijswiijk noch bis zum 27. September 2015 und ist – wie ich verschiedenen Blogs (Grietje van der Veen, Martina Unterharnscheidt) entnehme – unbedingt eine Reise wert.

Rijswijk Textile Biennial 2015
Chiachio&Giannone: Bomberos (Firemen), 142 x 104 cm, 2011
Foto: Chiachio&Giannone
Bildlich und technisch in der lateinamerikanischen Volkskunst verwurzelt, sticken Leo Chiachio und Daniel Giannone aus Argentinien, Partner im Leben wie in der Kunst, mit der Hand grosse Wandbehänge, um sich selbst (mit ihrem Dackel Piolin) in der Welt der Träume, Mythen und Legenden zu verewigen.
Auch der mir vom Museum zur Verfügung gestellte Katalog (zweisprachig nl/e) ist sehr zu empfehlen. Er stellt nicht nur die Arbeiten, sondern auch die Künstler mit hervorragenden Fotos vor und ist über die Website des Museums bestellbar.
Die Arbeit ‘La Biche’ der einzigen ausgewählten Teilnehmerin aus Deutschland ziert das Cover des Katalogs. Monica Bohlmann bestickt und übernäht bereits bestehende Portraits, bis sie zu dreidimensionalen Hochreliefbildern, sogar zu Büsten werden.
***
Info:
9. Mai – 27. September 2015
Rijswijk Textile Biennial 2015
Museum Rijswijk
Herenstraat 67
2282 BR Rijswijk
Niederlande
Öffnungszeiten:
Di – So: 11 – 17 Uhr
Infos und Fotos freundlicherweise vom Museum Rijswijk zur Verfügung gestellt – vielen Dank!
Liebe Gudrun!
mal wieder – super ! Der Textile Bereich ist ja noch längst nicht ausgschöpft, diese Ideen sind sagenhaft!
Es bringt viel Spass und Freude, Deine Berichte zu lesen.
Einen schönen Sonntag wünscht Dir
Wiebke
halli hallo wiebke,
vielen dank für dein kompliment. ich tu, was ich kann – wie du ja auch …
mich inspirieren solche ausstellungen ungemein, sind der nährboden für neue ideen. ich hoffe, dass dies nicht nur bei mir so ist 🙂
dir auch einen schönen sonntag und
beste grüsse richtung norden
gudrun
Danke für den inspirierenden Beitrag;)
Lydia
bitte sehr, ist mit vergnügen geschehen.
Sensationell! Was anderes fällt mir dazu gar nicht ein, liebe Gudrun. Und es zeigt hier ganz besonders, dass Textile Kunst nicht nur aus mit Nähgarn verquilteten Stoffen zu tun hat. Das Feld ist gross. Sehr gross. Gott sei Dank.
Schönes Wochenende, hoffentlich nicht zu stürmisch,
Jutta
halli hallo jutta,
auch dir vielen dank!
ich dachte mir schon, dass dir diese exponate zusagen würden … aber auch andere sind total begeistert. so schade, dass ich im moment nicht so weg kann, wie ich es gerne gehabt hätte.
dir auch ein schönes wochenende und
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
vielen Dank für diesen Bericht und vor allem für die genialen links!
Liebes Grüßle Annette.
halli hallo annette,
vielen dank!
hast du auch mal den bericht von grietje angeschaut? sie hat noch mehr links zu weiteren künstlern angegeben, von deren arbeiten ich aber leider keine pressefotos zur verfügung habe.
ein weiterhin schönes wochenende.
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
jaaaaaaaaaaa, genau den link meine ich im Besonderen. Da kann noch viele Abende nix gescheites im Fernsehen kommen, ich bin beschäftigt 🙂
Noch etwas, was zwar nicht zur Rijswijk Textile Biennial 2015, aber zum Thema links passt: Ich weiß nicht, ob Du den englischsprachigen Bernina-Blog verfolgst. Das hier finde ich sehr spannend: https://blog.bernina.com/en/2015/07/the-joker-waistcoat-ken/. Die homepage von Ken Smith ist zwar für meinen Geschmack etwas mühsam, weil ich jedes Bild einzeln anklicken muss, wenn ich es genauer sehen möchte, aber sehr interessant! Was für ein Zeitaufwand hinter seinen Arbeiten stecken muss!
Dir auch ein schönes Wochenende. Mein Hund ist ziemlich durch den Wind, weil es draussen etwas stürmt. Bei Gewitter stellt er sich nicht halb so blöd an…
Liebes Grüßle Annette.
halli hallo annette,
danke sehr für den hinweis auf den post im englischen blog – hatte ich noch nicht gesehen.
ich hab mich über dein wortspiel mit deinem hund amüsiert – ist wohl kein windhund? 🙂 bitte nicht böse sein, ich bin in wahrheit ein grosser tierfreund.
hoffentlich legen sich die unbilden des wetters bald, damit hund und mensch ihre ruhe geniessen können.
liebe grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
nein, er ist kein Windhund. Wäre er bei Sturm outdoor “durch den Wind”, würde ich vermuten, dass er um seine Frisur fürchtet. Da das Problem nur indoor auftritt, vermute ich ein frühwelpliches Trauma oder Prägung in seinen ersten Lebenswochen durch entsprechendes Verhalten seiner Mami 🙂
Nebenbei: Alles, was sich in seinen Haaren verfängt, wird seit Deinem post https://blog.bernina.com/de/2015/05/textiel-festival-2015-leiden/ daraufhin untersucht, ob es sich eventuell in einen Quilt einarbeiten lässt 🙂
Schönen restlichen Sonntag und liebes Grüßle!
Annette.
ja, irgenwoher muss idee und dann auch material ja herkommen 🙂
einen schönen abend noch
beste grüsse
gudrun