Derzeit machen Blumen im Textilmuseum St. Gallen Furore: Die Ausstellung ‘Furor floralis’ widmet sich den facettenreichen Erscheinungsformen floraler Motive auf europäischen Textilien aus fünf Jahrhunderten. Die Schau lenkt die textile Pflanzenpracht, indem sie sie historischen Gartentypen gegenüberstellt und sich mit den Zusammenhängen zwischen Gartengestaltung und Textildesign auseinandersetzt.
Der Weg führt vom mittelalterlichen Paradiesgarten über den streng gegliederten Renaissancegarten, die barocken Parterres de Broderie, zu den malerischen Landschaftsgärten und den Gärten des 20. Jahrhunderts. Zu sehen sind Stoffe aus den Beständen des Textilmuseums St. Gallen, historische Kostüme sowie Kleider zeitgenössischer Modedesigner wie Peter Pilotto und Mary Katrantzou. Gartenpläne und historische Bücher illustrieren die Entwicklung des Gartens vom Mittelalter bis in die Moderne.
Die Mode liebt Blumen – zeitweise exzessiv, dann wieder etwas zurückhaltender. Dass florale Muster je ganz fehlen, ist undenkbar. Die Darstellung von Pflanzen gehört in der westlichen Welt zu den bevorzugten Motiven des Textildesigns. Grund genug für das
Textilmuseum St. Gallen, dem Thema eine umfangreiche Ausstellung zu widmen. Um die Blumenfülle in den Griff zu bekommen bedarf es einer zähmenden Hand: Dies übernehmen die Textildesignerin Annina Weber, unterstützt von der Landschaftsarchitektin Sophie von Schwerin. Entsprechend sind die Stoffe entlang den historischen Gartentypen geordnet.
Stoffe und Gärten – eine ungewöhnliche Kombination? Nein, findet Annina Weber, denn Textildesignerin und Landschaftsarchitektin bändigen beide auf ihre Weise die Natur: Sie wählen und kombinieren die Pflanzen, ordnen diese im Raum oder auf der Fläche an. Ungemeine Faszination für den Gartenliebhaber, unerschöpfliches Repertoire an Farben und Formen für den Textilentwerfer: Pflanzen sind Augenschmaus und Inspiration in einem. Gärten und Stoffe korrespondieren dabei auf überraschende Weise und
Gestaltungsprinzipien, die im Gartenbau modern sind, können auch auf Stoffen auftauchen – oder umgekehrt. ‘Gärten und Textilien sind stets unmittelbarer Ausdruck von Modeströmungen, Zeitgeist und Lebensgefühl. Sie spiegeln den Wandel des Verhältnisses von Mensch und Natur wider’, ergänzt Michaela Reichel, Direktorin des Textilmuseums.
Floral gemusterte Stoffe, Gärtenpläne, historische Pflanzen- und Gartenbücher stehen einander in der Ausstellung gegenüber und zeigen, wie ähnlich sich die Konzepte teilweise sind: Im Barock zum Beispiel, wo der Mensch sich als Herrscher der Natur sieht, folgen Gartenanlagen und textile Muster deutlich sichtbar streng formalen Regeln.
Um 1900 dominiert der Wunsch nach Natürlichkeit. Landschaftsarchitekten und Textildesigner erschaffen die gewünschte Version einer harmonischen, gefahrlosen und schönen Natur und verbergen die Struktur der Entwürfe hinter scheinbarem ‘Furor’. Was vermeintlich wild und natürlich ausschaut, ist in Wahrheit strikt durchgeplant.
Die Ausstellung gliedert sich entlang einer zeitlichen Achse in sieben ‘Gärten’, die unter verschiedenen Schlagworten wie z.B. Nutzen & Zierde oder Pracht & Künstlichkeit stehen. Im Mittelpunkt jedes ‘Gartens’ steht ein für die entsprechende Zeit typisches Textilmuster, anhand dessen die Designerin Gestaltungsprinzipien auf Stoffen, die Landschaftsarchitektin dem jeweiligen Garten nachspürt.
Ringsum gruppieren sich weitere Stoffe, Bücher und Gartenansichten, die Einblick in die Fülle und Variationsbreite innerhalb einer Epoche geben. Sie belegen aber auch das Fortdauern von Stilen in späterer Zeit: So fügt sich ein Kleid von Mariano Fortuny aus der Zeit um 1910 problemlos in die renaissancezeitliche Gruppe ein, zitiert doch der Stoff das für das 16. Jahrhundert typische ‘Granatapfelmotiv’.
Arbeiten des österreichischen Textilentwerfers Josef Frank der 1930er Jahre lassen sich aufgrund der Art, wie Pflanzen dargestellt werden, dem Mittelalter anschliessen. Ein Modell von Mary Katrantzou aus dem Jahr 2011 fügt sich in den barocken Garten. Aber auch in der Gartenbaukunst greift man historische Vorbilder auf: So entwirft der bekannte St. Galler Landschaftsarchitekt Hermann Wartmann 1907 den Park der Villa Wahnsinn im Stil des Barocks. Dieses zeitüberspannende Wandern zwischen Gärten und Textilien macht den besonderen Reiz dieser Ausstellung aus.
Dass sich Textildesigner bei der Gestaltung der Muster viele Freiheiten herausnehmen, stellt Sophie von Schwerin bei der botanischen Bestimmung der ‘textilen’ Pflanzen rasch fest – eine Rose ist doch nicht immer eine Rose, lautet ihr Resümee. Darin sieht Annina Weber die kreative Freiheit der Entwerfer, die sich aus einzelnen Versatzstücken Fantasiepflanzen schaffen oder natürliche Pflanzen unabhängig von ihrer Blütezeit kombinieren.
Wie Heinrich Heine sagt, sind Düfte die Gefühle der Blumen. Und so können in den Ausstellungsräumen die Düfte der Modepflanzen der jeweiligen Gärten gerochen werden: Erdbeeren und Lilien im Mittelalter, die Tuberose, eine der Lieblingsblumen von Louis XIV, im Barockgarten, Pfingstrosen im Reformgarten und Gräser und Gehölze im Garten der Moderne.
Den Weg durch das Dickicht der Textilien und Gärten planten die beiden Luzerner Szenografen Bernhard Duss und Marcel Glanzmann: Grosse Farbflächen an den Wänden bieten den auf Stoffen wuchernden Pflanzen einen idealen Hintergrund und setzen die Gartentypen durch verschiedene Farbstimmungen deutlich voneinander ab. Der Zürcher Landschaftsarchitekt Guido Hager und der australische Kostümhistoriker Peter McNeil halfen dem Team um Annina Weber inhaltlich auf dem rechten Pfad zu bleiben, ebenso wie die zahlreichen öffentlichen und privaten Leihgeber. Die Ausstellung erfolgt in Kooperation mit dem ILF Institut für Landschaft und Freiraum, Fachbereich für Theorie und Geschichte der Landschaftsarchitektur, HSR Hochschule für Technik Rapperswil.
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Info:
26. August 2015 – 1. März 2016
Furor floralis
Textilmuseum St. Gallen
Vadianstrasse 2
9000 St. Gallen
Schweiz
Öffnungszeiten:
täglich 10 – 17 Uhr
Sonderöffnung und Gruppenbesuche auf Anfrage
Öffentliche Führungen:
So, 13. September 2015 / 8. November 2015 / 10.Januar 2016 um jeweils 11 Uhr
Zur Ausstellung ist der Begleitband ‘Furor floralis’ erschienen.
Museumsnacht am Sa, 5. September 2015, ab 18 Uhr
Infos und Fotos freundlicherweise vom Textilmuseum St. Gallen zur Verfügung gestellt – vielen Dank!
Spannende Ausstellung. Die St.Gallner haben einfach eine glückliche Wahl getroffen!
Danke fürs Vorstellen, liebe Gudrun,
Jutta
bitte sehr, gern geschehen!
halli hallo,
lieben dank euch beiden für das freundliche echo!
nach einem der letzten museumsbesuche sagte ich zu meinem mann, dass sie nach meinem empfinden immer interessanter werden. durchaus nicht nur von den themen her, sondern auch von der aufbereitung, der ansätze, der kombination, der darstellung. das frühere museums-image von eher angestaubten orten, die ihre sammlungen präsentieren und die eher nur von sehr interessierten besuchern oder schulklassen besucht werden, ist längst passé. heute ist es doch, als befinde man sich mitten in einem riesigen sachbuch, das fächerübergreifend angelegt ist, aha-erlebnisse inculsive. mir gefällt das!
einen schönen sonntag noch und
beste grüsse
gudrun
Vielen Dank auch von mir! Das finde ich wieder sehr spannend und anregend und mir gehts wie Annette, auf die Idee bin ich auch noch nie gekommen. Danke dass du dir immer die Mühe machst!
Noch einen schönen Sonntag,
liebe Grüße, stoffmadame
Hallo Gudrun,
vielen Dank für Deinen sehr informativen Beitrag! Obwohl der gleiche Geschmack bei Garten- und Bekleidungsgestaltung, beispielweise verspielt oder formal, wenn man gleiche Zeiträume betrachtet, an sich nahe liegt, ist mir das noch nie so deutlich geworden.
Liebes Grüßle Annette.