Kreative Artikel zum Thema Quilten

Tapisseries Nomades

Eine hochinteressante Textilkunst-Ausstellung wird im Musée cantonal des Beaux-Arts in Lausanne (Schweiz) ab dem 25. März 2016 unter dem Titel ‘Tapisseries Nomades’ zu sehen sein. Man zeigt rund dreissig bedeutende Werke aus der Sammlung des 20. Jahrhunderts der ebenfalls in Lausanne ansässigen Fondation Toms Pauli.

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1961 wurde in Lausanne das Centre international de la Tapisserie Ancienne et Moderne (CITAM) mit dem Ziel eingerichtet, Textile Kunst zu dokumentieren und zu bewahren und vor allem ihre Kraft und ihren Ideenreichtum in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Man veranstaltete von 1962 bis 1995 sechzehn internationale Ausstellungen, die ‘Biennales de la tapisserie’, die zu radikalen Erneuerungen in der Szene führten, sich zu wichtigen Marksteinen der Textilkunst entwickelten und es aus Sicht der Künstler und der zahlreichen internationalen Besucher bis heute geblieben sind.

Dies ist dem Enthusiasmus von führenden Persönlichkeiten zu verdanken: allen voran dem französischen Künstler Jean Lurçat, der die Tapisserie in Frankreich erneuerte und belebte; Pierre Pauli, dem späteren Kurator des Musée des Arts Décoratifs sowie weiteren Honoratioren der Stadt Lausanne, die den Weitblick besassen, dadurch den Status der Tapisserie von einer nur dekorativen zu einer eigenständigen Kunstform anzuheben und ihr eine neue Bedeutung zu verleihen.

Sonia Delaunay: La Courbe grise 1970-1972, Wolle, 183 x 135 cm Fondation Toms Pauli. (c) Pracusa 2015097 Photo: AN, A. Conne, Lausanne

Sonia Delaunay: La Courbe grise
1970-1972, Wolle, 183 x 135 cm
Fondation Toms Pauli. (c) Pracusa 2015097
Photo: AN, A. Conne, Lausanne

Einige der ausstellenden Künstler liessen alte Traditionen hinter sich und benutzen ungewöhnliche Techniken und Materialien, um neue künstlerische Ausdrucksformen zu schaffen. Man wurde räumlich, dreidimensional. Die Werke transportierten nun Botschaften und es eröffneten sich neue Wege der Interpretation. Manche erfanden sich neu, ein immenses Potential an expressiver Innovation wurde freigesetzt und vollkommen neue Ideen hielten Einzug in die Textile Kunst. Dies führte nicht nur zu einem fundamentalen Umdenken, sondern auch zu neuer kritischer Rezeption in der modernen und zeitgenössischen Kunstgeschichte.

Jean Lurçat: Mexico 1954, Wolle 151 x 231 cm Fondation Toms Pauli, Lausanne Photo: AN, K. Seisdedos, Lausanne

Jean Lurçat: Mexico
1954, Wolle 151 x 231 cm
Fondation Toms Pauli, Lausanne
Photo: AN, K. Seisdedos, Lausanne

Die seit ihrer Gründung im Jahr 2000 in Lausanne ansässige Fondation Toms Pauli ist eine im In- und Ausland tätige Institution, deren Hauptaufgaben darin bestehen, Werke der alten und modernen Textilkunst zu pflegen und zu erhalten. Dieses im Besitz des Kantons Waadt befindliche Kulturerbe besteht aus einem bedeutenden Ensemble europäischer Tapisserien und Stickereien des 16. bis 19. Jahrhunderts, das dem Kanton 1993 von Mary Toms vermacht wurde und einer Sammlung zeitgenössischer Textilwerke, die im Jahr 2000 von der Association Pierre Pauli gestiftet wurden. Die Stiftung ist zudem Erbin des CITAM und betreut die diesbezüglichen Künstlerdossiers sowie die Fachbibliothek.

Lissy Funk: Lebensbaum 1964, Leinen, Baumwolle, 204,5 x 141 cm Fondation Toms Pauli, Lausanne Photo: A. Conne, Lausanne

Lissy Funk: Lebensbaum
1964, Leinen, Baumwolle, 204,5 x 141 cm
Fondation Toms Pauli, Lausanne
Photo: A. Conne, Lausanne

In den letzten Jahren konnte die Fondation Toms Pauli aufgrund ihres wachsenden Rufs ihre zeitgenössische Sammlung dank der Grosszügigkeit von Sammlern – darunter Alice Pauli – sowie Künstlern und Mäzenen mit zahlreichen wichtigen Werken erweitern. Während der ursprüngliche Bestand 46 Arbeiten umfasste, zählt er heute mehr als 200 Werke, die für die Bewegung der Neuen Tapisserie charakteristisch sind: Wandstücke, Reliefs, Installationen und Textilplastiken, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von europäischen, amerikanischen und japanischen Künstlern mit internationalem Ruf wie Magdalena Abakanowicz, Olga de Amaral, Jagoda Buić, Ritzi und Peter Jacobi, Mariette Rousseau-Vermette, Elsi Giauque und Naomi Kobayashi geschaffen wurden.

Elsi Giauque: Hommage à Meret Oppenheim, Detail 1985, Wolle, Leinen, Lurex, Baumwolle, Metall, Spiegel, 220 x 100 x 100 cm Fondation Toms Pauli, Lausanne Photo: Patrick Weyeneth, Ligerz

Elsi Giauque: Hommage à Meret Oppenheim, Detail
1985, Wolle, Leinen, Lurex, Baumwolle, Metall, Spiegel, 220 x 100 x 100 cm
Fondation Toms Pauli, Lausanne
Photo: Patrick Weyeneth, Ligerz

Nun richtete das Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne eine Einladung an die Fondation Toms Pauli, in seinen Räumen eine Ausstellung von selten gezeigten textilen Werken des 20. Jahrhunderts zu veranstalten. Die Geschichte der Stiftung deckt sich teilweise mit der des Museums: Das Kunstmuseum war Schauplatz der Biennalen, Meilensteinen der Textilkunst mit internationaler Ausstrahlung, deren wissenschaftliche Erbin die Stiftung ist. Während 2004 die Wandteppiche aus der Sammlung Toms (16. – 18. Jh.) in den Museumsräumen zu bewundern waren, steht dieses Jahr die zeitgenössische Sammlung der Stiftung im Mittelpunkt.

Die von der Fondation Toms Pauli für das Musée cantonal des Beaux-Arts konzipierte Ausstellung ‘Tapisseries nomades’ gewährt einen Überblick über die Entwicklung der Textilkunst von den 1960er bis in die 2000er Jahre – von den klassischen Wandteppichen zur Textilskulptur, von der Dekoration zur Installation. Die präsentierten Werke stammen ausschliesslich aus der Sammlung 20. Jahrhundert der Stiftung.

Pierre Daquin: Devenant 1968, Wolle, Goldfäden, 120 x 195 cm Fondation Toms Pauli Photo: A. Conne, Lausanne

Pierre Daquin: Devenant
1968, Wolle, Goldfäden, 120 x 195 cm
Fondation Toms Pauli
Photo: A. Conne, Lausanne

Die Schau, die rund dreissig teilweise monumentale Werke – darunter zahlreiche Neuerwerbungen – umfasst, zeigt einen kaum bekannten Teil der zeitgenössischen Textilsammlung der Stiftung. Die Auswahl veranschaulicht das Schaffen der Pioniere der Erneuerung der Tapisserie, darunter Jean Lurçat, Magdalena Abakanowicz, Jagoda Buić, Olga de Amaral, Elsi Giauque und Machiko Agano. Diese Kunstschaffenden unterschiedlicher Horizonte und Herkunftsländer erforschten neue Formen, Techniken und Materialien. Indem sie den traditionellen Wandteppich in eine raumgreifende Kunst verwandelten, trugen sie zum neuen Verständnis der Textilkunst als eines der wichtigsten künstlerischen Ausdrucksmittel bei.

Ritzi et Peter Jacobi: Textiel-Relief blanc 1969, Wolle, Sisal, 259 x 160 cm Fondation Toms Pauli, Lausanne Photo: A. Conne, Lausanne

Ritzi et Peter Jacobi: Textiel-Relief blanc
1969, Wolle, Sisal, 259 x 160 cm
Fondation Toms Pauli, Lausanne
Photo: A. Conne, Lausanne

Der Ausstellungstitel, ‘Tapisseries nomades’, spielt auf die Überlegungen an, die der berühmte schweizer Architekt Le Corbusier 1960 über die Rolle der bildenden Kunst und der Tapisserie als geistiger Belebung seiner urbanistischen und architektonischen Projekte anstellte:

‘Das Schicksal der heutigen Tapisserie zeichnet sich ab: Sie wird zum ‘Mural’ der Moderne. Zu ‘Nomaden’ geworden, leben wir in grossen Wohnhäusern mit Gemeinschaftseinrichtungen; je nach der Entwicklung unserer Familien wechseln wir die Wohnungen. […] Auf die Wände unserer Wohnungen können wir kein Mural malen. Dagegen lässt sich die Wollwand der Tapisserie nach Belieben von der Wohnungswand abnehmen, aufrollen und unter den Arm nehmen, um sie anderswo wieder aufzuhängen. Deshalb nenne ich meine Tapisserien ‘Muralnomad’.’ (Le Corbusier, ‘Tapisseries muralnomad’, in: Zodiac, Nr. 7, Mailand 1960)

‘Tapisseries nomades’ bezieht sich auch auf die Pionierarbeit von Kunstschaffenden in der Schweiz, Europa, den Vereinigten Staaten und Japan, die sich von der Wand als Träger abwandten, um raumgreifende Arbeiten zu schaffen.

Magdalena Abakanowicz: Abakan rouge III 1970-197, Sisal, 300 x 300 x 45 cm Fondation Toms Pauli Photo: A. Conne, Lausanne

Magdalena Abakanowicz: Abakan rouge III
1970-197, Sisal, 300 x 300 x 45 cm
Fondation Toms Pauli
Photo: A. Conne, Lausanne

Den Anfang der Ausstellung machen Werke, die hauptsächlich aus den 1960er Jahren datieren. Diese Stücke (Jean Lurçat (1892-1966), Frankreich; Sonia Delaunay (1885-1979), Ukraine/Frankreich; Josep Grau-Garriga (1929-2011), Spanien), die im Allgemeinen in mehreren Exemplaren auf einem Wirkstuhl geschaffen wurden, zeugen von der Erneuerung des Wandteppichs in den grossen Ateliers unter dem Impuls von Jean Lurçat. Gegenüber dieser Produktion zeichnen sich die Konturen einer neuen Generation von Künstlern aus den Ländern des Ostens ab. Von manchen als ‘neue Barbaren’ bezeichnet, erneuern sie das Medium auf ungewöhnliche Weise. Völlig unabhängig entwerfen und wirken sie Einzelstücke mit neuen Materialien wie Sisal, Leinen, Hanf oder Rosshaar, wie z.B. Magdalena Abakanowicz (* 1930); Maria Łaszkiewicz (1892-1981); Wojciech Sadley (* 1932), alle aus Polen.

Jagoda Buić: Flexion 2 1971, Sisal, Wolle, vergoldete Metallfäden, 265 x Ø 64 cm Fondation Toms Pauli Photo: AN, A. Conne, Lausanne

Jagoda Buić: Flexion 2
1971, Sisal, Wolle, vergoldete Metallfäden, 265 x Ø 64 cm
Fondation Toms Pauli
Photo: AN, A. Conne, Lausanne

Ab dem Ende der 1960er Jahre und vor allem dank der Biennalen in Lausanne, die eine Art Labor bildeten, wurde die Idee des klassischen Wandteppichs allmählich aufgegeben zu Gunsten raumgreifender Werke, die sich von der Wand befreiten und den Raum eroberten. Ungeniert wurden Formen, Volumen und Reliefs gestaltet. Einige liessen sich von alten Traditionen ihrer Heimat anregen (Olga de Amaral (* 1932), Kolumbien) oder schufen sehr persönliche Objekte, die ‘Tapisserie’ zu nennen das Publikum gelegentlich Mühe bekundete. Andere gaben die voll gewirkten Stücke auf und spielten in ihren Kompositionen mit Durchbrechungen und Leerstellen (Jagoda Buić (* 1930), Kroatien; Marguerite Carau-Ischi, (1928 †), Schweiz; Pierre Daquin (* 1936), Frankreich). In den 1970er Jahren wurden die Techniken immer aufwendiger (Lia Cook (* 1942), USA; Anne-Marie Matter (1936-2007), Schweiz) und die Werke mit poetischen oder symbolischen Elementen bereichert (Sheila Hicks (* 1934), USA; Elsi Giauque (1900-1989), Schweiz; Magdalena Abakanowicz).

Helen Frances Gregor: Totem n°5 1976, Wolle, 250 x 180 x 25 cm Fondation Toms Pauli, Lausanne Photo: Fibbi-Aeppli, Grandson

Helen Frances Gregor: Totem n°5
1976, Wolle, 250 x 180 x 25 cm
Fondation Toms Pauli, Lausanne
Photo: Fibbi-Aeppli, Grandson

Als die Nordamerikaner und Asiaten – mit den Japanern an der Spitze – Mitte der 1970er Jahre auf internationaler Ebene in Erscheinung zu treten begannen, entwickelte sich eine neue Ästhetik. Nun verwendeten die Kunstschaffenden auf besonders erfindungsreiche Weise alle Arten von Fasern (tierische, pflanzliche, künstliche). Seidenorganza, Papier und Metall fanden Eingang in die Tapisserien (Carol Shaw-Sutton (* 1948), USA; Machiko Agano (* 1953), Japan; Hideho Tanaka (* 1942), Japan; Beatrix Sitter-Liver (* 1938), Schweiz). Die Textilkunst wurde zur Fiber Art und entwickelte sich unter diesem amerikanischen Namen in aller Welt.

Machiko Agano: ohne Titel 1986, Seidenorganza, Bambus, 225 x 490 x 80 cm Fondation Toms Pauli, Lausanne Photo: A. Chudeau, Angers

Machiko Agano: ohne Titel
1986, Seidenorganza, Bambus, 225 x 490 x 80 cm
Fondation Toms Pauli, Lausanne
Photo: A. Chudeau, Angers

Alle präsentierten Künstlerinnen und Künstler nahmen an den Biennales internationales de la tapisserie in Lausanne teil, einige mit dem in der Ausstellung gezeigten Werk.

***

Info:

25. März – 29. Mai 2016

TAPISSERIES NOMADES
Fondation Toms Pauli
Sammlung 20. Jahrhundert

Musée cantonal des Beaux-Arts
Palais de Rumine
Place de la Riponne 6
1014 Lausanne
Schweiz

www.musees.vd.ch

Eröffnung:
Do, 24. März 2016, 18.30 Uhr

Infos und Fotos freundlicherweise vom Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne zur Verfügung gestellt – vielen Dank!

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Kommentare zu diesem Artikel

4 Antworten

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    • Gudrun Heinz BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

      halli hallo annette,
      wie schön, mal wieder von dir zu hören, vielen dank!
      ich habe alle fotos, die das museum zur verfügung gestellt hat, im bericht verwendet. wenn man das alter der werke bedenkt – einfach klasse, wie die nach all den jahren immer noch wirken. die fondation hat übrigens ein buch über die geschichte der lausanner biennalen in arbeit, das nächstes jahr herauskommen soll – ich vermute mal: mit vielen fotos.
      beste grüsse
      gudrun

  • stoffmadame BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

    Wow, das ist ja prächtig! Besonders das vorletzte Stück (Totem #5 wirkt ja umwerfend. Vielen Dank für den super spannenden Bericht, der den Horizont noch etwas weitet, da würde ich gern hin!
    Lg stoffmadame

    • Gudrun Heinz BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

      halli hallo stoffmadame,
      herzlichen dank für das tolle feedback!
      es verspricht wirklich eine spannende ausstellung auf hohem niveau zu werden. und vielleicht gibt es ja über die bevorstehenden oster-feiertage eine möglichkeit für dich, um an den genfer see zu kommen – eine sehr schöne gegend!
      und möglicherweise kann man die route so legen, dass man in pforzheim in der ausstellung ‘aufbruch textil’ vorbeischauen kann – das wäre quasi ein vorgeschmack! näheres dazu in den märz-ausstellungstipps
      https://blog.bernina.com/de/2016/02/ausstellungstipps-maerz-2016/
      und ob mans glaubt oder nicht, jetzt liegt das quasi vor meiner haustür, aber ich war leider noch nicht dort – schande über mich.
      bin gespannt, was du draus machst!
      beste grüsse
      gudrun

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