Ein Angebot, dem ich nicht widerstehen konnte, fand kürzlich in mein E-Mail-Postfach:
‘hallo liebe gudrun,
solltest du ein paar bilder von der gestrigen eröffnung wollen: einfach sagen.
lieben gruß – von uschi’
Auf alte Quiltfreundinnen ist eben Verlass. In diesem Fall war es Ursula Brenner, die mir so grosszügig ihre Fotos von der Eröffnung der Ausstellung ‘Textile Erinnerungen’ im tim Augsburg in Aussicht stellte. Ich überlegte nicht lange und fragte, ob sie ausser noch mehr Bildern bitteschön vielleicht auch noch einen Gastbeitrag für den BERNINA blog verfassen und zur Verfügung stellen könnte??? Sie war mit meinem Ansinnen einverstanden und wurde – trotz Grippe – aktiv.
Es ist mir eine ganz besondere Freude, Uschis Beitrag an dieser Stelle zu veröffentlichen und wünsche viel Spass damit:
Sonderausstellung „Textile Erinnerungen / Remembering Textiles“ im tim
von Ursula Brenner
Mit einer sehr gut besuchten Vernissage wurde am 26.2.2016 die neue Sonderausstellung „Textile Erinnerungen / Remembering Textiles“ im Staatlichen Textil- und Industriemuseum Augsburg / tim eröffnet. In Anwesenheit der beiden Künstlerinnen Kaoru Hirano (Japan) und Gali Cnaani (Israel) begrüßte Dr. Karl B. Murr, der Museumsleiter, die Herren Generalkonsuln Dr. Shaham-Ben Hayun (Israel) und Hidenago Yanagi (Japan).
Absolut stimmig und harmonisch umrahmt wurde die Vernissage von Darbietungen des Augsburger Leopold-Mozart-Quartetts. Zur Eröffnung war das „Prélude“ von Paul Ben-Haim zu hören. Zwischen den Grußworten der Herren Konsuln und der Einführung von Dr. Murr nahm die Komposition „Silent Flowers“ von Toshio Hosokawa die Zuhörerinnen mit auf eine akustisch-phantasievolle Reise und am Ende spielte das Quartett den 2. Satz aus Maurice Ravels „Quartett F-Dur“.
Im großen, lichtdurchfluteten Saal im 1. Stock des tim werden nun die ausgewählten rund 30 Werke der beiden Künstlerinnen perfekt präsentiert. Aufgeteilt in die Bereiche „Strukturen“, „Dekonstruktion“ und „Rekonstruktion“ und „Akte der Erinnerung“ zeigen die Exponate die grundverschiedene Vorgehensweise von Frau Cnaani und Frau Hirano bei jeweils gleichem Ausgangsmaterial (gebrauchte Kleidungsstücke).
Gali Cnaani, Jahrgang 1968, „zerlegt“ quasi die Teile in ihre einzelnen Komponenten, entflicht – entspinnt – entwebt – entnäht sie. Teilweise dann ausgebreitet auf feinstem Vorfilz entsteht so aus einem Ärmel, seines Schußfadens entledigt, ein Fächer,
während die „Kette“ mit ihren Kräuselungen immer noch von ihrer ursprünglichen Bestimmung erzählt.
Eine Jeans, erkennbar nur noch an Farbe, Bund und Seitennähten, wellt sich ohne ihre Köperbindung in Längs- bzw. Querfäden und gibt Einblick in ihr ursprünglich Inneres.
Ganz besonders und in jeder Hinsicht beeindruckend sind die Werke Gali Cnaanis aber, wenn sie vorhandene, gebrauchte Kleidung zerlegt, deren Struktur aufbricht, fein verändert, neu interpretiert, wieder mit anderen Teilen verbindet oder mit neu gewebten Untergründen oder Ergänzungen verbindet!
Sensationell, wie G.Cnaani zwischen die beiden Vorderteile einer gebrauchten gestreiften Bluse quasi deren Phantombild „in den Rücken“ auf Polyester und Kupfer einwebt!
Kaoru Hirano, Jahrgang 1975, hat eine andere Vorgehensweise: Sie trennt feine und feinste Gewebe, Gestricke, Gewirke in deren einzelne Fäden auf, knüpft diese aneinander, bis raumhohe Skulpturen entstehen, wie bei ihrer „Berliner Familie“.
Feinste Dessous-Gewirke dröselt K.Hirano auf, verknüpft diese kräuseligen Kunstfaser-Fäden wieder miteinander – und dann hängt so ein duftiger Traum, nur zusammengehalten von schwarzer Spitze, im Museum.
Aber auch eines der wertvollsten japanischen Kleidungsstücke, einen Kimono, hat Kaoru Hirano zu seinem Faden „zurückentwickelt“ und dann zum feinen, stabilen Netz einer Spinne geknüpft, geformt und aufgehängt.
Und dann glaubt man ihn förmlich zu sehen, den feinen, glitzernden, gleichmäßig und leise rinnenden Regen – bei ihrem „Regen DDR“ – Regenschirm.
Aufgetrennte rote Nikes, die Sohle am Boden, alles andere abgehoben, die Schnürsenkel noch gebunden: Man sucht ihn förmlich, den Turnschuhträger!
So unterschiedlich die beiden Künstlerinnen Cnaani Gali und Hirano Kaoru in ihrer Arbeits- und Vorgehensweise sind und so speziell die Exponate auch erscheinen, in der Ausstellung „Textile Erinnerungen / Remembering Textiles“ wird es dem Betrachter leichtgemacht, sich bis zu einem gewissen Punkt in die Werke einzudenken. Die unglaubliche Geduld, das Ausloten der unzähligen textilen Möglichkeiten, das Umsetzen der Überlegungen, Gedanken und Erfahrungen zum eigenen Thema, und dann die gekonnte Realisation – die Ausstellung ist auf alle Fälle einen Besuch wert!
Vielen herzlichen Dank, liebe Uschi, für diesen Genuss!
***
Info:
26. Februar – 8. Mai 2016
Textile Erinnerungen – Remembering Textiles
tim | Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg
Augsburger Kammgarnspinnerei (AKS)
Provinostrasse 46
86153 Augsburg
Zu der Ausstellung ist ein sehr schöner und informativer Katalog mit zahlreichen Abbildungen erschienen.
Öffentliche Führungen:
an folgenden Sonntagen (bitte mit Anmeldung):
10. April, 24.April, jeweils 14 Uhr, Gebühr: 4 EUR zzgl. Eintritt
Öffnungszeiten:
Di – So: 9 – 18 Uhr
am 1. Mai geschlossen
Text und Fotos (soweit nicht anders angegeben): © 2016 Ursula Brenner, Friedberg
Спасибо! Как интересно!!!
Пожалуйста, Таня, with pleasure!
halli hallo,
vielen herzlichen dank für das nette feedback! ja, fahrt doch mal nach augsburg – ich kann das nur unterstützen. nicht umsonst wurde das tim schon mehrfach ausgezeichnet.
und dann war doch noch was? allen blogleserinnen und -lesern eine schöne frühlingszeit und
Vielen Dank an Frau Brenner für diesen sehr informativen Beitrag und die wunderbaren Bilder und Dir, liebe Gudrun, fürs posten.
Augsburg Zoo steht schon seit einer ganzen Weile auf meiner da fahre ich-mal-hin-Liste. Diese Ausstellung ist schon ein ganz besonderer Anreiz!
Schöne Ostern für alle!
Liebes Grüßle Annette.
Herzlichen Glückwunsch,
so wie die großen Sender auf Ihre Auslandsstudios und die Zeitungen auf Ihre Auslandskorrespondenten angewiesen sind, bereichert eine bayerische Bloggerin das bunte Blogbild mit einem höchst interessanten Beitrag mit Gedanken und Werken zur Vergänglichkeit. Meine weitere Assoziation ist eine fast kriminalistische Auseinandersetzung mit der Kleidung und deren Materialien.
Vielen Dank an Sie, Frau Brenner für Ihren informativen Beitrag.
Ihr Wolfgang Heinz