Derzeit zeigt die PFORZHEIM GALERIE die Schau ‘Aufbruch Textil’, die in einer Reihe von Ausstellungen, die sich in der letzten Zeit mit der Erneuerung der klassischen ‘Tapisserie’ beschäftigen, steht, wie z.B. kürzlich in Zürich die Ausstellung ‘Der textile Raum’ im Museum Bellerive oder ganz aktuell die gerade im Moment in Lausanne noch laufende ‘Tapisseries Nomades’. Hier präsentiert das Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne eine von der Fondation Toms Pauli kuratierte Auswahl von rund dreissig bedeutenden Werken aus der Sammlung der Fondation, die aus den in Lausanne von 1962 bis 1995 durchgeführten ‘Biennales de la tapisserie’ hervorgegangen sind. Diese sechzehn internationalen Biennalen lieferten den Rahmen für eine radikale Erneuerung in der Textilkunst.

Ritzi Jacobi und Peter Jacobi: Weisses Textilrelief, Detail
2000/2016
Baumwolle, Sisal, Wolle, Kokosnussfaser
Leihgabe Peter Jacobi
Europäische, amerikanische und japanische Künstler wie Magdalena Abakanowicz, Olga de Amaral, Jagoda Buić, Ritzi und Peter Jacobi, Elsi Giauque oder Naomi Kobayashi wandten sich von den alten Traditionen ab und schufen mit vollkommen neuen Ideen, ungewöhnlichen Techniken und Materialien neue künstlerische Ausdrucksformen, die ein fundamentales Umdenken einleiteten. Wie ausführlich berichtet führt der Weg vom flach gewirkten, an der Wand hängenden (Bild-)Teppich hin zum Relief, zur Räumlichkeit und Dreidimensionalität, zur Textilskulptur.
In der Pforzheimer Ausstellung sind neben Leihgaben aus der Fondation Toms Pauli in Lausanne mit Werken von Magdalena Abakanovicz, Olga de Amaral, Jagoda Buić und Jean Lurçat verschiedene beeindruckende Arbeiten von Peter und Ritzi Jacobi zu sehen. Sie belegen, wie spannend diese Zeit des Umdenkens und Aufbruchs ist.
Diese Pioniere der Erneuerung der Tapisserie erforschten nicht nur neue Formen, Techniken und Materialien. Sie verwandelten den traditionellen Wandteppich auch in eine raumgreifende Kunst und trugen damit zum neuen Verständnis der Textilkunst als eines der wichtigsten künstlerischen Ausdrucksmittel bei.
Beginnen wir den Rundgang mit einem Detail aus der Arbeit von Jagoda Buić aus Kroatien, die im oberen Bild rechts zu sehen ist. Sie spielt in ihren Kompositionen mit Durchbrechungen und Leerstellen, mit Oberflächenstrukturen und metallischen Effekten.

Jagoda Buic: Variations en bleu, Detail
1971, Wolle, Sisal, Goldfäden
Leihgabe Fondation Toms Pauli, Lausanne
Die Polin Magdalena Abakanovicz, im damaligen Ostblockstaat auf sich allein gestellt und …
… von den heute selbstverständlich gewordenen internationalen Verbindungen abgeschnitten, fand vollkommen selbstständige Lösungen und …

Magdalena Abakanovicz: Le Centre ou Face
1976, Leinen, in Plexiglasständer
Leihgabe Fondation Toms Pauli, Lausanne
… überraschte mit Werken, die sich von der Wand lösten.

Magdalena Abakanovicz: Le Centre ou Face, Seitenansicht
1976, Leinen, in Plexiglasständer
Leihgabe Fondation Toms Pauli, Lausanne
Olga de Amaral aus Kolumbien erlangte …
… mit eigenwilligen Techniken internationale Anerkennung. Sie verwebt oder, wenn man so will, verflicht …

Olga de Amaral: Paisaje de Calicanto
1981, Leinen, Rosshaar, Wolle, Baumwolle
Leihgabe Fondation Toms Pauli, Lausanne
… bereits gewebte Streifen zur neuen Fläche und integriert – oftmals noch auch dick – umwickelte Stränge.

Olga de Amaral: Paisaje de Calicanto, Detail
1981, Leinen, Rosshaar, Wolle, Baumwolle
Leihgabe Fondation Toms Pauli, Lausanne
Ausgangspunkt der Ausstellung in der PFORZHEIM GALERIE sind drei Arbeiten von Ritzi und Peter Jacobi, deren Schaffen eng mit Pforzheim verknüpft ist.
Von 1960 bis ca. 1980 waren Prof. Peter Jacobi und seine damalige Lebenspartnerin Ritzi Jacobi gemeinsam künstlerisch tätig. Die zu dieser Zeit entstandenen textilen Reliefs wurden auf der Biennale in Venedig gezeigt und weltweit in bekannten Kunstmuseen ausgestellt und angekauft.

Ritzi Jacobi und Peter Jacobi: Weisses Textilrelief
2000/2016
Baumwolle, Sisal, Wolle, Kokosnussfaser
Leihgabe Peter Jacobi
In der Pforzheimer Ausstellung, die ich anlässlich des hochinteressanten Vortrags ‘Textilkunst’ der Kuratorin Regina M. Fischer besuchte, sind verschiedene beeindruckende Arbeiten von Peter und Ritzi Jacobi zu sehen …

Ritzi Jacobi und Peter Jacobi: Weisses Textilrelief, Detail
2000/2016
Baumwolle, Sisal, Wolle, Kokosnussfaser
Leihgabe Peter Jacobi
… teils überdimensional gross, ja monumental und angesichts der Materialfülle …
… auch so schwer, dass sie nur mit Hilfe von Manpower und einer Hebevorrichtung an die Wand zu bringen sind.

Ritzi Jacobi und Peter Jacobi: Rotes Textilrelief
1975
Kokosnussfaser, Sisalfaser, Baumwolle, Wolle, Seide, Ziegenhaargarn
Leihgabe Peter Jacobi
Ebenfalls als Zuhörerin anwesend war eine Dame, die in über 100 Arbeitsstunden in Prof. Peter Jacobis Atelier restaurierte – Schwerarbeit!

Ritzi Jacobi und Peter Jacobi: Rotes Textilrelief, Detail
1975
Kokosnussfaser, Sisalfaser, Baumwolle, Wolle, Seide, Ziegenhaargarn
Leihgabe Peter Jacobi
Diesen klassischen Werken der Textilkunst hat die Ausstellunskuratorin Regina M. Fischer Arbeiten von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die im Bereich Textilkunst interessante Positionen vertreten, gegenübergestellt.
Vertreten sind Angelika Arendt (1975) aus Berlin, Nora Bachel aus Wien (1950), Olaf Holzapfel, Berlin (1969), Sybille Hotz, Berlin (1968), Dorit Kempe aus Halle (1968), Yvonne Kendall, Reutlingen (1965), Jens Risch aus Berlin (1973), Peter Rösel, Berlin (1966), Heike Weber aus Köln (1962). Leider bestand für diese Werke – bis auf die ‘Fadeninstallaltion’ von Angelika Arendt (im unteren Bild links) jedoch keine Fotoerlaubnis. Das ist sehr schade, aber zu respektieren. Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich!
Textile Materialien sind in der Gegenwartskunst zu selbstverständlichen Werkstoffen geworden, die neben vielen anderen Materialien frei Verwendung finden. Kunstschaffende bedienen sich alter Stoffe oder Naturmaterialien wie Stroh und Seidenschnüren …
… ebenso wie verschiedener Techniken, auch aus dem Bereich der traditionellen ‘Handarbeiten’. Dabei arbeiten sie nicht in erster Linie auf bzw. gegen eine Tradition bezogen, sondern in vielfältigen Kontexten, zuweilen mit einem Augenzwinkern, als Symbole oder Grundlage für abstrakte Ausdrucksformen.
Die PFORZHEIM GALERIE zeigt – wie bereits angekündigt – die Ausstellung ‘Aufbruch Textil’ noch bis zum 22. Mai 2016, dem diesjährigen internationalen Museumstag, an dem eine sehr empfehlenswerte Kuratorinnenführung mit Regina M. Fischer stattfindet.
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Info:
14. Februar – 22. Mai 2016
Aufbruch Textil
PFORZHEIM GALERIE
Bleichstrasse 81
75173 Pforzheim
Eintritt frei
So, 22. Mai 2016, 11 Uhr:
Kuratorinnenführung mit Regina M. Fischer
Alle Fotos: © 2016 Gudrun Heinz mit freundlicher Erlaubnis der Galerie
Hallo Gudrun,
vielen Dank für deinen ausführlichen Ausstellungsüberblick!
Ohne deine Info hätte ich bestimmt die interessante
Ausstellung im Württemberg Museum verpasst.
Grüßle aus Fulda Anne
Liebe Gudrun,
herzlichen Dank für Deinen Tipp, sehr spannend und wieder mal toll vorgestellt! Mal sehen, ob ich es dorthin schaffe. Habe gerade das Guggenheim bestaunt, spannende Arbeiten -auch von Frauen- gesehen, aber nichts Textiles :-(.
Gruß monika
halli hallo monika,
ein grosses dankeschön auch an dich. guggenheim? warst du in new york oder in einer dépendance? egal, beneidenswert!
beste grüsse
gudrun
In Bilbao . Super!
Plan das mal ein ;-), lohnt sich !
LG monika
erst nach der ausstellung in ste marie-aux-mines und den sich anschliessenden – leider. ich versuche schon seit jahren, das guggenheim in venedig zu besuchen und jedesmal, wenn ich in dieser richtung unterwegs bin, ist entweder geschlossen oder es passt was anderes nicht 🙁 aber vielleicht klappt es ja irgendwann mit deinem tipp. ich werd es mir merken, danke sehr!
Hallo Gudrun,
wie eh und je ausgewogene, interessante Ausstellungstipps und Kommentare. Die Mischung macht’s und das gelingt dir gut.
Herzliche Grüße von der kühlen aber sonnigen Ostseeküste
Birgit
halli hallo birgit,
hab vielen dank für dein freundliches lob! da ich ja abhängig bin von angebot und meinen persönlichen möglichkeiten, freut mich dies besonders.
beste grüsse aus dem regen nach norden!
gudrun
Superspannend, das würde ich mir auch anschauen, ich finde sowas total inspirierend. Leider kann man ja aber nicht alles machen.
halli hallo nette,
vielen herzlichen dank! freut mich sehr zu lesen. ja, du hast recht, ausstellungen dieser art sind wirklich inspirierend und zünden wieder neue ideen. ich liebe sowas, aber man muss natürlich auch prioritäten setzen. um so schöner, dass der BERNINA blog so vielfältige beiträge bereithält.
beste grüsse
gudrun
Traumhaft und hochinteressant! Und der Ausstellungsort: Erreichbar! Ich werde sie mir nicht entgehen lassen, die Ausstellung. Danke!
halli hallo luitgard,
1000 dank! ja, fahr unbedingt hin, es lohnt sich wirklich. auch wenn es zur zeit ein thema zu sein scheint, wer weiss, wie lange noch und vor allem, in welchem – womöglich weit entfernten – museum. ich wäre ja auch gern in die schweiz gereist, klappt aber bei mir zur zeit leider nicht. wenn du nach pforzheim fährst: bitte auf die öffnungszeiten achten! und dann viel spass!
schöne pfingsten und
beste grüsse
gudrun