Kreative Artikel zum Thema Quilten

Der Hang zur Exotik

Fremd, gewagt und extravagant wirken die Luxusstoffe des frühen 18. Jahrhunderts – auch heute noch. Die verblüffenden Muster dieser rund 300-jährigen Seidengewebe spiegeln einen ausgeprägten Hang zur Exotik wider. In der neuen Sonderausstellung der Abegg-Stiftung in Riggisberg (Schweiz) ‘Der Hang zur Exotik – Europäische Seiden des 18. Jahrhunderts’ sind die schönsten Beispiele dieser ‘verrückten’ Mode ab dem 29. April 2018 zu bewundern.

Manteau eines Damenkleides
Frankreich oder Italien, 1720–1730
Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 4093
Die Seidenstoffe mit exotischen Mustern waren überwiegend für die Konfektion von Damen- und Herrengewändern bestimmt. Das Muster dieser Seide zeigt einen sehr hohen Rapport mit übernatürlich grossen Pflanzenmotiven.
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

Modische Prachtentfaltung bestand im 18. Jahrhundert vor allem darin, reich gemusterte Seidenroben zu tragen. Während sich die Schnitte für Damen- wie auch für Herrenkleidung kaum änderten, gab es bei den Stoffmustern regelmässig neue Kollektionen. Mehrere Trends entwickelten sich. Allen gemeinsam war die Vorliebe für fremdartige Motive und extravagante Kompositionen, die exotische Welten anklingen liessen. Die weitgehend chronologisch aufgebaute Ausstellung geht dieser Entwicklung nach und präsentiert die eindrucksvollen Musterstile und auch einige Gewänder, die von 1690 bis 1740 en vogue waren.

Manteau eines Damenkleides, Detail
Frankreich oder Italien, 1720–1730
Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 4093
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

Bizarre Seiden

Einen der Höhepunkte der Ausstellung bilden die sogenannten ‘bizarren Seiden’. Diese entstanden ungefähr von 1690 bis 1720 und gehören zum Exotischsten, was die Seidenwebereien je hervorgebracht hatten.

Seidengewebe mit rotem Damastgrund
Frankreich oder Italien, 1700–1710
Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 255
Aus einem hellen Körbchen wachsen Pflanzen mit schirmartigen Blüten. Die restlichen Motive lassen sich kaum beschreiben. Kein Wunder also, dass Stoffe mit solchen Mustern heutzutage als ‘bizarre Seiden’ bezeichnet werden.
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

Ihre Muster sind so einfallsreich und bizarr gestaltet, dass sie sich kaum in Worte fassen lassen. Es finden sich geometrische Formen und phantastische Gebilde, kombiniert mit nie gesehenen Pflanzen und seltsamen Schatten. Die einzelnen Motive sind zwar deutlich vom Gewebegrund wie auch voneinander abgegrenzt, können aber oft nicht identifiziert, sondern nur assoziativ mit Gegenständen oder Wesen in Verbindung gebracht werden. Hier scheint nicht die Natur Vorbild gewesen zu sein. Manche Gegenstände muten gar heute noch futuristisch an. Die kräftigen Farben und die Verwendung von Gold- und Silberfäden machen diese Gewebe noch aufsehenerregender. Kaum zu glauben, dass die Damen und Herren der Oberschicht Kleider aus so bunten und wild gemusterten Stoffen trugen.

Seidengewebe mit orangefarbenem Damastgrund
Frankreich oder Italien, 1700–1710. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 5766
In dem skurrilen Muster finden sich turmartige Gebilde und Pflanzenmotive, die eigenartige Schatten werfen. Die Motive sind in gegenläufiger Ausrichtung dargestellt und erzeugen über die Länge der Gewebebahnen eine dynamische Zickzacklinie.
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

Der Ursprung dieser Stilphase wird in asiatischen Kunstformen vermutet, ohne dass bisher exakte Vorbilder dafür gefunden werden konnten. Die Musterzeichner übernahmen nur einzelne, exotisch anmutende Motive und wandelten sie nach eigenen Vorstellungen um. Vor allem aber orientierten sie sich wohl an fernöstlichen Gestaltungsprinzipien. Dazu gehört zum Beispiel die Bevorzugung von asymmetrischen Kompositionen mit grossen, bewegten, oft diagonal angeordneten Einzelmotiven, die in den Augen der Europäer ohne logischen Sinnzusammenhang kombiniert wurden und deshalb so exotisch wirkten.

Seidengewebe mit blauem Damastgrund
Frankreich oder Italien, 1700–1710
Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 2182
Das schwungvolle Muster mit eigenartigen goldfarbenen Motiven belegt, wie kreativ die damaligen Textildesigner waren. Ihre Entwürfe entstanden zum Teil in Anlehnung an ostasiatische Gestaltungsprinzipien.
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

‘Persiennes’ oder Spitzenmusterseiden

Nach den bewegten, überbordenden Kompositionen der bizarren Seiden verfiel die nächste Modeströmung – sie dauerte etwa von 1720 bis 1730 – sozusagen ins Gegenteil: Nun waren symmetrische Muster mit filigranen Strukturen angesagt, die mit ihren in Weiss gehaltenen Ziergründen an zarte Spitzen erinnern.

Seidengewebe mit violettem Grund
Frankreich oder Italien, 1725–1730
Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 5289
Seiden mit symmetrischen Mustern, die stilisierte Pflanzen und Bänder mit filigranen, durchbrochenen Strukturen zeigen, wirkten für die damaligen Menschen exotisch. Sie erinnerten sie an orientalische Ornamentformen.
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

Die Vorbilder für diese durchbrochenen Dekorelemente sind jedoch weniger in europäischen Beispielen, sondern vielmehr in der orientalischen Ornamentik zu suchen. Einige französische Entwurfszeichnungen für solche Muster tragen denn auch die Aufschrift ‘persienne’. So werden sie auch in der älteren Literatur genannt. Erst in späterer Zeit gab die Kunstgeschichte diesem Stil aufgrund seines Aussehens den Namen ‘Spitzenmuster’. Gewänder aus derartigen Geweben fanden oft im Zusammenhang mit offiziellen, repräsentativen Angelegenheiten Verwendung. Aber auch im privaten Ambiente wurden sie getragen. In der Ausstellung ist beispielsweise ein hellblau und weiss gemusterter Hausmantel mit passender Mütze zu sehen. So eine Aufmachung trug der modebewusste Herr zu Hause über Kniehose und Hemd. Der weite, kimono- oder kaftanähnliche Schnitt des Gewandes war bequem und exotisch zugleich.

Seidener Hausmantel
Italien, 1720–1730. Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 5546 a
Ein solcher Hausmantel wurde von vornehmen Herren in privater Umgebung als zwanglose und dennoch elegante Robe über Kniehose und Hemd getragen. Sein kimono- oder kaftanähnlicher Schnitt spiegelt das verbreitete Interesse an orientalischen und fernöstlichen Moden. Die passende Kopfbedeckung ersetzt die förmlichere Perücke.
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

Der gar nicht so natürliche Naturalismus

Ab den 1730er Jahren ist der sogenannte naturalistische Stil vorherrschend. Dieser zeichnet sich durch eine besondere Vorliebe für bunte Pflanzenmotive aus, welche in einer bislang nicht gekannten malerischen und perspektivischen Umsetzung auf dem Webstuhl ausgeführt wurden. Eine einheitliche Lichtführung, reicher Gebrauch von Helligkeit und Schatten und graduelle Farbabstufungen lassen die Motive naturgetreu und dreidimensional erscheinen. Ein wichtiges Gestaltungsmittel waren ineinander verzahnte, verschiedenfarbige Schussfäden. Sie ermöglichten feinste Farbübergänge, die der gewebten Darstellung eine malerische Qualität verliehen. Auch beim naturalistischen Stil gibt es viele Stoffmuster mit exotischem Einschlag. Zum einen finden sich tropische Früchte und Pflanzen, die damals in Europa noch kaum bekannt waren. Ein Gewebe in der Ausstellung zeigt zum Beispiel Ananasfrüchte und Bananenblüten. Viel öfter jedoch sind die Gewächse, Blumen und Früchte der Phantasie der Musterentwerfer entsprungen. Ihre Proportionen sind verfremdet und die ausdruckstarken bunten Blütenköpfe wirken oft überdimensioniert. Die realistische und dynamische Gestaltungsweise lasst diese merkwürdigen Pflanzen aber trotzdem natürlich erscheinen, als stammten sie aus einem fernen Land.

Seidengewebe mit Blumen
Frankreich, Lyon, 1725–1730
Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 1745
Die malerische und dynamische Darstellungsweise lässt die merkwürdigen Pflanzen natürlich erscheinen, als stammten sie aus einem fernen Land. Dabei sind sie der Fantasie des Musterentwerfers entsprungen.
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

Chinoiserien

Eine eher märchenhaft-romantisierende Stilform im vielfältigen Seidenmusterkatalog des 18. Jahrhunderts stellen die sogenannten Chinoiserien dar, bei denen die exotischen Einflüsse auch am deutlichsten zutage treten: Hier finden sich pittoreske Darstellungen mit chinesischem Porzellan, fernöstlichen Pagoden, asiatisch anmutenden Figuren und Schriftzeichen. Die einzelnen Motive werden spielerisch miteinander kombiniert und kunstvoll zu kleinen Szenen und ansprechenden Musterrapporten arrangiert. Dabei ging es weniger um eine naturgetreue Darstellung asiatischer Lebensformen, vielmehr trieben die europäischen Phantasievorstellungen von fernen Ländern, ihren Bewohnern und deren Lebensweise mitunter kuriose Blüten. Besonders deutlich ist dies an einem holländischen Seidengewebe in der Ausstellung zu sehen, wo Chinesen osmanische Turbane tragen. Chinoiserien entstanden von etwa 1720 bis 1740.

Seidengewebe mit Karpfen und Büchern
Niederlande, Amsterdam, 1735–1745
Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 865
Das Muster dieses Stoffes zeichnet sich durch eine extravagante Kombination fernöstlich inspirierter Darstellungen aus. Es zeigt Karpfen, aus denen Stauden mit exotischen Früchten wachsen, und aufgeschlagene Bücher mit asiatisch wirkenden Schriftzeichen.
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

Inspirationen aus fremden Welten

Wie aber kommt es, dass diese Stoffe so ungewöhnliche, fremdartige Dekors aufweisen? Woher nahmen die damaligen Stoffdesigner ihre Ideen? Ausschlaggebend war wohl die allgemeine Begeisterung jener Zeit für Waren und Kunstwerke aus dem Nahen und Fernen Osten, die seit dem 17. Jahrhundert über den Seehandel nach Europa gelangten. Die Schiffe der britischen und niederländischen Handelskompanien brachten nicht nur Tee und Gewürze aus Asien mit, sondern auch Porzellan, Papiertapeten, Lackarbeiten und Textilien. Diese Importe beflügelten die Kreativität der Musterentwerfer. Zudem blätterten die Entwurfsspezialisten offensichtlich gerne in illustrierten Reiseberichten aus fernen Ländern. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist in der Ausstellung zu sehen, nämlich Johan Nieuhofs 1665 herausgegebenes Buch über die Chinareise einer Gesandtschaft der niederländischen Ostindiengesellschaft. Nieuhof begleitete die Expedition und verfasste einen reich bebilderten Bericht über das Land und seine Bewohner. Seine Illustrationen waren eine ergiebige Inspirationsquelle für jene einheimischen Künstler, die ihre noble Kundschaft mit immer neuen Motiven aus der grossen weiten Welt überraschen wollten.

Seidengewebe mit Elefanten und Buddhas
Südliche Niederlande, Enghien, 1725–1740
Abegg-Stiftung, Inv. Nr. 4155
Ein weisser Elefant und ein sitzender Buddha sind mit Schmetterlingen und Pflanzen, die teils natürlich wirken, teils wohl erfunden sind, kunstvoll zu einem Musterrapport arrangiert.
©Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg, Foto: Christoph von Viràg

Die Textilien in dieser Sonderausstellung beeindrucken nicht nur mit ihren phantasievollen Mustern. Allein die darin verarbeiteten Materialien – Seiden-, Gold- und Silberfäden – machen deutlich, dass es sich um absolute Luxusgüter handelte. Auch die Herstellung solcher Gewebe war zeitaufwendig und teuer, das Weben setzte viel technisches Know-How voraus. Um Stoffe mit so wilden oder kleinteiligen Dekors herstellen zu können, musste der Webstuhl zuerst entsprechend eingerichtet bzw. ‘programmiert’ werden. Es entwickelte sich ein hochspezialisierter Wirtschaftszweig, der die Ansprüche der Aristokratie und des gehobenen Bürgertums befriedigte. So vereinen sich in diesen Stoffen kostbare Materialien, verblüffende Kreativität, Fachwissen und Technik – eine faszinierende Kombination, die seinerzeit für einige Jahrzehnte den Modegeschmack der feinen Gesellschaft dominierte.

***

Info:

29. April – 11. November 2018

Der Hang zur Exotik
Europäische Seiden des 18. Jahrhunderts

Abegg-Stiftung
Werner Abeggstrasse 67
3132 Riggisberg
Schweiz

www.abegg-stiftung.ch

Öffnungszeiten:
täglich 14 – 17.30 Uhr

Führungen

 

Fotos und Informationen freundlicherweise von der Abegg-Stiftung zur Verfügung gestellt – vielen Dank!

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