Noch bis zum 15. September 2019 zeigt The 62 Group eine neue Ausstellung zum Thema ‘CONSTRUCT’ in der Sunny Bank Mills Gallery in der Nähe von Leeds (UK). Die Galerie hat einen guten Ruf für die Präsentation zeitgenössischer Textilkunst – und das in einem Kontext, der reich an historischen Bezügen zu Textilien ist.
The 62 Group ist eine 1962 in Grossbritannien gegründete Gruppe professioneller Textilkünstler*innen, deren wechselnde Mitglieder sich seither der Verwendung von Textilien als künstlerischem Medium verschrieben haben und ein ehrgeiziges Ausstellungsprogramm verfolgen. Jedes Jahr werden neue Mitglieder in die Gruppe aufgenommen, während andere sie verlassen, so dass die Zahl mit rund 50 ausstellenden Mitgliedern in der Regel relativ konstant bleibt. Die Gruppe hat eine strenge Auswahlpolitik für jede Ausstellung: Mitglieder, deren Arbeiten bei drei aufeinanderfolgenden Shows nicht akzeptiert wurden, verlieren ihre Mitgliedschaft. Dies soll einen hohen Standard aufrechterhalten und die Arbeiten der Gruppenmitglieder auf dem neuesten Stand halten. Heute kommen die Mitglieder aus Grossbritannien, den Niederlanden, Ungarn, Südafrika, den USA und Japan.
Das Thema ‘CONSTRUCT’ bietet eine Vielfalt an Inspirationen. Die Mitglieder der Gruppe waren in der Interpretation des Themas frei und es konnten auch dreidimensionale Arbeiten eingereicht werden. Vorstellbar waren z.B. eine systematische Zusammenstellung von Stoffen oder Teilen – gebaut oder montiert; eine gedankliche Auseinandersetzung; eine geometrische (Konstruktions-)zeichnung oder Interpretationen rund um die Konstruktion von Ideen, Argumenten und Erzählungen.
Debbie Lyddon beispielsweise beteiligt sich an der Ausstellung mit ihrer Installation ‘Black Beach’. Die Künstlerin lebt und arbeitet an der Küste von Norfolk und ihre Mixed-Media-Stoffe, Skulpturen, Installationen und Zeichnungen entstehen aus Gedanken und Erinnerungen, denen Erlebtes, Beobachtetes oder auch Gehörtes zugrundeliegen. Sie experimentiert mit nicht-traditionellen Materialien, die einen Bezug zu ihrer Umgebung, der Küste, haben, wie Salz, Meerwasser, Wachs und Bitumen, um die natürlichen Eigenschaften von Stoffen zu verändern und seine Grenzen zu erweitern.
So auch bei ‘Black Beach’. Der Strand ist nie der gleiche wie am Tag zuvor. Wetter, Wind, Wasser, Wellen kommen und gehen, bringen und nehmen mit. So kam sie auf die Idee, Meerestiere, die am Strand angespült wurden, darzustellen – und zwar Muscheln, die einen historischen Bezug zur Gegend haben – und damit einen kurzen, aber wunderbaren Moment festzuhalten. Jedes ihrer ‘Geschöpfe’ kam in ein Salzwasserbad, der Stoff saugte sich voll und trocknete über zwei Wochen lang. Das Ergebnis: nicht nur eine zufällige Musterung, sondern auch Authenzität.
Das Wichtigste für die Künstlerin aber ist, wie man in ihrem Blog nachlesen kann, ‘die wachsende Erkenntnis, dass Kreativität aus der Verarbeitung meiner emotionalen und intellektuellen Erfahrungen … tief in meinem Inneren entsteht. Die daraus resultierende Arbeit ist keine Nachahmung der Welt, sondern eine Möglichkeit, meine persönlichen Beobachtungen ihrer unzähligen Erscheinungsformen zu enthüllen.’
Die Ausstellung findet an einem interessanten Ort, der Sunny Bank Mills Gallery, statt, so dass sich Werke auch auf das Mühlengebäude selbst und das textile Erbe des Ortes beziehen konnten. Anfang dieses Jahres hatten die Gruppenmitglieder die Möglichkeit, an einer Führung durch Sunny Bank Mills einschliesslich der faszinierenden Mühlenarchive und einiger reizvoller verlassener Gebäude, die demnächst abgerissen werden sollen, teilzunehmen.
Sunny Bank Mills wurde 1829 als Textilfabrik gegründet. Das Gelände und die Gebäude wuchsen und entwickelten sich bis 1929. Das Geschäft gedieh und es wurden hauptsächlich Kammgarnstoffe für Anzüge hergestellt und an namhafte Kunden weltweit geliefert. Seit der Schliessung wurden die Mühlengebäude neu gestaltet, restauriert und sind heute ein florierendes Zentrum für gewerbliche und kreative Unternehmen, in dem die lichtdurchflutete Galerie den Mittelpunkt bildet.
Das Sunny Bank Mills-Archiv ist ungewöhnlich, nämlich ein intaktes, noch am Ort befindliches Archiv eines Textilherstellers. Es präsentiert einen einzigartigen Blick auf 180 Jahre Stoff, der hier hergestellt wurde, anhand von Tausenden Stoffbahnen, Stoffdesigns und Hunderten von Musterbüchern, dazu umfasst es 5.000 Rezeptkarten für das Wollefärben sowie Wirtschafts- und Kassenbücher. Das Archiv ist an jedem ersten Mittwoch im Monat von 10 bis 12 Uhr Uhr (freier Zugang) oder nach Vereinbarung für die Öffentlichkeit zugänglich.
Info:
20. Juli – 15. September 2019
CONSTRUCT: The 62 Group of Textile Artists
Sunny Bank Mills Gallery
83 – 85 Town Street
Farsley
Leeds
LS28 5UJ
England
www.sunnybankmills.co.uk/gallery
www.62group.org.uk
Fotos und Informationen freundlicherweise von der Galerie und Debbie Lyddon zur Verfügung gestellt – vielen Dank!
Weitere Ausstellungen finden Sie auf meiner Website in der Rubrik AUSSTELLUNGSKALENDER.
Hallo Gudrun,
sehr interessante Textilkunst. Toller Bericht, danke.
Viele Grüße
Birgit
Liebe Gudrun,
vielen Dank für Deinen Bericht! Ich habe diese Gruppe schon lange “in den Augen” – und die Ausstellungen dieser KünstlerInnen sind für mich immer erste Sahne!
Liebe Grüße Luitgard