COWandMORE
In der Geschäftsstelle der Patchwork Gilde Deutschland e.V. in Dortmund ist derzeit die Ausstellung ‘COWandMORE’ zu sehen und noch vom 7. – 28. Januar 2020 zu besichtigen.
Diese 50 Werke umfassende Ausstellung basiert auf dem Stickprogramm Guldusi, einem Projekt der Deutsch-Afghanischen Initiative DAI e.V., deren Ziel die Hilfe für Frauen und Kinder, die Förderung von Bildung und die Unterstützung von Nomaden in abgelegenen Gebieten in Afghanistan ist. ‘COWandMORE’ kam durch die Zusammenarbeit von vier Partnern zustande: Neben der DAI waren noch MADEIRA Garne, BERNINA International und die Deutsche Patchwork Gilde e.V. daran beteiligt.
Viele Frauen in Afghanistan sind geschickte Stickerinnen. Seit 2004 in Laghmani, Afghanistan, das Stickprogramm Guldusi besteht, bietet dies für die Teilnehmerinnen eine Möglichkeit, mit ihrem Können Geld zu verdienen. Gleichzeitig will die DAI dazu beitragen, dass die Tradition der Handstickerei bestehen bleibt und über Generationen weitergegeben wird.
Für ‘COWandMORE’ wurden sie gebeten, Kühe zu sticken. Pascale Goldenberg, die sich seit Beginn für das Stickprogramm engagiert, schreibt dazu: ‘Warum Kühe? In den über zehn Jahren an Besuchen auf den afghanischen Dörfern kann man zwei grosse Fortschritte feststellen: die Väter haben verstanden, dass nicht nur ihre Söhne, sondern auch ihre Mädchen zur Schule müssen. Der zweite sichtbare Fortschritt sind Kühe. Vor über 10 Jahren hat man nur selten eine Kuh auf einem Hof gesehen. Heutzutage sind sie nicht mehr rar und viele Stickerinnen können sich inzwischen – wenn auch nicht jedes Jahr – eine Kuh leisten.’
Nach der auch im BERNINA blog erfolgten europaweiten Ausschreibung, bei der eine kreative Weiterverarbeitung gewünscht wurde (hier nochmals mit Fotos nachzulesen), entstand eine sehenswerte Ausstellung, die u.a. bereits bei den Patchworktagen der Gilde in Dinkelsbühl zu sehen war, wo meine Fotos entstanden sind.
Hier auf dem Blog gibt es noch weitere Artikel, die hier zu finden sind.
Info:
noch vom 7. – 28. Januar 2020
COWandMORE
Geschäftsstelle der Patchwork Gilde Deutschland e.V.
Kampstrasse 34
(Eingang Petergasse)
44137 Dortmund
Deutschland
www.patchworkgilde.de
www.guldusi.com
Öffnungszeiten:
Di und Mi: 10 – 12 Uhr
Do: 13 – 17 Uhr
Freitag: 11 – 13 Uhr
und nach telefonischer Vereinbarung
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Taking a Thread for a Walk
Im Oktober 2019 eröffnete das renommierte New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) neu: Das wohl prominenteste Museum für moderne und zeitgenössische Kunst wurde für 450 Millionen Dollar erweitertet, renoviert und umgestaltet.
Die Expansion erlaube es, das Museumserlebnis nun neu zu entdecken, so MoMA-Direktor Glenn Lowry. Bisher folgte die Ausstellungspräsentation einer linearen Historiografie, eingeführt von Gründungsdirektor Alfred Barr, der die neue, vorwiegend europäische Kunst nach formellen und chronologischen Kriterien ordnete. Dieser Kanon der modernen Kunst – eine Abfolge von Ismen, vom Impressionismus bis zum Minimalismus – bestimmte bis in die 1980er Jahre hinein auch die kunsthistorische Lehre. Seit Längerem wird diese Idee zerlegt und weltweit haben Museen spätestens seit der Jahrtausendwende begonnen, nachzuziehen, so auch das MoMA. Bei der Neukonzeption des Museums habe man sich von Barrs Vision des ‘Museums als Labor’ leiten lassen, die er von seiner Reise an das Bauhaus im Jahr 1927 mitgebracht hatte, so Lowry weiter.
Eine grobe Gliederung der Sammlung in drei Epochen gibt es zwar immer noch, aber es ist nun dem Besucher selbst überlassen, welche der mehr als 60 verschiedenen, thematisch organisierten Galerien er entdecken möchte – und in welcher Reihenfolge. Dazu kommt, dass nun alle sechs Monate ein Drittel der Dauerausstellung ausgetauscht werden soll. Waren bisher nur ein Bruchteil der rund 140.000 Kunstwerke – der Rest befand sich im Depot – zu sehen, so sollen nach eineinhalb Jahren alle Werke einmal – in neuen thematischen Kontexten – ausgestellt gewesen sein. Ein Verfahren, das Besucher dazu animiert, immer mal wieder ins Museum zu schauen, da sich alles ständig weiterentwickelt und ändert.
Ein weiterer erneuernder Effekt ist, dass das Museum mehr Frauen und Minderheiten zeigen möchte, nicht nur aus den USA, sondern auch aus Afrika, Asien und Südamerika. Ausserdem spielen Fotografie, Design, Architektur und Performance eine immer grössere Rolle. So beispielsweise ‘Designs for Modern Life’: Diese Installation befasst sich eingehend damit, wie in der Zwischenkriegszeit in Europa neue Lebens- und Arbeitsweisen gestaltet wurden. Hier stehen die sog. Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky und auch das Bauhaus im Mittelpunkt.
‘Taking a Thread for a Walk’ (in den Philip Johnson Galleries im dritten Stock des Museums) untersucht die Entwicklung der textilen Kunst zwischen etwa 1890 und 1970: ein ‘Spaziergang’, der, von alten Textiltraditionen ausgehend, über die Designreformbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts, über abenteuerliche Kombinationen von Natur- und neuen Synthesefasern in der industriellen Produktion bis hin zur eher skulpturalen Annäherung an die Textilkunst in den 1960er und 1970er Jahren führt.
Anni Albers schrieb 1965: ‘So wie es möglich ist, von jedem Ort zu jedem anderen zu gelangen, kann man auch ausgehend von einem definierten und spezialisierten Gebiet zu einer Verwirklichung immer grösserer Beziehungen gelangen … das Ereignis eines Fadens zurückverfolgend.’
Dies brachte leise einige der intimsten und gemeinschaftlichsten Durchbrüche der modernen Kunst und stellte die weitverbreitete Marginalisierung des Webens als ‘Frauenarbeit’ in Frage: Zu Lebzeiten von Albers wurde Textiles Schaffen als kreative Disziplin neu sichtbar – eine Disziplin, die eng mit Architektur, Industrie-Design, Zeichnung und Skulptur verwoben ist. Die Entstehung interdisziplinärer Bildungseinrichtungen wie der Bauhaus-Schule für Kunst und Design, der Cranbrook Academy of Art und des Black Mountain College brachten die Entwicklung neuer Ausdrucksweisen in der Weberei wesentlich voran. Diese Schulen befürworteten ein experimentelles Lernen – oder learning through doing – inspiriert von Konzepten und fortschrittlichen Unterrichtsmodellen der frühen Kindheit des 19. Jahrhunderts.
Insbesondere im 20. Jahrhundert wurde die Einheit aller Kunstformen diskutiert. Gewebte Artefakte standen im Mittelpunkt der Debatten um die Abstraktion, das Gesamtkunstwerk und die Verschmelzung von Kunst und Technologie. Hier geht es um Frauen wie Anni Albers, Gunta Stölzl, Florence Knoll und Sheila Hicks. Ebenfalls vorgestellt werden Neuerwerbungen von Monika Correa (Indien), Aurèlia Muñoz (Katalonien) und dem französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier, die die globale Relevanz des Mediums verdeutlichen.
Hinweisen möchte ich ganz besonders auf die unten verlinkte Website des Museums. Hier finden sich speziell zu dieser Ausstellung eine ganze Menge exzellenter Fotos. Sowohl Ausstellungsansichten als auch einzelne Exponate sind mit weiterführenden Infos hinterlegt (in englischer Sprache), die nach Wunsch abrufbar sind.
Einen zusammenfassenden Artikel mit Bildern über die Neukonzeption des MoMA findet man z.B. hier.
Info:
21. Oktober 2019 – 19. April 2020
Taking a Thread for a Walk
The Museum of Modern Art – MoMA
11 West 53rd Street
Manhattan
New York City
USA
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OTTO PRUTSCHER
Allgestalter der Wiener Moderne
Siebzig Jahre nach seinem Tod und über zwanzig Jahre nach der letzten grossen Ausstellung in Wien beleuchtet das MAK – Museum für angewandte Kunst das Werk von Otto Prutscher (1880–1949) neu. Die Ausstellung ‘OTTO PRUTSCHER. Allgestalter der Wiener Moderne’ verdeutlicht die mannigfachen Rollen, die Prutscher als Architekt und Designer, Ausstellungsgestalter, Lehrer und Mitglied aller wichtigen Reformkunstbewegungen – von der Secession bis zur Wiener Werkstätte und dem Werkbund – für die Entwicklung der Wiener Moderne spielte. Ausgewählte Beispiele aus seinem komplexen Œuvre dokumentieren seine jahrzehntelange einflussreiche Rolle als Entwerfer und Berater für die bedeutendsten Kunstgewerbefirmen seiner Zeit.
Trotz seiner Schaffenskraft und Vielseitigkeit wurde das Werk des grossen Kunstgewerblers und Architekten bis dato nicht entsprechend gewürdigt. Prutschers Vermächtnis umfasst u.a. über 50 Bauwerke (Villen, Wohnhäuser, Portale), rund 50 Ausstellungen, die er künstlerisch und organisatorisch gestaltete oder mitgestaltete, ca. 170 Einrichtungen, über 300 Entwürfe von Einrichtungen sowie über 200 Einzelmöbel und Garnituren. Eine grosszügige Schenkung von 139 Entwürfen, Objekten in Silber, Glas und Keramik sowie Möbeln durch die Sammlerin Hermi Schedlmayer nimmt das MAK zum Anlass für diese Personal-Ausstellung.
Der Wiener Jugendstil war die Wiege, in der Otto Prutscher heranwuchs und sich entwickelte. Zehn Jahre jünger als Josef Hoffmann und Adolf Loos, zählte Prutscher zur ersten Generation der Schüler*innen an der Wiener Kunstgewerbeschule, die von der Reform des Unterrichts im Sinne der Reformkunst unter der Direktion Felician von Myrbachs und von jungen Professoren wie Josef Hoffmann und Koloman Moser profitierten.
Materialbeherrschung eignete sich Prutscher in der Kunsttischlerei seines Vaters Johann Prutscher sowie im Zuge einer Maurerlehre und einer Zimmermannspraxis an, die er in den vorlesungsfreien Sommermonaten absolvierte.
Nach der Aufnahme an der Wiener Kunstgewerbeschule 1897 belegte Prutscher einen Kurs für ornamentales Zeichnen bei Willibald Schulmeister und studierte später zwei Semester in Josef Hoffmanns Fachschule für Architektur.
Anschliessend belegte er zwei Semester bei Franz Matsch in der Klasse für Zeichnen und Malen. Der Unterricht beim secessionistischen Architekten Hoffmann und beim vormodernen Maler Matsch hinterliess Spuren: Prutschers Entwürfe und ausgeführte Werke weisen einerseits eine hohe zeichnerische Qualität auf, andererseits orientieren sie sich an den jeweils aktuellen Tendenzen der Architektur.
Von 1903 bis 1907 war Prutscher Assistent an der k. k. graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, ab 1908 Lehrer am k. k. Lehrmittel Bureau in Wien. Ab 1907 wurde er für die Wiener Werkstätte aktiv. Sein Lehrer Josef Hoffmann schlug ihn 1909 erfolgreich als Professor an der k. k. Kunstgewerbeschule vor: Dort leitete er bis zu seiner Zwangspensionierung aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Ehefrau im Jahr 1939 den offenen Entwurfszeichensaal für Gewerbetreibende.
Prutschers Entwürfe wurden von mehr als 200 Unternehmen umgesetzt, allen voran von der Wiener Werkstätte und wichtigen Herstellerbetrieben wie Backhausen, Klinkosch, Augarten, Meyr’s Neffe, Schappel, Melzer & Neuhardt oder den Deutschen Werkstätten in Dresden. Für Thonet, Loetz Witwe und Wienerberger war er künstlerischer Berater.
Die Ausstellung bietet mit rund 200 Entwürfen aus dem Otto-Prutscher-Nachlass im MAK, der Sammlung Schedlmayer und dem Familienarchiv Otto Prutschers in Mailand sowie ausgeführten Objekten und Möbeln aus den Sammlungen des MAK und der Familie Schedlmayer sowie von privaten Leihgebern einen Überblick über das Werk des ‘Allgestalters’.
Viele der Entwürfe – auch für Objekte im Besitz des MAK – werden erstmals gezeigt und konnten bei Recherchen im Zuge der Ausstellungsvorbereitungen im Familienarchiv Otto Prutschers, das im Besitz seiner Enkelin Beba Restelli steht, in Mailand identifiziert werden.
Highlight der Präsentation ist die von Otto Prutscher entworfene Vitrine für den ‘Raum für einen Kunstliebhaber’ aus der Wiener Kunstschau 1908, die dem MAK von Hermi Schedlmayer geschenkt wurde.
Die MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung verfügt über rund 1 200 Grafiken (Zeichnungen, Pläne, Entwürfe und Fotografien) von Otto Prutscher und damit über den grössten grafischen Bestand seiner Werke in einer öffentlichen Sammlung. Die ersten 18 Blätter gelangten 1955 im Zuge der Übergabe des Archivs der Wiener Werkstätte in die MAK-Sammlung. Der erste umfangreiche Teilnachlass von Otto Prutscher wurde dem MAK 1979–1980 dank der Initiative seiner in Italien lebenden Töchter Helly de Kuyser Prutscher und Ilse Restelli-Prutscher als Donation überlassen. 2018 vervollständigte die jüngste Schenkung durch Hermi Schedlmayer den Otto-Prutscher-Bestand im MAK.
Im Rahmen des gross angelegten EU-Projekts ‘ART NOUVEAU’ konnte das MAK seinen gesamten Bestand an Zeichnungen und Entwürfen von Prutscher bearbeiten und digitalisieren. Die Ergebnisse dieses Projekts sind in die begleitende Publikation zur Ausstellung eingeflossen: OTTO PRUTSCHER. Allgestalter der Wiener Moderne (MAK Studies 26), MAK, Wien/Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart 2019.
Info:
20. November 2019 – 17. Mai 2020
OTTO PRUTSCHER
Allgestalter der Wiener Moderne
MAK – Museum für angewandte Kunst
Stubenring 5
1010 Wien
Österreich
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Was ist Gegenwart? Das Zerfliessen der Zukunft in die Vergangenheit
Das Kunstmuseum Liechtenstein präsentiert derzeit eine Auswahl aus dem umfangreichen Ferdinand Nigg-Konvolut der Sammlung Barbey-Schlegel, die sich seit diesem Jahr als Dauerleihgabe im Museum befindet, nachdem es dem Künstler im Jahr 2015 anlässlich seines 150. Geburtstags eine grosse Überblicksschau gewidmet hatte – hier geht’s zu meinem damaligen Bericht.
Präsentiert werden zahlreiche Papier- und Stickarbeiten sowie eindrückliche Skizzen und Entwürfe des bedeutenden Liechtensteiner Künstlers, der grossteils im Verborgenen ein facettenreiches Werk schuf. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit lehrte er knapp 20 Jahre an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Köln.
Ferdinand Nigg (1865–1949) gehört zu den Künstlern, die die Stickerei als Medium entdeckten und für die Umsetzung moderner Gestaltungsprinzipien fruchtbar machten. Die vielfältigen Kunstrichtungen, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten, sind in seinem Schaffen spürbar – gleichwohl ist es keinem dieser Stile zuzuordnen. Niggs gesamtes Werk fasziniert in seiner Virtuosität des Stickens und Zeichnens, mit der er seine existenziellen und spirituellen Themen umsetzte.
Info:
19. Oktober 2019 – 23. Februar 2020
Was ist Gegenwart? Das Zerfliessen der Zukunft in die Vergangenheit
Ferdinand Nigg aus der Sammlung Barbey-Schlegel
Kunstmuseum Liechtenstein
mit Hilti Art Foundation
Städtle 32
9490 Vaduz
Liechtenstein
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Folklore & Avantgarde
Die Rezeption volkstümlicher Traditionen im Zeitalter der Moderne
Mit der Ausstellung ‘Folklore & Avantgarde’ werfen die Kunstmuseen Krefeld noch bis zum 23. Februar 2020 einen neuen Blick auf die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts. Meist wird das Zeitalter der Moderne mit der Abkehr von Traditionen und einem neuen universellen Anspruch in der Kunst in Verbindung gebracht. Die Krefelder Schau widmet sich anlässlich des einhundertsten Bauhaus-Jubiläums nun erstmals umfassend dem Einfluss von lokalen volkstümlichen Traditionen – insbesondere von Kunsthandwerk und Volkskunst – auf die Protagonisten der Avantgarde bei der Entwicklung einer neuen künstlerischen Sprache.
Museumsdirektorin Katia Baudin betont: ‘In der bislang grössten Ausstellung der Kunstmuseen Krefeld bewerten wir die Entstehungsbedingungen der Avantgarde vor einhundert Jahren neu. Leihgaben aus aller Welt bieten allerhand überraschende Einblicke in diese aufregende, kontrastreiche Zeit. Das Kaiser Wilhelm Museum, das seit seiner Gründung Verbindungen zwischen Kunst und Alltagskultur schuf, ist für diese Ausstellung der ideale Ort.’
Im Fokus stehen Schlüsselpositionen der frühen Avantgarde-Entwicklung in Europa und den USA. Die Schau verortet die ausgestellte Kunst dabei innerhalb der zeitgenössischen Kontexte. Auf diese Weise werden die Ausstellungsthemen für heutige Fragestellungen unmittelbar relevant.
In einer Ausstellungsarchitektur von mvprojekte, die mit Fachwerk-Bezügen das Ausstellungsthema ideenreich reflektiert, präsentiert ‘Folklore & Avantgarde’ über 350 Exponate. Internationale Leihgaben aus 38 privaten und öffentlichen Sammlungen zeigt die Ausstellung zusammen mit ausgewählten Exponaten aus dem Krefelder Bestand.
Zwölf thematische Kapitel beleuchten die Komplexität und Vielfalt der künstlerischen Auseinandersetzungen mit der Volkskunst. Während Künstlerinnen und Künstler wie Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch, Natalja Gontscharowa einerseits einen Bruch mit den Traditionslinien der Kunst behaupten und ein neues Zeitalter einzuläuten versuchen, befassen sie sich andererseits intensiv mit Formensprachen und Techniken, die durch Brauchtum und Volkskunst aus nahezu allen Teilen der Welt geprägt sind.
Picasso begeistert sich für afrikanische Masken, Gabriele Münter sammelt oberbayerische Hinterglas- und Votivmalerei, Elie Nadelmann amerikanische Volkskunst. Anni und Josef Albers begeben sich auf die Spuren der indigenen mexikanischen Kunst. Zu den besonders augenfälligen Beispielen zählt Josef Albers‘ Adobe-Serie, die von den Strukturen und Farben der Pueblo-Architektur amerikanischer Ureinwohner im Südwesten der USA und in Mexiko inspiriert ist. Wasily Kandinskys spätere abstrakte Werke zeugen von seiner Beschäftigung mit der Schamanenkunst während einer ethnografischen Expedition im Norden Russlands.
‘Folklore & Avantgarde’ ist ein Beitrag zum Verbundprojekt ‘100 jahre bauhaus im westen’ des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW sowie der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe.
Ein Katalog (dt./engl.) ist erhältlich.
Info:
10. November 2019 – 23. Februar 2020
Folklore & Avantgarde
Die Rezeption volkstümlicher Traditionen im Zeitalter der Moderne
Kaiser Wilhelm Museum
Joseph-Beuys-Platz 1
47798 Krefeld
Deutschland
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Hut ab!
Pickelhaube, Pussyhat und andere Kopfgeschichten
Nachdem Hüte vor Jahrzehnten aus dem Alltag verschwanden, provozieren Kopfbedeckungen heute wieder. Kann man sich in Deutschland mit der jüdischen Kippa auf die Strasse trauen? Ist das islamische Kopftuch Ausdruck von Diskriminierung oder von religiösem Selbstbewusstsein? Warum protestieren viele Frauen mit einem ‘Pussyhat’?
Die Ausstellung ‘Hut ab!’ beschäftigt sich mit der Symbolik und den Geschichten von Hauben, Helmen, Hüten, Kappen, Mützen und Tüchern: Wie wollen und sollen Menschen gesehen werden? Die Pickelhaube zeugt von Macht, die Cloche von Stil, der Zylinder von Stand, der Heckerhut von Haltung, der Pussyhat von Protest. Im Alltag war der Männerhut ein Muss: Er bestimmte bis Ende der 1960er jahrzehntelang das Strassenbild in Deutschland. Die aktuelle Sonderschau im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart führt durch Zeiten, in denen Kleidung ohne Kopfbedeckung nicht vollständig war. Sie zeigt, über welche Kopfsachen heute diskutiert wird. Und sie erzählt interessante, komische und tragische Kopfgeschichten.
Jede Vitrine greift eine Zeit oder ein Thema auf und zeigt züchtige, martialische, provozierende, intellektuelle oder modische Kopfbedeckungen. Um manche – wie das islamische Kopftuch – wurde und wird gestritten. Andere stehen für Kritik, wie der ‘Pussyhat’. Und Hutmode kann auch Auslöser einer mächtigen Bewegung werden. Bis vor das Bundesverfassungsgericht zog die Lehrerin Fereshta Ludin wegen einer Kopfbedeckung. Nach ihrem Referendariat in Plüderhausen verweigerte ihr das Land Baden-Württemberg die Übernahme in den Schuldienst, weil ihr Kopftuch gegen das Neutralitätsgebot für Lehrkräfte verstosse. Ludin sieht das Kopftuch jedoch als Teil ihrer Identität. Der Streit ging bis vor das höchste deutsche Gericht. Das entschied 2003, dass die Bundesländer ihren Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern untersagen könnten. 2015 ergänzte das Bundesverfassungsgericht, dass Verbote nur zulässig seien, wenn durch eine Lehrerin mit Kopftuch eine ‘hinreichend konkrete Gefahr’ für den Schulfrieden bestehe.
Die Jagd nach Schmuckfedern für immer aufwendigere Hutkreationen steigerte sich im frühen 20. Jahrhundert zu einer weltumspannenden Schmuckfederindustrie. Begehrt waren Reiher-, Straussen- und später Paradiesvogelfedern. Auch das Gefieder von Marabu, Fasan, Auerhahn und Kolibri wurde gehandelt. Das massenhafte Töten von Wildvögeln stiess allerdings auf Protest. Lina Hähnle (1851-1941) stellte sich an die Spitze des deutschen Vogelschutzes. In der Liederhalle in Stuttgart gründete sie 1898 den ‘Schwäbischen Bund der Vogelfreunde’, aus dem ein Jahr später der ‘Deutsche Bund für Vogelschutz’ hervorging. Er war der Vorläufer des NABU. Heute hat der Naturschutzbund Deutschland mehr als 660.000 Mitglieder. Aus dem Widerspruch von Einzelnen wurde eine breite Volksbewegung.
Am Tag nach der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump protestierten Aktivistinnen für Frauenrechte in Washington mit einem ‘Women’s March’ gegen Frauenfeindlichkeit und Rassismus. Weltweit wurden am gleichen Tag ähnliche Demonstrationen veranstaltet, unter anderem in Heidelberg. Der ‘Pussyhat’, eine rosa Mütze mit angedeuteten Katzenohren, wurde zum Symbol der Bewegung. Es spielt auf die Aussage von Trump an, er könne nach Belieben Frauen an die ‘Pussy’ greifen – und auf den Doppelsinn des Wortes, das sowohl ‘Kätzchen’ heisst als auch für die weiblichen Genitalien steht. Der Versuch, frauenfeindliche Stereotype positiv zu besetzen, stiess jedoch bei manchen Aktivistinnen auf Skepsis oder Ablehnung.
Welche tragische Geschichte steckt aber hinter einer Reihe von Studentenmützen? Wer hat nur wegen seiner Kopfbedeckung überlebt? Warum hat der ‘badische Bollenhut’ auch schwäbische Wurzeln? Und wieso sieht ein falscher Heckerhut echter aus als ein echter Heckerhut? Noch viel mehr Kopfgeschichten gibt es noch bis zum 2. August 2020 in der Ausstellung …
Info:
20. Dezember 2019 – 2. August 2020
Hut ab!
Pickelhaube, Pussyhat und andere Kopfgeschichten
Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Konrad-Adenauer-Strasse 16
70173 Stuttgart
Deutschland
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Kunst von Frauen
Bevor Frauen 1919 zum Studium an deutschen Kunstakademien offiziell zugelassen wurden, waren sie auf kostenintensiven Unterricht bei Privatlehrern, überteuerte und separierte ‘Damen-Klassen’ oder Kunstgewerbeschulen angewiesen, was z.B. mein Bericht über die Ausstellung ‘Ab nach München! – Künstlerinnen um 1900’, die das Münchner Stadtmuseum 2014/15 zeigte, veranschaulicht. In diesem Zusammenhang ist der Ausstellungstipp ‘STURM-FRAUEN – KÜNSTLERINNEN DER AVANTGARDE IN BERLIN 1910–1932’ (SCHIRN Kunsthalle Frankfurt am Main, 2015/16) auch lesenswert.
Die Folge ist, dass heutzutage nur wenige der Künstlerinnen, die sich im 19. Jahrhundert bis zum 1. Weltkrieg im patriarchalischen Kunstbetrieb behaupteten und bisweilen eine anerkannte und existenzsichernde Position erkämpfen konnten, bekannt geworden sind. Dies nahmen verschiedene Institutionen zum Anlass, Archive und Depots, wo viele Werke dieser Künstlerinnen, sofern sie nicht in den Wirren der Weltkriege zerstört oder schlichtweg als unwichtig empfunden und weggeworfen worden sind, bis heute schlummern, einmal zu durchforsten.
Zwei der auf diesem Hintergrund entstandenen und derzeit in Berlin sowie in Böblingen zu sehende Ausstellungen, die unterschiedlichen Konzepten folgen, möchte ich hier vorstellen:
Kampf um Sichtbarkeit
Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919
Vor 100 Jahren konnten die ersten Frauen ihr reguläres Studium an der Berliner Kunstakademie aufnehmen und das erste Mal ihr Wahlrecht ausüben. Erst die unumkehrbaren politischen Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg und die jahrelangen beharrlichen Proteste der Künstlerinnen hatten auch Frauen die gleichberechtigte Teilhabe an einer akademischen Kunstausbildung ermöglicht.
Dies nimmt die Ausstellung ‘Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919’ zum Anlass, die Werke von Malerinnen und Bildhauerinnen in den Blick zu nehmen, die es trotz aller Widrigkeiten bereits vorher in die Kunstöffentlichkeit geschafft und Eingang in die Sammlung der Nationalgalerie gefunden haben. Die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie Berlin widmet sich erstmals ausführlich allen vor 1919 entstanden Werken von Malerinnen und Bildhauerinnen und ist eine Revision der eigenen Sammlung unter dem wichtigem Aspekt heutiger Diskurse um Gleichberechtigung und noch bis zum 8. März 2020 zu sehen.
Gelang zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch einigen wenigen Frauen eine exzeptionelle Karriere innerhalb eines vorwiegend männlichen Kunstbetriebs, so verschärften sich die Restriktionen für Künstlerinnen ab der Jahrhundertmitte. Der Zugang zu Kunstakademien, Stipendiensystemen und wichtigen Auftragsarbeiten wurde ihnen verwehrt. ln ihrem ‘Kampf um Sichtbarkeit’ engagierten sie sich in künstlerischen Vereinigungen, erkämpften sich Ausstellungsmöglichkeiten und zunehmend auch die Aufmerksamkeit wichtiger Fördererinnen und Förderer sowie die damit verbundenen prestigeträchtigen Aufträge und Ankäufe.
Der Ausstellungsrundgang ermöglicht einen sowohl chronologischen als auch thematischen Einblick in das Thema und gliedert sich in sieben Kapitel. Es beginnt mit Werken von Künstlerinnen des frühen 19. Jahrhunderts, darunter Marie Ellenrieder, die sich als erste Frau regulär an der Münchner Akademie immatrikulieren und zur badischen Hofmalerin aufsteigen konnte, oder die international agierende Bildhauerin Elisabet Ney. Sie galten im 19. Jahrhundert als ‘Ausnahme’-Talente.
Deren Leistungen ermutigten künstlerisch tätige Frauen der zweiten Jahrhunderthälfte, sich als ‘Netzwerkerinnen’ zusammenzuschliessen und eine gleichberechtigte Professionalisierung im Ausbildungssystem anzustreben. Als starke Stimme der Frauenbewegung setzte sich für ihre Kolleginnen beispielsweise die in Berlin gut vernetzte Malerin Sabine Lepsius ein, die in der Ausstellung u.a. mit einem frühen Selbstporträt vertreten ist.
lm Kapitel ‘Pariser Freiheiten’ wirft die Ausstellung ein Schlaglicht auf die Bedeutung der französischen Metropole als Ort künstlerischer und persönlicher Freiheit für Künstlerinnen. In der Nationalgalerie vertretene Malerinnen wie Paula Modersohn-Becker oder Maria Slavona äusserten sich begeistert über die dortige Atmosphäre und Möglichkeiten.
In einem letzten Raum geht die Ausstellung Aspekten der Sichtbarkeit nach: Welche Rolle spielten der Kunstmarkt, die Förderung der Künstlerinnen durch gesellschaftliche und künstlerische Grössen oder auch Sammlungskonzepte und Ausstellungen von Museen für den berflichen Erfolg und die Sichtbarkeit von Künstlerinnen?
Die Ausstellung zeigt 60 malerische und bildhauerische Werke von Künstlerinnen aus 140 Schaffensjahren, die alle vor 1919 entstanden sind. Einige davon sind seit Jahrzehnten Bestandteil der Dauerausstellung wie die Gemälde von Caroline Bardua, Elisabeth Jerichau-Baumann oder Sabine Lepsius. Andere sind nach langen Jahren im Depot erneut in der Alten Nationalgalerie zu sehen, darunter Arbeiten der Porträt- und Historienmaierinnen Friederike O`Connell oder Paula Monjé. Ein grosser Teil wurde noch nie in den Räumen auf der Museumsinsel präsentiert.
Zahlreiche einst erfolgreiche Künstlerinnen sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten, wie die norwegische Bildhauerin Ambrosia Tønnesen, die auch in den USA erfolgreiche Salonmalerin Vilma Parlaghy oder die russische Avantgarde-Pionierin Natalija Gončarova. in ihrer Vielfalt leisteten die Künstlerinnen einen wesentlichen Beitrag zum Kunstgeschehen ihrer Zeit.
Die Restaurierung und Neurahmung zahlreicher Werke wurde durch die grosszügige Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung ermöglicht.
Die Ausstellung wird von einem reich bebilderten Ausstellungs- und Bestandskatalog mit ausführlichen Biografien der vertretenen Künstlerinnen in deutscher und englischer Sprache begleitet.
Info:
11. Oktober 2019 – 8. März 2020
Kampf um Sichtbarkeit
Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919
Alte Nationalgalerie
Bodestrasse
10178 Berlin
Deutschland
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Netzwerkerinnen der Moderne
100 Jahre Frauenkunststudium
Die Städtische Galerie Böblingen eröffnete am 1. Dezember 2019 den dritten Teil einer Ausstellungsserie zur ‘Kunst von Frauen’ unter dem Titel ‘Netzwerkerinnen der Moderne – 100 Jahre Frauenkunststudium’. Dieser Titel unterstreicht, wie wichtig die Solidarität unter den gleichgesinnten Frauen, die gegenseitige Unterstützung und das gute Pflegen von Netzwerken war – ja, sie entwickelten sich zu regelrechten Meisterinnen im Vernetzen.
Nach Ausstellungen im Jahr 2015 und 2018 zeichnet ‘Netzwerkerinnen der Moderne’ mit Fokus auf den südwestdeutschen Raum einerseits die noch steinigen künstlerischen Wege einzelner früher, bis heute zu Unrecht wenig bekannter Frauen nach und stellt andererseits zehn klassischen Positionen rund 30 von einer hochkarätig besetzten Fachjury ausgewählte Vertreterinnen der zeitgenössischen Gegenwartskunst spannungsvoll gegenüber.
In Portraits und Landschaftsdarstellungen, Blumen-Stillleben oder Kinderbildnissen stellen Künstlerinnen der Klassischen Moderne – wie beispielsweise die im KZ ermordeten Malerinnen Alice Haarburger und Marie Lemmé oder die krankheitsbedingt zu früh verstorbene Emma Joos …
… die Textilkünstlerin Hedwig Pfizenmayer oder Mares Schultz, die ‘Grande Dame’ des Vereins Bildender Künstlerinnen Württembergs – nicht nur ihr grosses Talent zur Schau, sondern zugleich ihr Be- und Gefangensein in einer Motivwelt, die ihnen von ihren männlichen Kollegen richtiggehend ‘diktiert’ wurde.
Um die Kontinuität der Entwicklung der kunstbezogenen Frauenwege zu verdeutlichen, werden in der aufwendigen Gruppenausstellung ‘Netzwerkerinnen der Moderne’ rund 30 zeitgenössische Künstlerinnen dazu in Bezug gebracht. Gezeigt werden überwiegend speziell für das Ausstellungsthema geschaffene Arbeiten mit Bezügen zu ‘Akt’ und/oder ‘Anspruch auf Raum’ – ehemalige Tabuthemen für die früheren Künstlerinnen-Generationen, die jegliches Ausreissen aus dem ihnen auferlegten konventionellem Korsett verhinderte.
Denn in früheren Zeiten wurde den Mädchen und jungen Frauen nur eine Zimmerecke, meistens in der Küche, zugewiesen, wo dann auch das Bett stand. Rückzugsorte zum kreativen Arbeiten, wie etwa ein eigenes Atelier, waren für Frauen undenkbar.
Ihren Raum haben sie sich als ausserordentlich Studierende erst durch die separierten sog. Damen-Klassen (in abgetrennten Zimmern der Akademie) errungen, bevor sie später immer mehr dem Unterricht, auch zusammen mit den ordentlich studierenden Männern, folgen durften.
Im beginnenden 20. Jahrhundert mussten sich die angehenden Künstlerinnen regelrecht die Chancengleichheit gegenüber ihren männlichen Kollegen ‘erkämpfen’, indem sie endlich Zugang zu eigenen Atelierräumen und zudem zu den für eine künstlerische Ausbildung so notwendigen Aktstudien erlangten.
Tabus zu brechen, das zeichnete sich schon im Vorfeld des Auswahlverfahrens ab, stellt noch immer ein wichtiges Anliegen der zeitgenössischen Künstlerinnen dar. Ausgewählt von einer hochkarätigen Fachjury erarbeiteten sie für diese Kollektivausstellung ortsspezifische und ausstellungsbezogene Werke, die den heutigen Kunstbetrieb – sein Wertesystem, seine Ausstellungspraxis, Förderstrukturen sowie Geschlechterfragen – ausloten und reflektieren.
Über überdimensionale Raum- und Bodeninstallationen, minimalistische Zeichnung, Film und Video, Cut-Outs, Collagen, Reliefs, Gemälde und Wandmalerei sowie Bildhauerei, Performance- und Aktionskunst eröffnen die Künstlerinnen einen visuellen Dialog mit den Künstlerinnen von damals und schaffen einen Denkraum für Fragen, die damals wie heute virulent sind.
In Verbindung mit einem auf die Ausstellung abgestimmten Begleitprogramm (Näheres entnehme man dem unten verlinkten Flyer) und einem vielfältigen Vermittlungsangebot, bestehend aus dialogischen Führungen, Vorträgen, Lesungen, Performance-Darbietungen, an dessen Abschluss ein symposiumähnliches Diskussionsforum unter dem Motto ‘The State of the Female Art’ und in enger Abstimmung mit der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart stattfinden wird, möchte die Städtische Galerie Böblingen ‘Netzwerkerinnen der Moderne – 100 Jahre Frauenkunststudium’ neben der Würdigung der Kunst von Künstlerinnen ebenso als Beitrag zu einem gesellschaftspolitischen Diskurs und als Anstoss für eine öffentlichkeitswirksame, nachhaltige Reflexion verstanden wissen.
Die Namen der teilnehmenden Künstlerinnen sind im Einzelnen auf der Website zu finden.
Zum Ausstellungsende entstehen zu dieser Ausstellungs-Trilogie insgesamt drei Kataloge in einem schön gestalteten Schuber.
Info:
1. Dezember 2019 – 19. April 2020
Netzwerkerinnen der Moderne
100 Jahre Frauenkunststudium
Städtische Galerie Böblingen
(Museum Zehntscheuer)
Pfarrgasse 2
71032 Böblingen
Deutschland
www.staedtischegalerie.boeblingen.de
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Vom Jugendstil zum Bauhaus
Nach der Eröffnung der Dauerausstellung ‘Jugendstil’ (2018) widmet das Historische und Völkerkundemuseum (HVM) in St. Gallen, dessen Stadtbild vom Jugendstil architektonisch entscheidend geprägt wurde, derzeit eine Sonderausstellung der Gründung des Bauhauses vor 100 Jahren. Noch bis zum 31. Mai 2020 wird eine kleine Design-Geschichte von der ersten Reformbewegung, dem ‘Arts and Crafts-Movement’ aus England, über den Jugendstil zum Bauhaus – bis zum Schweizer Landi-Stuhl 1939 – gezeigt. Mit dem Zweiten Weltkrieg folgte eine jähe Zäsur. Doch die Errungenschaften des Bauhauses, der einflussreichsten Design- und Kunsthochschule der Moderne, lebten weiter und sind bis heute spürbar.
Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert veränderten sich Wirtschaft, Gesellschaft und Lebenswelt der Menschen grundlegend. Maschinen ersetzten zusehends die Handarbeit und das Einzelstück wurde von der Massenware verdrängt. Gestalterisch orientierte sich das 19. Jahrhundert an vergangenen Stilrichtungen und kopierte sie frei. Dieser Stilpluralismus ist ein Merkmal des damals herrschenden Historismus.
In England, wo die Industrialisierung etwa eine Generation früher einsetzte, formierte sich die erste Reformbewegung, ‘Arts and Crafts’, die auf dem europäischen Festland bald ihr Pendant im Jugendstil fand. Diese frühen Bewegungen kritisierten neben den harten Arbeitsbedingungen in den Fabriken, den sozialen Problemen oder der Umweltverschmutzung vor allem die Massenproduktion und Qualität der billig hergestellten Waren.
Eine Möglichkeit war, sich auf die solide Handarbeit der Vergangenheit und die natürliche Schönheit des Materials zu besinnen. Eine andere hatte zum Ziel, die industriellen Produkte sorgfältiger zu gestalten, den modernen Bedürfnissen anzupassen und so zu preiswerten, haltbaren, schlichten und doch sorgfältig gearbeiteten Produkten zu gelangen.
Hier sei besonders auf das 1819 gegründete Familienunternehmen Thonet hingewiesen. Der Tischlermeister Michael Thonet experimentierte mit in Leim gekochten Stäben, die er beliebig formen konnte. 1830 erzielte er erste Erfolge und 1859 präsentierte er den Wiener Kaffeehausstuhl.
Es ist das meist produzierte Sitzmöbel der Welt. 1930 waren bereits 50 Mio. Exemplare verkauft. Der Stuhl verkörpert alle Vorteile der neuen Bugholz-Technik: Formschönheit, Funktionalität, Materialersparnis, Erschwinglichkeit und Haltbarkeit. Er wurde nach dem Bausatz-Prinzip in Einzelteilen als Paket ausgeliefert und vor Ort verschraubt.
Was mit Bugholzmöbeln der Firma Thonet begann, setzte sich ab 1920 in den Experimenten mit verchromten Stahlrohrmöbeln von Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe und anderen Avantgarde-Künstlern der Moderne fort. Sitzmöbel kommen in jeder Wohnung mehrfach vor. Sie sind hohen Belastungen ausgesetzt und sollten einigermassen erschwinglich sein. Darum galt ihnen das besondere Interesse der Gestalter.
Das HVM besitzt eine ansehnliche Sammlung von Möbeln und Alltagsgegenständen des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges, die nun erstmals dem Publikum gezeigt werden.
Bereichert wird die Ausstellung mit Leihgaben aus bedeutenden Schweizer Sammlungen, darunter Textilien von William Morris bis Sonja Delaunay, Grafiken von Le Corbusier, Sophie Taeuber-Arp und der St. Gallerin Maria Geroe-Tobler. Sie ist die einzig bekannte Künstlerin aus St. Gallen, die am Bauhaus in Dessau studierte. Maria Geroe-Tobler besuchte 1928/29 den Vorkurs und die Weberei bei Gunta Stölzl im neuen Schulgebäude in Dessau.
Trotz seiner nur 14 Jahre bestehenden Existenz darf das Bauhaus als eine der wichtigsten Design- und Kunstschule der Moderne bezeichnet werden. 1933 wurde sie unter dem Druck der Nationalsozialisten geschlossen. Viele Mitglieder emigrierten und trugen so zur internationalen Verbreitung der Ideen des Bauhauses bei.
Info:
23. November 2019 – 31. Mai 2020
Vom Jugendstil zum Bauhaus
Historisches und Völkerkundemuseum
Museumstrasse 50
9000 St. Gallen
Schweiz
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Duchessespitzen – gestern und heute
Spitzen aus der Sammlung von Riet Delescen (NL)
Ab dem 18. Januar 2020 geht es im Kulturort Garnlager in Lyssach um ‘Duchessespitzen, gestern und heute’.
Die Ausstellung präsentiert Sammlung und eigene Werke von Riet Delescen aus den Niederlanden.
Die Duchessespitze entstand nach 1850 in Belgien aus den alten Brüsseler Spitzen.
Marie-Henriette, die Duchesse von Brabant, war entzückt von dieser Spitzenart und gab ihr den Namen.
Die Motive in der traditionellen Spitze sind verschiedene Blumen und Blätter.
Die eleganten Spitzen wurden meistens an und bei Kleidern verwendet.
Die modernen Arbeiten von Riet Delescen zeigen andere Motive und Formen. Duchesse ist eine Klöppeltechnik mit geschnittenen Fäden (Blumenwerk).
Info:
18. Januar – 24. Februar 2020
Duchessespitzen – gestern und heute
Spitzen aus der Sammlung von Riet Delescen (NL)
Kulturort Garnlager
Gewerbestrasse 9
3421 Lyssach
Schweiz
Vernissage:
Sa, 18. Januar 2020, 16 Uhr
Öffnungszeiten:
Do – Mo: 13.30 – 17 Uhr
und auf Anfrage
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Nordic Design. Die Antwort aufs Bauhaus
Zum Ausklang des Bauhaus-Jubiläumsjahres nimmt das Bröhan-Museum in Berlin mit der Ausstellung ‘Nordic Design – Die Antwort aufs Bauhaus’, die noch bis zum 1. März 2020 läuft, die Reaktion der nordischen Länder auf den deutschen Funktionalismus in den Blick. Präsentiert wird der skandinavische Weg der Moderne, der sich in einer starken Auseinandersetzung mit der deutschen Moderne und dem Bauhaus vollzog.
In den nordischen Ländern entstand eine sehr eigenständige Interpretation des Funktionalismus. Nicht die avantgardistische Form, wie vielfach in Deutschland, stand im Vordergrund, sondern die massgeschneiderte Lösung für eine Aufgabe.
Zunächst sollte die Problemstellung analysiert und erst dann die gestalterische Lösung erarbeitet werden. Der skandinavische Funktionalismus blieb deshalb nicht Avantgarde, sondern wurde, versehen mit nationalen Besonderheiten der jeweiligen Länder, zur identitätsstiftenden Konstante der nordischen Nationen.
Beginnend mit dem finnischen Architekten und Designer Alvar Aalto …
… über den Vater des schwedischen Funktionalismus Sven Markelius und die international gefeierten dänischen Designer Hans J. Wegner und Arne Jacobsen liegt der Schwerpunkt der Ausstellung auf den 50er und 60er Jahren.
Neben landesspezifischen Entwicklungen werden Finnland, Schweden, Dänemark und Norwegen übergreifende Themen – Kindheit, demokratisches Design und Hygge – vorgestellt.
Den Abschluss bilden futuristische Entwürfe von Verner Panton, Eero Aarnio und Marimekko, die den endgültigen Bruch der nordischen Länder mit dem Funktionalismus markierten. Gezeigt werden rund 150 Werke – Möbel, Grafik, Glas, Textilien –, hauptsächlich von bedeutenden nationalen und internationalen Leihgebern.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
Das vielseitige Begleitprogramm ist auf der Museums-Website ersichtlich. Auch auf den Ausstellungstrailer sei hingewiesen.
Meine persönlichen Eindrücke einer kurzen Finnlandreise (2015) hielt ich in einem Bericht fest.
Info:
24. Oktober 2019 – 1. März 2020
Nordic Design. Die Antwort aufs Bauhaus
Bröhan-Museum
Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus
Schlossstrasse 1a
14059 Berlin (am Schloss Charlottenburg)
Deutschland
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Azteken
Das Linden-Museum Stuttgart zeigt noch bis 3. Mai 2020 die Grosse Landesausstellung ‘Azteken’, die einen neuen, vertiefenden Blick auf die Kultur der Azteken eröffnet, die, 500 Jahre nach der Landung des spanischen Eroberers Hernán Cortés in Mexiko, eine besondere Würdigung erhält.
Hauptanlass der Ausstellung sind zwei einzigartige Federschilde und eine kostbare Grünsteinfigur, die sich heute in den Sammlungen des Landesmuseums Württemberg befinden und erstmals im Kontext der aztekischen Kultur zu sehen sein werden. Die Ausstellung präsentiert rund 150 hochkarätige Leihgaben aus mexikanischen und europäischen Museen und ist in sieben Module gegliedert.
Beginnend mit der Peripherie des aztekischen Imperiums (ca. 1430 – 1521 n. Chr.) und der natürlichen und kulturellen Vielfalt Mexikos, nähert sich die Ausstellung dem Inneren des Reiches und seiner Hauptstadt Tenochtitlan. Nach dem Durchschreiten des Herrscherpalastes des Kaisers Moctezuma betritt der Besucher das Innerste des Imperiums: den heiligen Bezirk mit dem Haupttempel Templo Mayor.
Die aztekischen Steinskulpturen bestechen durch ihre naturgetreue und detailverliebte Darstellungsweise, häufig kombiniert mit Kalenderzeichen, Charakteristika bestimmter Gottheiten oder der Kombination verschiedener Götter. Wertvolle Mosaikmasken, Federarbeiten und Goldschmuck lassen erahnen, welche Pracht die Eroberer am Hofe des Aztekenherrschers vorfanden.
Den farbenfrohen Bilderhandschriften ist ein eigener thematischer Abschnitt in der Ausstellung gewidmet. Als Besonderheit präsentiert die Ausstellung neueste Forschungs- und Ausgrabungsergebnisse. Das Ausgrabungsprojekt Templo Mayor sowie das angeschlossene Museum stellen erst kürzlich entdeckte, noch nie ausgestellte Opfergaben zur Verfügung.
Besonders erwähnenswert sind die beiden Federschilde und die Grünsteinfigur des Landesmuseums Württemberg.
1599 – Friedrich I. präsentiert sich auf einem Turnier verkleidet als ‘Königin Amerika’. In farbenfrohem Gewand wird der württembergische Herzog auf einer Sänfte getragen, umringt von Männern mit Speeren, Helmen und prachtvollen Schilden ausgestattet. Ob sich die Zuschauer der Parade bewusst darüber waren, dass es sich bei den vermeintlichen Verkleidungsaccessoires um zwei Federschilde aus dem Reich der Azteken handelte?
Auf welchem Weg und wann genau die beiden Kulturschätze ihren Weg nach Europa und über die württembergische Kunstkammer auf einen Fastnachtsumzug fanden, können wir heute nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber sie sollten rund 400 Jahre später eine bedeutende Rolle bei der Gründung des Linden-Museums spielen.
Die Federschilde sind vermutlich kurz vor der spanischen Eroberung des aztekischen Imperiums um 1521 entstanden. Das Tragen von kostbarer Federtracht war damals nur dem Adel vorbehalten. Wahrscheinlich wurden sie als besondere Geschenke oder Auszeichnungen verliehen und dienten als Opfer- und Tributgaben. Nach der spanischen Eroberung erfreuten sie sich auch in Europa grosser Beliebtheit und wurden speziell für diesen Markt hergestellt.
Hochspezialisierte Federhandwerker, die sog. amantecas, fertigten die Schilde aus tropischen Federn. In einem aufwendigen Verfahren wurden entweder einfarbige oder abwechselnd rote und gelbe Federn in Bündeln auf Rohhaut eingeknüpft. Die dabei verwendeten Federn stammen von unterschiedlichen einheimischen Vogelarten, die sich die aztekischen Herrscher wohl in eigenen zoologischen Gärten hielten.
Aber wie geht die Spurensuche um die Geschichte der zwei Exemplare aus dem Geschlecht der Württemberger weiter? Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gingen die Schilde zusammen mit der Grünsteinfigur des Gottes Quetzalcoatl in die Sammlung des Württembergischen Vereins für Handelsgeographie, des Vorläufers des Linden-Museums, über. Dort bildeten sie für die Gründung des ethnografischen Linden-Museums Stuttgart im Jahr 1911 wichtige Kernobjekte und waren der Hauptgrund für die Errichtung eines neuen Museums.
Um 1950/60 gelangten sie schliesslich in den Besitz des Landesmuseums Württemberg. Für die Grosse Landesausstellung ‘Azteken’ kehren die Federschilde als Leihgabe zusammen mit der Grünsteinfigur nach über 50 Jahren zurück ans Linden-Museum, wo sie das erste Mal im Kontext aztekischer Kultur präsentiert werden.
‘Azteken’ ist eine Ausstellung des Linden-Museums Stuttgart in Kooperation mit dem Nationaal Museum van Wereldculturen (Leiden, Niederlande).
Tomate, Mais, Kakao, Chili: Die mexikanische Küche hat unser Leben um mehr als Salsa und Tacos bereichert. Viele dieser in Europa heute alltäglichen Lebensmittel wurden schon in der Zeit vor den Azteken im mesoamerikanischen Reich kultiviert und es gab ein ausgeklügeltes Wirtschaftssystem von Händlern und Verbünden, die spezialisierte Landwirtschaft betrieben. Auch das Linden-Museum widmet sich begleitend zur Grossen Landesausstellung ‘Azteken’ der mexikanischen Kulinarik. Im Museumsshop gibt es Spezialitäten von der schokoladig-scharfen Sauce Mole bis zum Tequila ein grosses Angebot für neugierige Feinschmecker*innen. Wer mehr über die Geschmacksnuancen des Agavenschnapses erfahren möchte, kann ausserdem an einem Tasting mit Führung durch die Ausstellung teilnehmen.
Info:
12. Oktober 2019 – 3. Mai 2020
Azteken
Linden-Museum Stuttgart
Staatliches Museum für Völkerkunde
Hegelplatz 1
70174 Stuttgart
Deutschland
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KUNST ⇆ HANDWERK
Zwischen Tradition, Diskurs und Technologien
Die neue Sonderausstellung ‘KUNST ⇆ HANDWERK’ im Kunsthaus Graz widerspiegelt das Interesse zeitgenössischer Künstler*innen am Material, an (kunst-)handwerklichen Verfahren, am Experimentieren mit Materialien und Techniken.
Dieses ist in den letzten Jahren auffällig gewachsen. Dabei entstehen Arbeiten, die sich auf kunsthandwerkliche, volkstümliche, künstlerische Traditionen sowie zeitgenössische und technologische Diskurse gleichermassen beziehen. Der Umgang dieser Künstler*innen mit tradiertem Wissen, diversen Materialien und Verfahren ist nicht abschottend, sondern öffnend – hin zu anderen Kulturen, zur modernen und zeitgenössischen Kunst, zu aktuellen Diskursen und zu digitalen Entwicklungen. Die Ausstellung zeigt Werke von Azra Akšamija, Olivier Guesselé-Garai, Plamen Dejanoff, Olaf Holzapfel, Antje Majewski, Jorge Pardo, Slavs and Tatars, Haegue Yang und Johannes Schweiger.
Das gesellschaftliche Interesse am Handwerk ist in den letzten Jahren ausserordentlich gewachsen, wobei sich Vorstellungen davon enorm diversifiziert und in verschiedene Richtungen entwickelt haben. Zum einen findet sich ein gestiegenes neokonservatives Qualitätsbewusstsein und damit einhergehend der gehobene Konsum von handwerklichen Gütern, zum anderen haben DIY-Bewegungen, und hier vor allem der sogenannte ‘Craftism’, an Fahrt aufgenommen. Und nicht zuletzt kann man politische Einverleibungen von Handwerk in einer Reihe mit Begriffen wie Heimat, Volk, Volkskunst und Tradition beobachten.
‘KUNST ⇆ HANDWERK’ entstand vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und dem Geflecht an Bedeutungen, die mit ‘Crafts’ und ‘Handwerk’ heute assoziiert werden. Der Titel deutet eine Beziehung von Kunst und Handwerk an, lässt die beiden Begriffe jedoch getrennt voneinander stehen. Das Signet für die Ausstellung, gestaltet von modern temperament, Berlin, spricht von diesen im Grunde über Jahrhunderte gehenden Austauschverhältnissen und Positionswechseln in den Hierarchien von Kunst und Handwerk, Handwerk und Kunst.
Die Ausstellung fragt danach, wie heute ein fruchtbarer Dialog zwischen Kunst und Handwerk aussehen könnte und rückt beide in einen grösseren gesellschaftlichen Zusammenhang. Die Bedeutung und Wertschätzung des Handwerks als wesentlicher Bestandteil materieller Kultur, kultureller Identität und Gemeinschaft wird dabei mit sozialen sowie ökonomischen Verhältnissen in einer globalisierten Welt zusammengedacht. Die Künstler*innen fordern damit kulturelle Zuordnungen, Identitätskonzepte oder Kategorisierungen aller Art heraus. Die Arbeiten zeigen, wie sehr sich lokale Identifikationen und globale Entwicklungen längst ineinandergeschoben haben. Sie fragen aber darüber hinaus – ohne Verklärung –, wie sich unter den gegenwärtigen ökonomischen Verhältnissen noch ein ‘handwerkliches’ Verhältnis der Arbeitenden zu den Gegenständen ihrer Arbeit denken und umsetzen lässt.
Die Ausstellung beginnt mit einer alten Grenzziehung, nämlich zwischen Kunst und Handwerk, um diese dann Schritt für Schritt aufzulösen, Verbindungen zwischen moderner/zeitgenössischer Kunst, Handwerk und neuen Technologien, zwischen europäischer und nicht europäischer Kunst herauszuarbeiten und zwischen klassischen Gegensätzen zu vermitteln. Ausgehend von einem grossen Interesse an Materialien, Materialitäten und handwerklichen Techniken widmen sich die Künstler*innen auch Definitionen, Einstellungen, Hierarchien, Ideologien, Konstruktionen, Klassifizierungen, Vorurteilen, die sich an den Blick auf, den Umgang mit und die Rezeption von Materialien und Verarbeitungsformen heften.
Warum bezeichnen wir eine hölzerne Schnitztür heute vorschnell als altmodisch? Plamen Dejanoff rückt diese in einen deutlich zeitgenössischen Zusammenhang. Angesichts des Materials Filz denkt man vielleicht an Joseph Beuys, auch wenn einem gleichzeitig Assoziationen an Weihnachts- und Mittelaltermärkte in den Sinn kommen mögen. Johannes Schweiger widmet sich in seinen Arbeiten gegensätzlichen Aufladungen von Filz und anderen Stoffen.
Schaffen Künstlerinnen bedeutende Werke? Heute wird dies selbstverständlich bejaht. Früher sah man Frauen im Bereich des Kunsthandwerks bzw. Kunstgewerbes besser aufgehoben. Dies folgte der Vorstellung einer autonom konzipierten Kunst als Ausdruck (höherwertiger) geistiger Prozesse und einer angewandten Kunst als deren (minderwertigere) Übersetzung. Wie bewerten wir heute die Arbeiten – etwa kamerunischer Kunsthandwerker*innen? Sind die von ihnen hergestellten Schamschürzen, inzwischen begehrte Sammlerstücke, auf Augenhöhe mit abstrakter, westlich-europäischer Kunst zu sehen? Olivier Guesselé-Garai und Antje Majewski formulieren in ihren Arbeiten Kritik an einer Kunstgeschichtsschreibung, die ‘viele Künstler*innen vergisst, visuelle Kunst kategorisiert und territorial subsumiert, so wie man sie haben wollte – auch in Bezug auf Aussereuropa.’ Ihr Beitrag wendet sich gegen trennende Kategorisierungen im Verhältnis der Kulturen zueinander. Das trifft auch auf Slavs and Tatars´, Haegue Yangs und Azra Akšamijas Arbeiten zu.
Wenn also die Künstler*innen in und mit ihren Arbeiten für Zwischenräume, Übergangszonen, opake Räume plädieren und sich gegenüber Kategorisierungen, Binärismen und Oppositionen skeptisch zeigen, dann machen sie damit auch einen Raum auf, in dem praktische Annäherungen stattfinden können. So haben Friedrich Teppernegg, ein steirischer Seiler, Fatou Kamdem, afrikanische Friseurin in Graz, und der Künstler Olivier Guesselé-Garai für die Arbeit ‘La Mur murmura’ zusammengearbeitet.
Doch in der Ausstellung stehen Auffassungen von Handwerk, die mit Handarbeit verbunden sind, auch zur Disposition: Jorge Pardo arbeitet selbstverständlich mit neuen Technologien wie CNC-Fräsen, Stanzen und Laser. Pardo wie auch Olaf Holzapfel und Azra Akšamija setzen sich selbstverständlich über eine weitere klassische Trennung hinweg: jene zwischen Handarbeit und Technologie. Das Interesse der Künstler*innen am Dazwischen, an Übergangszonen, bedeutet jedoch nicht notwendigerweise Ungenauigkeit oder gar Beliebigkeit, es zwingt sogar zu einer noch grösseren Präzision im Umgang damit und auch zu einer ‘Haltung’, wie es Holzapfel formuliert.
Zur Ausstellung erscheint Anfang 2020 ein Katalog.
Nach Ausstellungsende in Graz am 16. Februar 2020 ist ‘KUNST ⇆ HANDWERK’ ab 14. März 2020 in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig zu sehen und ab 13. Juli 2020 in der Kestner Gesellschaft Hannover.
Info:
15. November 2019 – 16. Februar 2020:
KUNST ⇆ HANDWERK
Zwischen Tradition, Diskurs und Technologien
Kunsthaus Graz
Lendkai 1
8020 Graz
Österreich
www.museum-joanneum.at/kunsthaus-graz
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Judith Mundwiler stellt aus
Judith Mundwiler bespielt noch bis Mitte Januar 2020 ‘Das kuratierte Fenster’ am Unteren Heuberg 22 in Basel.
Ausgestellt ist dort das Werk ‘Hommage an Bhutan – Circle of life’ plus alte Schriftstücke und Schmuck aus Bhutan, mitgebracht von ihrem Aufenthalt vor zwei Jahren an der Choki Traditional Art School in Thimphu, Bhutan.
Hier gibt es ein sehenswertes Video und viele weitere Fotos zu ‘Hommage an Bhutan’, gefunden auf Judiths Website.
Info:
12. November 2019 – 13. Januar 2020
Judith Mundwiler
Das kuratierte Fenster
Unterer Heuberg 22
4051 Basel
Schweiz
www.fensterkuration.ch
www.judithmundwiler.ch
Ausstellung ‘untitled 2020’
Vom 17. – 26. Januar 2020 stellt Judith Mundwiler zusammen mit anderen Künstlerinnen und Künstlern im Kulturtreffpunkt in Rheinfelden aus.
Info:
17. – 26. Januar 2020
untitled 2020
kulturtreffpunkt
Theodorshofweg 22
4310 Rheinfelden
Schweiz
www.kulturtreffpunkt.ch
www.judithmundwiler.ch
Vernissage:
Fr, 17. Januar 2020, 18 Uhr
Öffnungszeiten:
Sa, 18. und 25. Januar 2020: 15 – 20 Uhr
So, 19. und 26. Januar 2020: 13 – 18 Uhr
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… und dann gibt’s noch:
Vorschau:
7. Europäische Quilt-Triennale
Die 7. Europäische Quilt-Triennale – hier und hier geht es zu zweien meiner Berichte – ist nach Präsentationen in Deutschland und Österreich ab dem 14. Februar 2020 im Textilmuseum St. Gallen zu sehen.
Aus mehr als 160 Einreichungen wählte die international besetzte Jury 41 Arbeiten, die ein breites Spektrum an Themen, Techniken, Konzepten und Motiven erkennen lassen. Insgesamt stellt die Ausstellung einen spannenden Schnappschuss der aktuellen europäischen Quiltszene dar und belegt das ausserordentliche Niveau des zeitgenössischen künstlerischen Quilts. Es wurden drei Arbeiten mit Preisen ausgezeichnet. Mit Judith Mundwiler aus der Schweiz, die den Doris Winter-Gedächtnispreis gewann, wurde eine der innovativsten und experimentierfreudigsten Künstlerinnen geehrt.
Zur Ausstellung ist ein Katalog (d/e) erhältlich.
Das Museum organisiert ein interessantes Rahmenprogramm; auf mein Museumsgespräch am Do, 5. März 2020 möchte ich hinweisen.
Info:
14. Februar 2020 – 19. April 2020
7. Europäische Quilt-Triennale
Textilmuseum St. Gallen
Vadianstrasse 2
9000 St. Gallen
Schweiz
Öffnungszeiten:
täglich 10 – 17 Uhr
Vernissage:
Do, 13. Februar 2020, 18.30 Uhr
Die Textile Linie – Etüden in Stoff und Papier
Workshop mit Judith Mundwiler
Sa/So, 22./23. Februar 2020, jeweils 10 – 17 Uhr
Anmeldung erforderlich
Vergangen – gegenwärtig – künftig
Künstlerische Darstellungen der Zeit
Museumsgespräch mit Gudrun Heinz
Do, 5. März 2020, 18 Uhr
Traditional Embroidery
Workshop mit Elisabeth Roulleau
Di – Do, 17. – 19. März 2020, jeweils 10 – 17 Uhr
Anmeldung erforderlich
Öffentliche Ausstellungsführungen:
So, 1. März / 5. April 2020, jeweils 11 Uhr
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Ausschreibung:
‘Klassisch – Kitsch und Kunst’
Das Textil- und Rennsport Museum Hohenstein-Ernstthal (TRM) hatte schon bei der NADELWELT Karlsruhe 2019 den Startschuss für den Wettbewerb gegeben, an den ich hier nochmals erinnern möchte: ‘Klassisch – Kitsch und Kunst’ lautet das Thema.
Aus Anlass der Landesausstellung ‘Boom. 500 Jahre Industriekultur in Sachsen’ möchte das TRM unter Einbeziehung seiner ehemaligen Jacquardgewebe wieder eine textile Ausstellung initiieren, deren Ergebnisse im Herbst 2020 in einer Ausstellung im TRM gezeigt und im Anschluss als Wanderausstellung auf Reisen gehen sollen.
Das TRM bewahrt in seiner Sammlung auch Bildteppiche, die sich vor allem im 19. und bis ins 20. Jahrhundert hinein grosser Beliebtheit erfreuten. Manche Wohnstube zierte eine idyllische Landschaft mit ‘Röhrendem Hirsch’ oder ein Knusperhäuschen à la ‘Hänsel und Gretel’. Wo die Linie zwischen Kunst und Kitsch, Zeitgeist, Klassik und aktueller Kunst verläuft, ist bisweilen schwierig zu definieren und einer künstlerischen Auseinandersetzung wert. Das TRM möchte mit diesem Wettbewerb dazu auffordern, sich mit Hilfe eines seiner Bildteppiche der Thematik ‘Kitsch’ zu nähern und trotzdem Kunst zu schaffen oder anders ausgedrückt: etwas Einmaliges, Individuelles aus der ehemaligen Massenware entstehen zu lassen, was uns heute überzeugt.
Lassen Sie sich herausfordern! Schaffen Sie ein textiles Werk, ein Wand- oder dreidimensionales Objekt. Der Bezug zum TRM wird durch die Verwendung von Bildteppichen / Stoffen aus der ehemaligen Produktion hergestellt.
Einsendeschluss: 15. Mai 2020
Alle näheren Einzelheiten finden Sie in den Teilnahmebedingungen.
Diese stehen auch zusammen mit dem Formular für die Anforderung der Stoffe und dem Einreichungsformular auf der Website des Museums zum Download bereit.
Info:
Textil- und Rennsport Museum TRM
Antonstrasse 6
09337 Hohenstein-Ernstthal
Deutschland
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Bitte informieren Sie sich vor einem Ausstellungsbesuch auf der jeweiligen Website besonders über die genauen Öffnungszeiten – es kann sich immer etwas ändern.
Weitere Ausstellungen finden Sie auf meiner Website in der Rubrik AUSSTELLUNGSKALENDER.
Den verschiedenen Beteiligten herzlichen Dank für das Zur-Verfügung-Stellen von Informationen und Bildmaterial!
WOHIN zuerst ?!?
Vielen Dank, liebe Gudrun, daß Du auch im nagelneuen Jahr sooo viele verführerische Ausstellungs-Tipps zusammengestellt hast!
“Kitsch & Kunst” – na DA muß ich doch hin, und die beeindruckende COWS …-Ausstellung kann ich auch nur empfehlen!”
Weiterhin viel Energie und Spaß an “unserer Sache” wünscht Dir sehr herzlich – Uschi
halli hallo uschi,
dir auch vielen lieben dank zurück!
das wär doch was – wir beide mal wieder im trm in hohenstein-ernstthal. du und ich, jede mit einem werk vertreten in der kitsch & kunst-ausstellung, was meinste dazu? 🙂 ich würde mich sehr, sehr freuen!
herzlich
gudrun
Liebe Gudrun, GENAU DARAUF freue ich mich auch!!!
Jaqcuards liegen bereits bei mir, graue Zellen sind fleißig am Sammeln, Verknüpfen, Aussortieren, Komprimieren, ungeahnte Zusammenhänge eröffnen sich – kurz: ALLES ist interessant und spannend !!!
Bis (spätestens) HOT dann also – lieben Gruß an Dich – von Uschi
allen leserinnen und lesern möchte ich natürlich einen guten rutsch und für 2020 nur das beste wünschen!
gudrun
Hallo Gudrun,
so viele herrliche Ausstellungen. Die klaren Linien des Bauhaus- und Nordic-Design sprechen mich besonders an. Eine Hommage an Künstlerinnen damals wie heute sehr wichtig. Thonet immer sofort erkennbar und absolut zeitlos. Die Kunst der Azteken überaus beeindruckend. Danke für den weiten Bogen, den du wieder gespannt hast.
Herzliche Grüße und ein gutes Ankommen im Jahr 2020.
Birgit
halli hallo birgit,
1000 dank für deine lieben zeilen, die ich wie immer mit freude lese. der weite bogen – es war diesmal ein schönes stück arbeit, da ich durch die feiertage nicht sehr viel freie zeit hatte. vor weihnachten musste noch ein quilt fertig werden, dann die familie hier versammelt und dann kamen die nachtschichten … aber egal, es ist geschafft und mich freut es sehr, wenn’s gefällt.
auch für dich einen glücklichen start ins neue jahr und
beste grüsse
gudrun
Liebe Gudrun,
vielen Dank für die umfangreichen und beeindruckenden Ausstellungstipps. Da hat man mal wieder richtig Lust, sich das neue MOMA anzusehen.
Dir einen guten Rutsch und liebe Grüße
Erika
halli hallo erika,
freut mich sehr, kaum sind die tipps erschienen, ist schon dein lieber kommentar da – vielen dank! ja, das MoMA wäre auch mal ein ziel für mich. meine tochter liegt mir auch schon länger in den ohren 🙂
dir ebenfalls einen guten rutsch ins neue jahr und
beste grüsse
gudrun