Events fallen aus, Museen, Galerien, Kirchen … bleiben in diesen Zeiten der Corona-Krise geschlossen. Dennoch möchte ich einige Ausstellungen hier im BERNINA blog vorstellen. Viele Leser*innen könnten, auch wenn das Haus geöffnet wäre, keinen Besuch machen, da zu weit entfernt, aus zeitlichen Gründen usw. So bleiben wir trotzdem am Ball und informiert. Von guten Gedanken abseits ‘der Lage’ mal ganz abgesehen. Machen Sie, liebe Leserinnen und Leser, es gut, halten Sie durch und vor allem: Bleiben Sie gesund!
Ihre Gudrun Heinz
Andrea Myers: Neon Speed
Das Textil- und Rennsport Museum (TRM) im westsächsischen Hohenstein-Ernstthal ist zwar derzeit wegen Corona vorübergehend geschlossen, aber die Ausstellung ‘NEON SPEED’ der amerikanischen Textilkünstlerin Andrea Myers – hier hatte ich sie bereits angekündigt – hängt und könnte besichtigt werden. Das TRM knüpft mit dieser Sonderausstellung an seine zwei historisch gewachsenen Sammlungsschwerpunkte an: an den der regionalen Textilindustrie sowie an den des Rennsports auf dem am Ort gelegenen Sachsenring.
Im Rahmen des aktuellen Jahrs der Industriekultur im Freistaat Sachsen setzt das TRM mit dieser Sonderausstellung einen künstlerischen Akzent und richtet den Blick in die Gegenwart.
Andrea Myers aus Columbus, Ohio (USA), Assistant Professor für Kunst an der Kent State University in Stark, North Canton (Ohio) war im Sommer 2018 Stipendiatin eines Künstleraustauschprogrammes und für zwei Monate zu Gast in Dresden. Bei einem Besuch im TRM wurde die Idee einer Ausstellung geboren. Vor allem die expressive Ausstrahlungskraft ihrer textilen Arbeiten und ihre Verwendung von technischen Textilien waren für eine Einladung überzeugend.

Andrea Myers: Mirror Echo
Maschinell genähte Stoffcollage
20 x 30 cm, 2019
Foto: © Andrea Myers, freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt
Seit einigen Jahren erweitert das Museum die Sammlung und die Dauerausstellung um das Segment ‘Technische Textilien’ und organisierte 2017 nicht nur die Sonderausstellung ‘Technik in Textilien’, die die Tradition des Rennsports mit technischen Textilien und ihren innovativen Eigenschaften in Bezug auf Funktionalität und Sicherheit darstellte, sondern auch ‘Fadenlauf – Textil trifft Rennsport’, einen zweiten Ausstellungsteil. Hier liessen sich 14 Textilkünstlerinnen dazu herausfordern, diese technischen Textilien in ganz verschiedenen, individuellen künstlerischen Interpretationen ein- und umzusetzen – ich selbst war nicht nur daran mit einer Bodeninstallation beteiligt, sondern habe auch verschiedentlich darüber berichtet. Übrigens war geplant, die Fadenlauf-Ausstellung nochmals bei den Patchworktagen der Patchwork Gilde Deutschland e.V., die vom 22. – 24. Mai 2020 in Meiningen stattfinden sollten, zu zeigen, aber die Patchworktage wurden inzwischen leider auch abgesagt.

Andrea Myers: Sidestep
Maschinell genähte Stoffcollage
Foto: © Andrea Myers, freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt
Technische Textilien werden vor allem ihrer technischen und funktionellen Eigenschaften wegen produziert und nicht etwa wegen eines dekorativen oder ästhetischen Charakters. Ungewöhnliche Materialien also, in unterschiedlichsten Qualitäten und in beschränkter Farbauswahl.
Andrea Myers verfolgt bei der Verarbeitung einen ganz eigenen Ansatz: Sie erschaffe mit ihren Textilcollagen Licht, schreibt die kanadische Autorin und Kuratorin Shannon R. Stratton im Ausstellungskatalog. Rechteckige Stoffteile setzt sie mit maschinellen Nähten zusammen und kreiert damit ‘fliessende, anschwellende Textilobjekte, die zu glitzern und zu zucken scheinen wie die Sonne auf dem Wasser’.

Andrea Myers: Shift-Shadow
Maschinell genähte Stoffcollage
Foto: © Andrea Myers, freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt
Myers arbeitet nach einfachen, selbst aufgestellten Regeln: Die gewebten Stoffe werden schnell und effizient durch Reissen abgetrennt und in einfache Formen gebracht; die Nähmaschine mit ihren flotten geraden Nähten kann als Verlängerung ihrer Hand gesehen werden. Die Künstlerin begnügt sich dabei mit der Palette, die ihr die Textilindustrie zur Verfügung stellt und nimmt keine Änderungen vor.

Andrea Myers: Rainbow Rise
Maschinell genähte Stoffcollage
152 x 152 cm, 2019
Foto: © Andrea Myers, freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt
Pinselstrichen gleich improvisiert sie mit den Stoffteilen innerhalb dieser Einschränkungen, hält durch Farbfelder einen Ort, eine Zeit oder eine Stimmung fest. Myers zeichnet oder malt sozusagen mit Textilien und nimmt dabei den direktesten und unbefangensten Weg in Richtung Ausdruck. Dieser kreative Prozess erzeugt eine grossartige Wirkung, Licht und Energie entstehen in den textilen Werken.

Andrea Myers: Night’s Light Lights Out
Maschinell genähte Stoffcollage
188 x 320 cm, 2019
Foto: © Andrea Myers, freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt
Shannon R. Stratton schreibt: ‘Andrea Myers hat die Verarbeitung von Materialien so eingeschränkt, dass ihre Farbimprovisationen Vorrang haben. Jedes Werk hält einen Moment fest, der unter Umständen emotionaler scheint, als er es tatsächlich war. Ihre Werke sind wahrlich das Produkt der Bedingungen, mit denen sie arbeitet – eine Art eingeschränkter Expressionismus, der zeigt, dass Freude auch innerhalb einfacher Regeln möglich ist.’

Andrea Myers: Hopscoth
Maschinell genähte Stoffcollage
45 x 50 cm, 2019
Foto: © Andrea Myers, freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt
Ihre Arbeit lässt viele Deutungen zu. Sie provoziert die Interpretationsfreiheit. Manche Betrachter*innen erkennen Landschaften, andere sehen einen Selbstzweck in der bewussten Zweckentfremdung der von ihr verwendeten Materialien. Aber die Macht ihres künstlerischen Ausdrucks und die ihm innewohnende Freiheit legitimieren diese provozierende Haltung und schaffen gleichzeitig Räume, die die Betrachter*innen selbst gestalten können.

Andrea Myers: Den Himmel flicken
Installation aus maschinell genähten Stoffcollagen
2020
Foto: © Andrea Myers, freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt
Für das TRM speziell schuf Myers direkt vor Ort ein besonderes Werk, das sich mit den Ereignissen der Friedlichen Revolution und dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 auseinandersetzt. Vom Museum erhielt Andrea Myers im Vorhinein technische Textilien, die in Sachsen hergestellt werden, zur Verfügung gestellt. Daraus entstand eine 10 Meter lange Wandcollage mit dem angedeuteten Graffiti der Westberliner Seite der Mauer. Bilder von der Erstürmung der Berliner Mauer durch DDR-Bürger in Jeansbekleidung gingen damals um die ganze Welt. Dieses Szenario setzt Myers mit alten Jeanshosen in eine textilkünstlerische Aussage um.

Andrea Myers: Den Himmel flicken, Detail
Foto: © Andrea Myers, freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt
Katalog erhältlich.
Auf der unten verlinkten Website des Museums finden Sie noch weitere Informationen und Fotos.
Info:
7. Februar – 19. April 2020
NEON SPEED
Andrea Myers
Textil- und RennsportMuseum
Antonstrasse 6
09337 Hohenstein-Ernstthal
Deutschland
Öffnungszeiten:
Di – So: 13 – 17 Uhr
Das Textil- und RennsportMuseum bleibt bis auf Weiteres geschlossen.
Alle Fotos: © Andrea Myers, freundlicherweise vom Museum zur Verfügung gestellt.
Weitere Informationen zu Ausstellungen finden Sie auf meiner Website in der Rubrik AUSSTELLUNGSKALENDER.
Liebe Gudrun, DANKE für Deine Mühe! So strahlende Farben erhellen diese “dunklen Tage”. Schade, dass ich die Ausstellung nicht sehen kann, aber auch in der Natur finden wir ja momentan so strahlende Farben, so, als sei alles wie immer… Bleib gesund, lieben Gruß, monika
halli hallo monika,
sehr gern geschehen, liebe monika. die farben, die expression, die technik – genau mein ding! frühling, so als sei alles wie immer – da sagst du was. ich lasse die nähmaschine schnurren und nähe nase-mund-schutz-masken aus herrentaschentüchern. habe ich auch vorher noch nie gemacht. hoffentlich brauchen wir sie hier in der familie nicht ernsthaft.
dir und deinen lieben alles, alles gute und gesundheit
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
schon lange Zeit verfolge ich Deine Beiträge und bin immer wieder erstaunt, über die Vielfalt der Themen. Mein besonderes Interesse fand der Beitrag über die Ausstellung COWandMORE, denn es ist auch ein Quilt von mir dabei.
Im Textil- und RennsportMuseum in Hohenstein-Ernstthal bin ich schon mehrmals gewesen. Leider habe ich es versäumt, zur Eröffnung der Ausstellung von Andrea Myers hin zu fahren.
Danke dafür, dass Du Dir mit der Erarbeitung der Beiträge so viel Arbeit machst. Sie sind immer sehr abwechslungsreich und interessant.
Liebe Grüße
Petra
halli hallo petra,
ganz lieben dank! ich hoffe, dass ich die berichte-serie weiter fortsetzen kann, um immer wieder neues, aber auch älteres zu zeigen. mal sehen 🙂
und nochmal: bitte zu hause bleiben, damit alle davon profitieren und gesund bleiben.
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
spannende Farbinszenierungen ziehen den Blick magisch auf sich. Die Technik erinnert mich an Boro. Schön, dass du trotz geschlossener Veranstaltungen in deinen Berichten Einblick gewährst. Bleib gesund. Viele Grüße
Birgit
halli hallo birgit,
dir ebenso herzlichen dank! ja, die technik ist toll, gefällt mir auch sehr. schade, dass ich die ausstellung nicht in natura sehen kann, hätte ich aber bei ca. 400 km entfernung zum TRM auch sonst nicht gekonnt. um so mehr schätze ich die fotos und den katalog, die ich vom museum zur verfügung gestellt bekommen hatte. by the way, den katalog könnte man sich vielleicht auch zuschicken lassen.
mach’s gut, liebe birgit und pass auf dich auf
beste grüsse
gudrun
Liebe Gudrun!
Ganz herzlichen Dank, dass Du uns jetzt mit Deinen Beiträgen durch die zur Zeit geschlossenen Ausstellungen führst.
Liebe Grüße und bleibt alle gesund!
Wiebke
halli hallo wiebke,
vielen dank zurück! ich denke, wenn ich mich nur noch mit dem corona-thema beschäftige, enge ich meinen geist ein und kriege noch psychische probleme – womöglich am ende dazu. ich muss was dagegen machen, was ich kann: also in meinen vorrat tauchen, ihn aufbereiten, beiträge verfassen und diese via internet an alle diejenigen weitergeben, die sich dafür interessieren und daran erfreuen. wenn man schon weitgehend zu hause bleiben muss, dann machen wir doch virtuelle spaziergänge 🙂
beste grüsse und gesund bleiben oder werden!
gudrun