Schon wieder November? Ja, tatsächlich. Und wie letztes Jahr im November dürfen wir hier einen Gastbeitrag von Wolfgang Eibisch über das Quiltfestival Kurotschka Rjaba in Sankt Petersburg publizieren. Das Festival findet heuer zum siebten Mal statt und hat sich als Quilt- und Patchwork-Event im Herbst etabliert. Es bietet eine Gesamtschau des europäischen Schaffens. Etablierte Künstlerinnen und vielversprechende Newcomer erhalten gleichermassen eine Bühne. So nahe Kurotschka Rjaba das zeitgenössige Quilten verfolgt, so gross ist für viele unserer Leserinnen aber die Distanz zwischen Wohnort und Sankt Petersburg. Wir freuen uns deshalb besonders, dass Wolfang Eibisch, pensionierter BERNINA Manager für Osteuropa und unpensionierbarer Quilt-Aficionado, im Folgenden einige Eindrücke vom diesjährigen Festival vermittelt.
Bericht über das VII. Quiltfestival Kurotschka Rjaba in Sankt Petersburg
Von Wolfgang Eibisch
Das Festival ist in der Mitte Oktober ein feststehender Termin geworden.
Diesmal konnte ich die Kuratorin Natalya Merentzewa an einer Einladung der Exposition „Advanced Girls“ von Gabriele Fischer, Gonhold Murmann und Eva Wöhrl, Mitglieder der Freisinger Gruppe Schnipsis, interessieren.
Zur Eröffnung findet stets eine spezielle Führung der Kuratorin mit Vorstellung der Künstlerinnen und einer kurzen Kommentierung aus ihrer Sicht statt, alles in Russisch und in hohem Tempo, so dass zur Übersetzung keine Chance bleibt. Die Diskussion über die Exposition hat sich dann im Internet entwickelt, wie und ob die russischen Frauen eine andere Sichtweise leben. Das gestartete Thema könnte eine interessante Fortsetzung finden.
Dominierend in der gesamten Ausstellung war das Thema Kimono. Der Klub Ludmilla Galumova wurde in Sankt Petersburg bereits 1995 von ihr und Natalia Merentzewa gegründet. Das Kollektiv hat eine große Ausstellungserfahrung und ist Träger zahlreicher inländischer und ausländischer Preise.
Seit dem Jahr 2000 arbeitet der Klub im Rahmen des Kreativprogramms „Neues ornamentales Quilten“ im Experiment der Verflechtung von vertieftem Studium der Tradition mit dem Suchen neuer Formen moderner Textilien und neuer räumlicher Expositionslösungen, die sich organisch aus der Spezifik des Quilts ergeben. Dabei geht es um große Projekte und um die Suche nach dem Platz des Quilts im gegenwärtigen Kunstprozess.
Die universale Methode der Ausbildung des Quiltens, entwickelt durch Ludmilla Galumova, hat sich als außerordentlich erfolgreich bei Hobbykünstlern wie auch bei Kunststudenten (Akademie Muchanova, Akademie für Technologie und Design) erwiesen.
Diese Programme erfassen alle Technologien und die Mehrheit der Richtungen modernes Quilten und sind so aufgebaut, dass es Teilnehmern ohne Begabung im Zeichnen gelingt, diesen Nachteil der Grundlage einer künstlerischen Ausbildung zu überwinden und die Fähigkeit eigenständigen Schöpfertum zu erwerben. (Übersetzung des Textes in der Ausstellung)
Ich kenne Ludmilla Galumowa seit zwanzig Jahren, aber beim diesjährigen Treffen hat sie mich mit der Beschreibung der künstlerischen Wurzeln der gesamten Familie beeindruckt. Acht weibliche Mitglieder der Familie haben eine akademisch-künstlerische Ausbildung im Textilbereich (u.a. ihre Mutter, ihre Tochter Schwestern und Tanten) – das kann man nur Dynastie nennen.
Der Klub war bisher auf 30 Mitglieder begrenzt. Da die Anmeldeliste immer weiterwuchs und die Grandiosität der Projekte auch, wurde die Mitgliederzahl auf 50 (!) erhöht. Das ist natürlich Schlagkraft und Steuerkunst zugleich, so entstanden 30 Kimonos, wovon aus Platzgründen nur 18 in der Ausstellung gezeigt werden konnten.
Beobachtungen in der Aufbauphase:
Das Projekt nennt sich „Aus Russland mit Liebe“ und ist dem japanischen Künstler Itiki Kuboty gewidmet. Der Text des Klubs in der Übersetzung lautet:
Die Ausstellung der Arbeiten von hat unseren Mitgliedern den Kopf verdreht und es geschah etwas sehr Seltenes in unserer Welt. Wir waren nicht in Japan, sehr weit weg gelegen – tausende Kilometer. Wir leben auf der nördlichen Halbkugel, aber ein Lichtstrahl drang durch seine Werke in unser Herz und entzündete einen kleinen Funken, dann ein Feuer und letztlich eine Flamme. Das ist die Liebe und der Wunsch zu verstehen, große Zuneigung und tiefe Achtung zur japanischen Kultur. Wie ist sowas möglich? Das ist ein großes Geheimnis, das Geheimnis der Anziehungskraft der Seele, was man nur mit seinem Herzen begreifen und anderen Menschen durch sein Schöpfertum übertragen kann.
Zur Vernissage lautete der Schlusssatz von Ludmilla Galumow: “Keinerlei Kopie, sondern ein japanisches Thema mit russischer Seele, mit russischem Herzen.”
Aber nun endlich eintreten in die Exposition! Halt, Stopp, sie können sich vorher in sechs Minuten mit der Ausstellung Itiky Kubotas in der Moskauer Manege im Januar 2014 und einer weiteren Ausstellung im Ethnografischem Museum Sankt Peterburg Februar 2014 bekannt machen:
Dieses Projekt wird man wohl noch öfter auf russischen Ausstellungen antreffen, aber es ist schwer ins Ausland zu transportieren. Vielleicht findet sich doch ein Weg.
Es war mir bereits vor einem Jahr klar, dass es zu einem Zusammentreffen mit den Kimonos von Pia Welsch, die sich auf Rundreise in Russland befinden, kommen wird. Die Exposition wird noch eine Weile reisen: Moskau, Sankt Peterburg, Moskau, Perm, Nishnij Nowgorod….
Die Ziele beider Künstler und die Anstöße waren verschieden. Pia Welsch wollte eine freie künstlerische Interpretationen mit viel westlichen Stilmitteln.
Ich kenne bisher kein Beispiel, dass einer verstorbenen Künstlerin aus dem Ausland in zwei wichtigen Ausstellungen mit deren Werke gedacht wurde. Der in ganz Europa geschätzten Aina Muze aus Lettland wurde im September in Moskau und im Oktober in Sankt Petersburg gedacht, einige ihrer Arbeiten:
In diesem Zusammenhang erfuhr ich, dass Ludmilla ihre erste Begegnung mit Aina im Alter von 14 Jahren hatte und diese ihre Lehrerin wurde.
Die lettische Gilde war als Begleiter ihrer verstorbenen Präsidentin mit interessanten Arbeiten präsent, nur einige Arbeiten:
Als Letztes meines Berichts das Werk von Maria Morosowa (spezielle Gebiete Textilcollagen, Batik und Stoffdrucken), von Beruf Kunstlehrerin mit dem Titel “Feuervogel” (300x500cm), im Jahr 2014 geschaffen als Teil eines Vorhanges des Aktsaales des Creative Clubs Vyborger Seite. Die Technik ist eine Textilcollage, die Basisteile auf der Nähmaschine genäht, ein großer Teil per Hand.
Ich freue mich bereits auf die nächste Gruppenreise zum Quiltfest Moskau im April 2018, diesmal mit Personalausstellungen von Brigitte Morgenroth und Randa Stewner, beide zum zweiten Mal in Russland mit neuen Arbeiten.
Ach ja, die Schnipsis fuhren ohne ihre Exposition zurück. Kurzfristige Anfragen aus Moskau, Perm, Nishnyj Nowgorod konnten wir schlecht abschlagen.
Da ist noch etwas: Im Sommer wurde eine russische Quiltguilde registriert, sie wächst schnell, ich bin jetzt Mitglied! für Interessierte: www.quiltersguild.ru und https://www.facebook.com/groups/112382829488278/
halli hallo wolfgang,
hab vielen herzlichen dank für diesen tollen einblick – die russische interpretation der kimonos ist einfach eine extraklasse. besonders die köpfe samt kopfbedeckungen haben es mir angetan! aber auch der film über die inspirationsquelle – die ausstellung der original-kimonos des japanischen künstlers – ist sehr imposant, den sollte man sich ansehen. wie gut, dass du in st petersburg warst, deine kamera dabei hattest und dir die arbeit mit dem bericht gemacht hast. nochmals: spasibo!
beste grüsse
gudrun