Unser Besuch
Seit Längerem beschäftige ich mich mit den Verhüllungen des Künstlerpaars Christo und Jeanne Claude, berichtete gelegentlich auch hier im BERNINA blog darüber, bin einfach davon fasziniert. Jedoch fand dies bisher nur auf dem Papier oder Bildschirm statt, leider nicht ‘in echt’. Hmm.

Christo and Jeanne-Claude: ‘Wrapped Reichstag’, Berlin, 1971-95
© 1995 Christo and Jeanne-Claude Foundation
Foto: Wolfgang Volz, freundlicherweise vom Veranstalter zur Verfügung gestellt
Was habe ich mich schon darüber geärgert, dass ich damals den verhüllten Berliner Reichstag nicht besuchte. Oder die ‘Floating Piers’ nicht betrat, den Laufsteg auf dem oberitalienischen Lago d’Iseo. ‘Wir Verrückten sind morgens um halb drei gestartet …’. Mit diesen oder ähnlichen Worten begannen die Schwärmereien von gewitzteren Bekannten, um dann vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen.

Christo and Jeanne-Claude: ‘The Floating Piers’, Lake Iseo, Italy, 2014-16
© 2016 Christo and Jeanne-Claude Foundation
Foto: Wolfgang Volz, freundlicherweise vom Veranstalter zur Verfügung gestellt
Aber die Gelegenheiten sind passé, Christos jüngere Verhüllungen sind nur eine temporäre Erscheinung, das, was man im Englischen treffend als ‘a once-in-a-lifetime experience’ bezeichnet, eben nur einmal im Leben möglich.
Berichte in den Medien mit vielen phantastischen Bildern und tollen Kommentaren über das neueste Projekt, ‘L’Arc de Triomphe, Wrapped’. Vor diesem Hintergrund spielte sich das Tischgespräch ab. ‘Ich würde das auch gerne mal sehen’, meinte meine Tochter. ‘Dann buche dir ein Ticket für den TGV …’ – ich überlegte kurz: wenn nicht jetzt, wann dann? – ‘… und ich würde mitkommen!’ Jetzt war’s raus. In zweieinhalb Stunden wäre man in Paris, morgens hin, abends zurück, eine Tour de force, aber machbar, jetzt oder nie. Kommt noch jemand mit oder hat etwas dagegen?
Und so kam es, dass Tochter und Mutter sich am Samstag morgen in den Zug setzten, am Pariser Gare de l’Est den Bus No 31 bestiegen und ihn kurz vor Erreichen des Ziels wieder verliessen, Frankreichs Nationalmonument im strahlenden Sonnenschein silbern glänzend schon vor Augen.
Über die Installation der Verhüllung habe ich hier im Blog schon ausführlich berichtet, aber wie ist es mit Blicken auf die Details, die uns Näherinnen und Näher interessieren? Nähte, Knoten und Verbindungen, Säume, Versäuberungen und Abschlüsse? Dazu habe ich jetzt Bilder aus den eigenen Kameras mitgebracht.
Die ca. 25.000 m² extra nach den Wünschen des Künstlers angefertigtes recycelbares Polypropylen-Gewebe – zweimal so viel Stoff im Vergleich zur steinernen Fläche, damit sich die Falten bilden konnten – werden schon allein durch ihr Gewicht von mehreren Tonnen gehalten. Jedoch sah der künstlerische Entwurf Christos vor, dass die Hülle auch verschnürt wird. Dazu kamen ca. 3.000 m rotes Seil zum Einsatz, die zusammen mit der stählernen Unterkonstruktion dem Ganzen auch die nötigen Konturen verleihen.
Befestigt sind die Seile, wie durch Knopflöcher eingehakt, auch an der Unterkonstruktion. Es ergibt sich ein höchst imposanter Blick, wenn man aus einer Augenhöhe von ca. 1,50 m an den Seilen entlang in die Höhe schaut. Phänomenal!
Und was ist mit dem Stoff? Den Stoffbahnen, die die Näherinnen in Lübeck mit Kapp- und weiteren Mehrfach-Nähten nicht nur in Längsrichtung miteinander verbanden? Zunächst war das Gewebe blau.
Es wurde einseitig ganz hauchdünn mit pulverisiertem Aluminium beschichtet, genauer gesagt verteilen sich auf die gesamte, ungefähr fünf Fussballfelder grosse Stoffoberfläche 1 kg des Metallpulvers. Dadurch schimmert der blaue Original-Farbton an manchen Stellen durch, was von Christo so gewollt war. Bleu, blanc, rouge.
Tja, und dann gibt es noch ein grosses internationales Team, das Stoffproben verschenkt. Alle gleich gekleidet und dadurch erkennbar, alle sehr freundlich und entgegenkommend, alle mit 7 x 7 cm grossen Stoffstückchen ausgestattet und zu Auskünften bereit. Dann mal los …
Im Inneren des Bogens sieht man nicht nur das Grabmal des Unbekannten Soldaten, sondern auch, wie die Stoffbahnen unten abschliessen: Einfach ein Umschlag und – meine Vermutung – von innen her beschwert.
Ein Blick nach oben auf die Trikolore muss auch noch sein, bevor wir die Besichtigung beenden.
Die klassische Strenge des Triumphbogens wird dem monumentalen Bauwerk durch den textilen Faltenüberwurf genommen und wird – so scheint es – zugleich mit magischer Anziehungskraft ausgestattet. Wunderbar und wunderschön.
Nach einem letzten Blick zurück stellt man fest, dass das Monument nicht das einzige Bauwerk in Paris zu sein scheint, das sich derzeit verhüllt präsentiert.

Christo and Jeanne-Claude: ‘L’Arc de Triomphe, Wrapped’ aus der Sicht von den autofreien Champs Elysées
Foto: Gudrun Heinz
So schön war’s – vielen lieben Dank!
Info:
18. September – 3. Oktober 2021
L’Arc de Triomphe, Wrapped
L’Arc de Triomphe
Place Charles de Gaulle
75008 Paris
Frankreich
***
Auch interessant:
Mein Bericht in den Ausstellungstipps September 2021
Mein Bericht L’Arc de Triomphe, Wrapped
Schade, da komme ich etwas zu spät!Aber vielen Dank für den Bericht! Wie schön, dass Sie dass Erlebnis zusammen mit Ihrer Tochter haben konnten!
halli hallo eva,
1000 dank zurück! ja schade, schade, schade. mit meiner tochter habe ich schon einiges zusammen unternommen und auch hier im blog darüber berichtet. wenn ich daran denke: st. petersburg, riga, london, münchen, ste marie-aux-mines, köln, birmingham, paris und so weiter – meist in sachen ausstellungen und damit verbunden sight seeing, bekannte besuchen und mehr. meist dann, wenn mein mann oder mein sohn nicht konnten oder wollten … egal, ist immer toll gewesen 🙂
beste grüsse
gudrun
Herzlichen Dank für diesen interessanten Bericht. So konnte ich fast ein bisschen dabei sein. Nun bin ich sehr gespannt, was aus deinem Stückchen Stoff wird.Liebe Grüße
halli hallo angelika,
dir auch herzlichen dank! ja, ich bin auch gespannt 🙂 im moment hüte ich meinen schatz noch und habe noch keinen konkreten plan, was aus dem stoff entsteht. mal sehen. es ist im augenblick einfach nur schön ihn anzuschauen wie er ist und ihn mal umzudrehen.
beste grüsse
gudrun
Liebe Gudrun,dein oben stehender Text hätte beinahe 1:1 von mir kommen können – nur dass ich nicht am Samstag sondern Mittwoch da war und den Thalys anstelle des TGV genommen habe. Es war soooo schön!Herzliche Grüße,Anja aus Den Haag
halli hallo anja,
vielen dank! wie schön, willkommen im club! dann sind wir jetzt schon zu … nun ja, scharen von leuten waren an dem samstag da. das war mittwochs sicher nicht anders, oder?
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
bei uns waren am Mittwoch nicht so viele Leute da. Wir sind allerdings direkt nach der Ankunft des Zuges mit der U-Bahn zum Triumphbogen gefahren, und mein erstes Foto stammt von 10:25 Uhr. Es wurde im Laufe der Zeit dann voller, auch im Innenraum, aber auf deinen Fotos sind viel mehr Leute als bei uns. Allerdings ist ja der Place Charles de Gaulle nur am Wochenende abgesperrt, das heißt, bei uns hatte man immer Autos vor der Linse. Aber das hat der Schönheit des Ganzen keinen Abbruch getan.
Ich habe mir übrigens auch so ein kleines Stückchen Stoff mitgenommen und bin immer noch überrascht, dass ein solch festes Gewebe im Wind so sanfte Wellen schlagen kann.
Ich bin so froh, dass mein Mann und ich hingefahren sind. Allerdings ärgere ich mich jetzt noch ein bisschen mehr als bisher schon immer, dass ich den Reichstag und den Lago d’Iseo verpasst habe. Aber daran kann man ja nun nichts mehr ändern.
Es grüßt dich ganz herzlich Anja
halli hallo anja,
so schön, dass du deine eindrücke hier wiedergibst! und du hast recht, es ist die gleiche story bei dir wie bei mir 🙂
ich bin jetzt soweit, den ärger über verpasstes einzustellen – dazu war paris mit dem magischen triumphbogen einfach zu wunderbar 🙂 findest du nicht? ich jedenfalls bin soo froh, es unternommen zu haben.
beste grüsse
gudrun
Wow! Krieg schon beim Lesen Gänsehaut, da shätte ich auch gern live gesehen. Danke für die coolen Nahaufnahmen! LG
halli hallo regina,
vielen dank für deine freundliche reaktion, da stimme ich dir voll und ganz zu. leider ist es nun zu spät und im live-stream kann man nur noch den abbau verfolgen:
https://christojeanneclaude.net/timeline/
es ging aber schon seit wochen durch alle medien, auch ich hatte schon zweimal rechtzeitig darauf hingewiesen. so schade, dass du es verpasst hast.
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,danke für die tollen Fotos. Spontane Entscheidungen sind doch oft die besten. Ich kann mir gut vorstellen, welche Faszination dieses Kunstwerk von Angesicht zu Angesicht ausstrahlt. Sicher ein unvergessliches Erlebnis.Viele GrüßeBirgit
halli hallo birgit,
wie schön von dir zu hören – vielen dank! ja, es ist in der tat unvergesslich und ich bin sehr froh, dass wir den besuch durchgezogen haben. heute ist der letzte tag, dann beginnt schon die demontage und damit ist dann auch das magische feeling wieder weg. christo und jeanne claude hatten da ein richtig gutes konzept 🙂
beste grüsse
gudrun
DAS war eine richtig gute entscheidung, liebe gudrun, daß du mit deiner tochter nach paris gefahren bist, und ich glaube es aufs erste wort, daß es super-prima war! vielen dank für deinen tollen bericht mit den schönen fotos, und wenn man mal von manch´ sicherlich problematischen aspekten absieht: “einfach” ein optischer genuß und futter für die phantasie.in der galerie breckner in ottobeuren ist noch bis 24.10. eine foto-ausstellung von w.volz, dem langjährigen “auge” von christo, zu sehen.nochmal DANKE, liebe gudrun, und beste grüße an dich – von uschi
halli hallo uschi,
dir auch ein grosses dankeschön zurück, auch für den weiteren tipp mit der foto-ausstellung, die sich bestimmt lohnt. ich sitze parallel gerade noch an den nächsten ausstellungstipps und kriege ansonsten nicht viel mit, auch nicht von anderen exhibitions & events. na ja, das wird wieder besser, vor allem, wenn ich weiter auf der welle ‘L’Arc de Triomphe’ surfe …
sei du, liebe uschi, ganz herzlich gegrüsst und bis hoffentlich bald mal wieder,
gudrun
Ihr Lieben!Super Euer Bericht! Traumhafte Fotos habt Ihr gemacht!Jetzt können wir fast sagen: wir haben es auch gesehen.lieben Dank und viele GrüßeWiebke
halli hallo wiebke,
1000 dank! die freude ist riesig. mein mann hat behauptet, so glücklich strahlend hätte er mich schon lange nicht mehr gesehen. das stimmt 🙂
beste grüsse
gudrun