Im Jahr 2017 gelang dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg der Erwerb eines bemerkenswerten Objekts: eines einteiligen Seidenkleids aus der Zeit um 1760 mit zugehörigem Reifrock. Aussergewöhnlich gut ist die Farbigkeit der Seide erhalten, der hellblaue Grund mit dem farbigen Blumendekor ist kaum verblichen – äusserst selten bei Textilien dieses Alters. Jetzt ist es erstmals öffentlich zu sehen, als zentrales Exponat der Sonderausstellung ‘Luxus in Seide’ und zwar noch bis zum 6. Januar 2019.
Zusammen mit luxuriösem Schmuck, Accessoires und ‘Galanteriewaren’ wie Kopfbedeckungen und Kragen, Fächern und Handschuhen, Seidenstrümpfen und Schuhen ermöglicht die Ausstellung mit rund 100 Objekten einen faszinierenden Einblick in die opulente Welt der Damenmode des 18. Jahrhunderts.
Einer Pfarrerstochter hatte das Kleid wohl einst gehört, die es im Alter von 17 Jahren bei ihrer Hochzeit trug. Die Familie verwahrte das kostbare Textil über 250 Jahre. Vergangenes Jahr wandte sie sich ans Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, da sie es fachgerecht aufgehoben wissen wollte.
‘Heutzutage ist es kaum noch möglich, originale Kleidung des 18. Jahrhunderts aus dem ursprünglichen Familienzusammenhang erwerben zu können’, freut sich Generaldirektor Prof. Dr. G. Ulrich Großmann, ‘und dass sich die Familie an uns gewendet hat, zeugt auch von dem hervorragenden Renommee, das das Germanische Nationalmuseum im Umgang mit historischen Textilien geniesst.’
Das Seidenkleid zeigt die selten erhaltene Schnittform einer Taille-Andrienne, eines bodenlangen, einteiligen Kleids mit betonter Taille und weiter Rückenfalte – eine damals hochmodische Sonderform der ‘Robe à la française’. In der Ausstellung ist es allansichtig in einer vollverglasten Vitrine aufgestellt. Eine eigens angefertigte Figurine sorgt für die seitlich auf Hüfthöhe weit ausgestellte Form, eine Aufgabe, die einst ein Reifrock mit Fischbeinversteifung übernahm, der in einer zweiten Vitrine neben dem Kleid zu sehen ist.
Als modern und komfortabel erwies sich dieser mit dem Seidenkleid erworbene ‘kleine Reifrock’ aus rotem Seidenatlas: Er garantierte Volumen, ohne viele Stofflagen zu benötigen, hatte dadurch ein geringeres Gewicht und liess ein wenig Luft an die Beine. Der Rock ist kurz, beim Gehen schlugen keine Reifen gegen die Knöchel. Praktisch sind zudem zwei breite Schlitze, durch die auf Innentaschen zugegriffen werden konnte.
Ergänzend veranschaulichen weitere Ausstellungssektionen, was eine modebewusste Dame damals zu und mit einem solchen Kleid trug.
Bemerkenswert ist eine reich bestickte, mit Silberfäden durchwirkte Steckergarnitur aus dem 18. Jahrhundert, bestehend aus Vorstecker, Umlegekragen und Muff. Der dreieckige Vorstecker konnte einst als zusätzliches Dekor vorne am Oberteil eines Kleides befestigt werden, der aufwendige Kragen zierte umlaufend die Halspartie. Das wohl in Nürnberg entstandene Set ist äusserst luxuriös, nur Damen gehobenen Standes konnten sich solche Pracht leisten.
Historische Schuhe haben ebenfalls die Zeit selten überdauert. Die Ausstellung zeigt gleich fünf Paar und ein Paar Überschuhe, auch ‘Patten’ genannt. In solche schlüpfte man beim Verlassen des Hauses samt ‘normaler’ Schuhe, um diese zu schützen. Eine Unterscheidung zwischen links und rechts existierte nicht, zwei identisch geschnittene Schuhe bildeten zusammen ein Paar. Sohle, Schuhblatt und Seitenteile bestanden aus Leder, im Absatz verbarg sich ein Holzkern, wie kunsttechnologische Untersuchungen bestätigten. Elegante Modelle wurden zudem mit einer zum Kleid passenden Seide bezogen, wovon ein sogenanntes Halbfabrikat mit Schnittformen zeugt.
Im Vergleich zur durchaus aufwendigen Damenkleidung hielt sich der im 18. Jahrhundert getragene Schmuck in Grösse und Farbigkeit eher zurück. In den Vitrinen überwiegen Ensembles mit farblosen Steinen wie Diamanten, Perlen oder geschliffenem Glas. Ab den 1750er Jahren kamen ausserdem bewegliche Elemente in Tropfen- oder Tränenform in Mode. Kostbar schimmern zwei Colliers und Ohrringe aus Perlmutt – ein Effekt, der sich bei Kerzenlicht zusätzlich verstärkte. Raffiniert ist der Verschluss aus einem Seidenband, der das Schmuckstück für jeden Hals passend machte.
Neu kamen in dieser Zeit auch Sonnenschirme auf. Ein seltenes und überdies aussergewöhnlich gut erhaltenes Exemplar aus den 1780er Jahren ist in der Ausstellung zu sehen, dessen Stoff mit Laubwerk, Voluten, Vögeln und Sonnenblumen bedruckt ist. An der Spitze endet der Schirm in einer kunstvoll geschnitzten Blütenknospe.
Zeitgenössische Darstellungen, Auszüge aus der historischen Literatur, aber auch Modekarikaturen ergänzen in der Präsentation die erhaltenen Textilien. Schon damals informierten sie über neue Modeerscheinungen, die mitunter auch in Reiseberichten oder Wochenblättern thematisiert wurden. Daneben veranschaulichten Modepuppen in Lebensgrösse oder en miniature – von Frankreich aus verschickt – in Adelskreisen detailgetreu das Bild einer ‘à la mode’ gekleideten Dame, wie eine kleine Anziehpuppe aus der Zeit um 1750 am Ende der Ausstellung deutlich macht.
Zur Ausstellung ist eine Publikation erhältlich. Sie wrid von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet, das auf der Website des Mueums ersichtlich ist.
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Info:
5. Juli 2018 – 6. Januar 2019
Luxus in Seide – Mode des 18. Jahrhunderts
Germanisches Nationalmuseum
Kartäusergasse 1
90402 Nürnberg
Deutschland
Öffnungszeiten:
Di – So: 10 – 18 Uhr
Mi: 10 – 21 Uhr
Fotos und Informationen freundlicherweise vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg zur Verfügung gestellt – vielen Dank!
Hallo Wir waren seinerzeit in der Ausstellung und haben einen ähnlichen Stoff. Hat jemand einen Schitt für die taille adrienne ?
halli hallo leila,
vielen dank für deine nachricht. leider ist mir als autorin dieses berichts kein schnitt bekannt. wende dich doch mal an das musuem, vielleicht weiss dort jemand etwas und kann dir weiterhelfen. viel erfolg!
beste grüsse
gudrun
halli hallo birgit,
vielen dank für deine lieben zeilen. ich fand das kleid und seine geschichte sehr bemerkenswert, so dass ich mich für einen eigenen artikel entschied. nein, praktisch war’s bestimmt nicht. aber das ist, glaube ich, hier nicht das kriterium. oder würdest du in jeans & co. heiraten? gibt’s bestimmt auch, aber ich könnte mir vorstellen, dass brautkleider oder andere ausgefallene creationen, die bei gala-anlässen präsentiert werden, eher was für’s auge sind und bequemlichkeit oder praktikabilität eine untergeordnete rolle gegenüber der repräsentation spielen. was meinst du?
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
was für ein herrliches Kleid samt aufwendigem Zubehör. Schön anzuschauen, super erhalten. Aber praktisch war es sicher nicht. Da ist mir die heutige Mode mit Jeans und Co. doch lieber. Ein schöner und informativer Bericht.
Viele Grüße
Birgit
Hallo Gudrun,
na ja, ehrlich gesagt bin ich da eher unkonventionell. Aber du hast schon recht, für besondere Anlässe ist ein entsprechendes Kleidungsstück natürlich auch schön. Je nach Geschmack, denke ich. Ist doch herrlich, dass das heute möglich ist.
Viele Grüße
Birgit