Nö, warum sollte es? Also eigentlich nicht. Oder … vielleicht doch? Da habe ich doch schon des Öfteren die eine oder auch zwei hochgezogene Augenbrauen gesehen, wenn ich von meinen Nähambitionen berichte. „Müssen Sie das oder wollen Sie das?“ wird gefragt. Auf den ersten Blick habe ich in den Augen meiner Gesprächspartner mit Nähen nichts zu tun. Meine Welt der Unternehmensberatung beschäftigt sich mit der Entwicklung und Umsetzung von Ideen in die Tat – immer mit dem betriebswirtschaftlichen Blick „Rechnet sich das?“ – also eher weniger mit der haptischen Nähwelt. Es sei denn, man gründet ein Interkulturelles NähCafé, in dem Integration ganz nebenbei passiert. Dazu später mehr. Zurück zum Nähen. Meine Geschäftspartner wundern sich regelmäßig wie ich zu diesem aus ihrer Sicht angestaubten Hobby komme; außer Acht lassend, dass gerade diese Tätigkeit in einem anderen Kontext völlig neue Möglichkeiten bietet. Vor vier Wochen waren wir mit dem Atelier Culture bei der Deutschen Bank in Wiesbaden und haben eine After-Work-Lounge der etwas anderen Art durchgeführt. Ganz nebenbei passiert auch noch etwas Teamarbeit für sonst eher kopfig arbeitende Menschen. Und das lässt sich mit Neuroeffizienz erklären. Aber das nicht hier und jetzt.
Im Durchschnitt kauft jeder Deutsche 18 Kilogramm Kleidung pro Jahr. Am Ende einer langen Wertschöpfungskette schaden diese Altkleidersammlungen den Kleinstunternehmen in jenen Ländern, die sonst mit einem One-Woman-Näh-Business noch den Unterhalt für die Familie erzielen konnten. Ganz zu schweigen davon, dass viel dieser Kleidung keine sauber hergestellte Kleidung ist. Die „Kampagne für saubere Kleidung” veranstaltete im September 2009 ein Protest-Nähen vor dem Kanzleramt; Artikel zur Aktion.
Kaufen kann ja jeder. Aber selber machen? Vivianne Westwood, Urgestein der internationalen Modeszene und Agent Provocateur, rief auf der London Fashion Week zum Konsumboykott auf – um die Welt zu retten: „Kauft nicht meine Klamotten – näht lieber selbst.“ Auch in der Burda (11/2009) zu lesen. Das lassen wir uns im Atelier Culture nicht zweimal sagen. Denn auch wir haben: Keine Lust auf Massenware. Unser Credo: Soviel Gemeinschaft wie nötig, so viel Individualität wie möglich. Nähen verbindet und ist die Sprache, wenn die Worte fehlen. Also ran an die Nadeln. Wir sind nicht allein mit unserer Idee des Nähens in guter Gesellschaft. In Paris gibt’s jetzt das erste Nähcafé, der Guardian berichtete kürzlich.
„Ist nähen peinlich?“ Wohl kaum. Nähen ist eine ausgezeichnete Idee und Teil eines erwachenden und wachsenden Bewusstseins für die eigene Kreativität und Individualität, für Gemeinschaftssinn und Austausch. Nähen ist nicht peinlich, so meine ich, auch als Gründerin des im Rahmen der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichneten Kreativzentrums Atelier Culture in Wiesbaden. Immer mehr Menschen wünschen sich Individualität und Qualität bei ihrer Bekleidung. Abseits von Einheitslook der großen Mode Discounter entwickelt sich eine Szene, die das selber nähen nicht als verstaubte Oma Beschäftigung begreift, sondern als Möglichkeit des eigenen Ausdrucks. Man trifft sich zum gemeinsamen nähen und versteht die Näharbeit als kommunikatives Element mit dem produktivem Effekt, gleichzeitig zu individueller Mode zu kommen. Nähen wird zum Trendsport.
Damit ist es konsequent, den passenden Rahmen zu bieten. Der 1. Rhein-Main Nähkongress findet am 13. Mai 2010 (Feiertag) in Wiesbaden statt. Wir laden herzlich dazu ein. Weitere Infos auf unserer website. Wer keine Zeit hat zum Nähkongress zu kommen, aber mehr über uns erfahren möchte kann das über die Viewpoint-Talkrunde vom 08.03.2010 (Dauer: ca. 28 Minuten).
Das ist der Neid oder die Talentlosigkeit die das schlecht machen wollen. Den meisten gefällt es und würden es gerne selbst können oder Zeit haben dazu. Ich bekomme dauernd ein positives Feedback. Das beste ist meine Nichte, die jetzt mit 9 auch nähen lernen möchte. Wenn wir uns sehen will sie immer was nähen mit mir. Das letzte Mal war es eine Tasche.
das vorurteil “hausfrau, hobby, handarbeit” ist nach meiner meinung ein antiquiertes stigma, das eigentlich in der heutigen zeit keine gültigkeit mehr besitzen darf. man darf nicht aufgeben, es zu widerlegen. als eine möglichkeit sehe ich z.b. ausstellungen in museen an. häuser wie z.b. das v&a haben ein niveau, das nicht in zweifel gezogen wird. deshalb ist die dort gerade laufende quilts: 1700 – 2010-ausstellung auch dafür so wichtig. ebenso ist die bevorstehende exna IV-ausstellung im musée d’art et d’histoire de neuchatel ein schritt vorwärts. vielleicht schafft es ein sammler ja mal dorthin.
pia, mach weiter so, auch wenn dich das finanzamt dafür abkassiert – jetzt erst recht!
Ich bin mir sicher, würde einer unserer großen Kunstsammler in Derutschland mal einen Quilt kaufen, würden alle nachziehen …….meine Quilts sind übrigens auch steuertechnisch KEINE Kunst. Mein Antrag sie mit 7% MWST zu besteuern wurde abgelehnt.
… ob der profi-galerist die filz-arbeiten von joseph beuys auch nicht in sein haus gelassen hätte? es kann ja wohl nicht nur von material oder technik abhängen, was als kunst angesehen wird. ich sehe da eher ein image-problem mit der handarbeit und damit schlechtere verkaufschancen (für die galerie).
Hallo Anke,
was Ihr macht klingt fantastisch und ich wünsche Euch gang viel Erfolg damit! Jetzt wäre es nur schön, wenn die ernsthafte Kunstszene Genähtes auch als Kunst betrachten könnte. Das lehnt sie nämlich rundheraus ab. Mein bestes Erlebnis der letzten Zeit war ein Profi-Galerist, der meinte : gefällt mir was sie machen – aber könnten Sie es nicht malen……..Stoff komme ihm nicht ins Haus! Auch hier wird einfach verstaubte “Handarbeit” diagnostiziert.
Neuer BERNINA Blog Beitrag: Ist nähen peinlich? https://blog.bernina.com/de/2010/04/ist-n…