Der dritte und letzte Teil meines Berichts über das Festival of Quilts 2015 beginnt mit einer eher kleinen, aber feinen Ausstellung von Christine Chester (UK). ‘Fragility of Memory’ zeigt Werke, die sich alle mit dem Thema ‘Demenz’ auseinandersetzen – ein Thema, das mich persönlich besonders interessiert, da ich dies ebenfalls schon tat (vgl. Ausstellung ‘Zeichen der Zeit’). Christine arbeitet mit vielen Bildern ihres von Demenz betroffenen Vaters, eines Fischers, dessen krankheitsbedingte zunehmende Gedächtnisprobleme im Mittelpunkt stehen.
Auf hauchdünne, transparente Stoffe bringt sie vor allem Papier im Wege der Lamination auf. Sie arbeitet in Schichten und spiegelt auf diese Weise …
… sehr treffend die Fragilität, das Zerbrechen der Erinnerungen und ihr Verschwinden wider. Im unteren Foto sieht man die Künstlerin selbst vor ihrer Serie ‘Portrait of a Memory’, die uns schon aus der Ausstellung ‘Fine Art Quilt Masters’ aus dem Jahr 2013 bekannt ist, aber nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüsst hat und nach wie vor sehr berührend ist.
Christine Chester beteiligt sich auch an der Ausstellung ‘In the Spotlight’ – eine schöne Gelegenheit für aufstrebende, noch nicht so bekannte Mitglieder der britischen Gilde, um ihre Werke im Rahmen des Festival of Quilts einem grösseren Publikum vorzustellen. Jedes Jahr gibt es ein neues Thema. Diesmal würdigt man den 150. Geburtstag des Buches ‘Alice im Wunderland’ von Lewis Caroll mit ‘Adventures in Wonderland’, einem nach allen Seiten hin interpretierbaren Thema.
Man nimmt an, dass Lewis Carroll, der unter Migräneattacken litt, die zu halluzinationsähnlichen Erfahrungen führten (und heute unter dem Begriff ‘Alice-im-Wunderland-Syndrom’ bekannt sind), sich davon hat anregen lassen und diese Phänomene in einigen Passagen in seinem Buch verwendet hat. Bei diesen Wahrnehmungsveränderungen scheint z.B. alles zu schrumpfen, sich also zu verkleinern oder umgekehrt, sich wieder zu vergrössern. Hier setzt Christine Chesters Arbeit ein, die Verbindungen zwischen dem Bewussten und Unbewussten suggeriert, mit Buchstaben und Wörtern die Bewusstseinsschichten verbindet und so einen ‘Tunnel’ für unbewusste Kreativität schafft.
In dem Kinderbuch beisst die Titelheldin Alice auch beispielsweise Stücke von Pilzen ab, um ihre eigene Grösse zu verändern, so dass sich gerade Pilze auf verschiedenen Quilts wiederfinden – halluzinogene Pilze klingen hier an.
Belinda Bajai bleibt mit ihrem Quilt ’97 – Tea more Tea’ ganz nahe an den Illustrationen der ersten Ausgabe (1865) des britischen Zeichners John Tenniel – wie z.B. die Teegesellschaft auf Seite 97 – und ahmt den Alterungsprozess der von ihr verwendeten Stoffe durch Färbung mit – na? – Tee nach.
Das Prague Patchwork Meeting ist ebenfalls jedes Jahr beim Festival of Quilts mit einer Ausstellung der Gruppe ‘Art Quilt Club CZ’ vertreten …
… die sich immer wieder der Aufgabe stellen, ein anderes besonderes Material zu verwenden – diesmal fiel die Wahl auf Leder und Pelz – das in die Quilts zu integrieren ist.
Dies ergibt eine ganze Reihe höchst unterschiedlicher Interpretationen, die …
… schon beim diesjährigen Prague Patchwork Meeting zu bewundern waren.
Weiter geht es mit der Ausstellung ‘Nature’ der internationalen Gruppe ‘Crossing Oceans’, kuratiert von Jane Rollason (UK).
Jedes Gruppenmitglied zeigt Arbeiten in eigener Handschrift zum übergeordneten Thema ‘Natur’, wie z.B. Hilary Beattie (UK) …
… oder Charlotte Yde aus Dänemark:
Die einzige Beteiligung aus Deutschland stammt von Christiane Kühr …
… die es hervorragend versteht, mit Quilting und Handstickerei ihre Motive zu betonen.
Nun kommen wir zu einer britischen Institution: City & Guilds, die in früheren Zeiten für die Fortbildung von Auszubildenden zuständig war, heute aber federführend in der Erwachsenenbildung ist. Natürlich auch auf Gebieten wie Patchwork, Quilten, Stickerei usw., also genau das, was mich speziell an den englischen Arbeiten immer wieder so fasziniert. Die Ausbildung erfolgt in mehreren Modulen auf verschiedenen Niveaus und schliesst dann jeweils mit Zertifikaten und Diplomen ab (hier geht es zum Erfahrungsbericht von Angelika Westermann).
In diesem Jahr steht eine Ecke zur Verfügung, wo verschiedene Absolventinnen ihre Arbeiten, zu denen selbstverständlich auch Studienmaterial wie z.B. Skizzenbücher u.ä. gehören, präsentieren können. Es ist jedoch sehr eng, dazu drängen sich die Besucher (zum Glück nicht alle 24.500, die insgesamt kamen, auf einmal) und schieben sich durch die Gänge, so dass ich im Folgenden einfach ein paar Schnappschüsse zeigen möchte und zwar – ganz gegen meine Gewohnheit – weitgehend ohne spezielle Namensnennung. Einfach Feeling und Inspirationen pur!
Hinter Linda Barlows Ausstellung ‘Searching for the Invisible Woman’ stecken viele Interviews, die die englische Künstlerin mit Frauen mittleren Alters führte. Es geht ihr um die wechselnden Lebensumstände und wie diese Frauen beeinflussen. Bespielsweise stellen sich Frauen zwar darauf ein, dass Kinder das Haus irgendwann verlassen, leiden aber möglicherweise trotzdem unter unerwartet ausgelösten Verlustgefühlen.
Die eigenen Erwartungen können in Konkurrenz zueinander stehen: Hält die Frau z.B. am Bisherigen fest oder verfolgt sie nun ihre eigenen Ambitionen? Jedenfalls bieten diese Wechsel für heutige Frauen die Gelegenheit, sich Freiheiten zu erobern, die früheren Generationen nicht offen standen.
Linda Barlow (links im Bild auf dem oberen Foto) setzt diese Erkenntnisse nicht nur in eine Reihe von ungewöhnlichen Arbeiten um …
… die diese ‘Frauensituationen’ thematisieren …
… sondern macht daraus sogar noch einen Trickfilm, dessen Szenen auf den Interviews basieren. Die Besucher werden aufgefordert, aktiv daran teilzunehmen und Bemerkungen dazu zu hinterlassen, so dass der Film künftig noch weiter wächst.
Hier ein abschliessender Blick auf Bestandteile der Figuren, die sie bisher für die Animation entwarf und im Film einsetzt.
Die britische Quilters’ Guild bietet ihren Mitgliedern die Möglichkeit, in fünf verschiedenen Gruppen mitzuwirken, die sich auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert haben: Neben der British Quilt Study Group gibt es noch Gruppen zu Miniature Quilts, Modern Quilts, Traditional Quilts …
… und Contemporary Quilts.
‘Contemporay Quilt’ präsentiert jedes Jahr aufs Neue eine super Ausstellung, diesmal unter dem Thema ‘Elements’. Und das geht so:
Für die Mitglieder organisierte Margaret Pratt einen gruppeninternen Wettbewerb, bei dem ein Quilt in der Grösse von 80 x 45 cm entstehen sollte, dessen Foto zusammen mit einem 20 x 20 cm grossen Musterstück, aus dem Design und Machart ersichtlich sind, für die Auswahl eingereicht wurde.
Die Jurorinnen Annette Morgan und Marion Barnes wählten aus der breiten Palette von Interpretationen, da der Ausstellungsplatz begrenzt ist, die repräsentativsten Exponate aus.
Wie unterschiedlich man sich dem Thema ‘Elements’ nähern kann, beweisen die Fotos. Hier z.B. die köstliche Idee von Gillian Travis – übrigens eine tolle Möglichkeit, um die Zierstiche einer Nähmaschine phantasievoll einzusetzen, oder? Und welchen Pulli würde ich gerne tragen, um den Wind- und Wetter-Elementen zu trotzen?
Elemente – naheliegend, dass hier Naturwissenschaften und ihre Vorläufer eine Rolle spielen.
Der Titel des oberen linken Quilts – Chrysopoeia – ist ein Fachterminus für die Umwandlung von unedlen Metallen in Gold – erklärtes Ziel der Alchemisten in füheren Zeiten. Claire Passmore bedruckte handgefärbte Stoffe mit Symbolen und Zeichen dieser ‘Geheimwissenschaft’ und vergoldete sie teilweise.
Leah Higgins beschäftigt sich mit der heutigen Chemie und kommt zu diesem Schluss: Aus einem begrenzten Satz von Elementen können wir eine unendliche Menge von Möglichkeiten kreieren.
Alle Musterstücke liegen geordnet auf dem Tisch zur Ansicht aus und …
… von der Möglichkeit, darin zu blättern und sie auch berühren zu dürfen, machen viele Besucher Gebrauch.
Eine elegante Arbeit, die, ausser mit Farben und Formen, noch zusätzlich mit unterschiedlichen Stoffen, Texturen, Licht und Schatten sowie verschiedenen Ebenen sehr gekonnt spielt, zeigt Birgitta Debenham mit ‘Light Play’.
Und auch das ist Birgitta Debenham …
… mit einer Story, die darauf wartet, erzählt zu werden!
Nun spazieren wir schon in Richtung Ausgang, denn die schöne Zeit beim Festival of Quilts geht für uns diesmal leider dem Ende zu und das Flugzeug nach Frankfurt wartet nicht. Auf dem Weg …
… noch ein Blick nach rechts und nach links, wo die dreidimensionalen Objekte aufgebaut sind, die ohne Preis wieder zurück gehen, aber trotzdem sehenswert sind.
Nochmals führt der Weg durch die Reihen der Quilts, die in den verschiedenen Kategorien eingereicht worden sind.
Auf dem nächsten Bild achte man mal besonders auf den zweiten Quilt von vorne gesehen. Man erkennt einen Teil eines Gesichts, das vielleicht etwas unscharf wirkt. Dies liegt ausnahmsweise nicht an einer falsch eingestellten Kamera, sondern …
… ist ein Spiel mit der Optik. Je grösser der Abstand des Betrachters, desto schärfer wird das Bild. Ich habe es mit dem nächsten Foto mal umgekehrt versucht und das Bild des Quilts verkleinert, aber vielleicht könnte man stattdessen ja auch ein paar Schritte vom Bildschirm zurücktreten und ausprobieren, was passiert. Brille absetzen, Augen etwas zusammenkneifen, durch einen Fotoapparat schauen – spielen Sie mal!
Je näher man dem Quilt kommt …
… desto unschärfer wird die Ansicht und schliesslich erkennt man, woran dies liegt: Die Arbeit ist aus lauter ‘Pixeln’ aufgebaut. Es handelt sich um eine ‘verpixelte’ Darstellung einer Schwarz-Weiss-Fotografie, die die posierende Schauspielerin Bette Davis in dem Film ‘Dark Victory’ von 1938 zeigt. Das Quilt-Design von Jim Smith soll einen Effekt wie zerbrochenes Glas erzielen.
In diesen Reihen hier gilt das olympische Motto: ‘Dabei sein ist alles!’ …
… nicht jeder Quilt kann auf dem ersten Platz landen …
… wird er auch von vorn und von hinten noch so bestaunt.
Ich hoffe, dass der Bericht nicht nur gefallen hat, sondern vielleicht auch dazu motiviert, selbst einmal teilzunehmen und eine Arbeit in einer der verschiedenen Kategorien einzureichen.
Ich kann hier ja nur einen Bruchteil zeigen. In Wirklichkeit sind es unendlich viel mehr ausgestellte Quilts und Objekte und ich kann mir gut vorstellen, dass es für jede etwas ambitionierte Quilterin hochinteressant zu sehen ist, wie sich die eigene Arbeit innerhalb der doch grossen Konkurrenz macht.
Die britische Gilde organisiert dies vorbildlich und nicht umsonst bilden diese, jährlich immer wieder aufs Neue eingereichten rund 1000 Quilts das Herzstück des Events.
Ja, und wenn dann eine eigene Arbeit erst mal ‘in Birmingham’ hängt, dann reist man auch hin! So fing das bei mir vor vielen Jahren auch mal an …
… und wohin hat mich dieser ‘Virus’ nicht schon geführt! Last but not least auch zu BERNINA – natürlich besuchte ich auch den Stand, sagte Sarah Caldwell hallo, schaute mir die beiden Longarm-Maschinen Q 20 und 24 genauer an und liess mich noch vor dem attraktiven Quilt von Kate Dowty ablichten.
Es würde den Rahmen des Berichts einfach sprengen, wollte ich über ALLES berichten – dies geht nicht. Daher bitte nicht böse sein, wenn ich genau DEN Quilt und DIE Ausstellung eben nicht erwischt habe. Möglicherweise funktioniert das im nächsten Jahr, wenn das Festival of Quilts vom 11. – 14. August 2016 an gleicher Stelle wieder stattfindet.
Now it’s your turn! Bye, bye!
Alle Fotos: © 2015 Gudrun und Valerie Heinz mit freundlicher Erlaubnis des Veranstalters und der Künstler
Zu Teil 1 des Berichts geht es hier: https://blog.bernina.com/de/2015/08/the-festival-of-quilts-2015-1/
Zu Teil 2 des Berichts geht es hier: https://blog.bernina.com/de/2015/09/the-festival-of-quilts-2015-2/
Danke herzlich Gudrun – einmal mehr sind Deine Beiträge spannend und informativ!
halli hallo maja,
freut mich sehr zu lesen, 1000 dank zurück!
beste grüsse
gudrun
Das war wieder einmal toll! Vielen Dank für die vielen schönen Fotos und Deinen Bericht. Jedes Mal ein Erlebnis!
Herzliche Grüße
Sabine
halli hallo sabine,
herzlichen dank für das freundliche feedback.
bis zum nächsten ‘erlebnis’ 🙂
beste grüsse
gudrun
Vielen vielen Dank Gudrun!
LG Bea
halli hallo bea,
gern geschehen.
auch dir ein dickes dankeschön fürs verlinken auf den blog der patchwork gilde deutschland:
http://www.patchworkgilde.blogspot.de/
beste grüsse
gudrun
Liebe Frau Heinz- herzlichen Dank,herzlichen Dank,herzlichen Dank,herzlichen Dank! Viele Grüße von Regina Langbein
halli hallo, liebe regina langbein,
das freut mich ja sehr! vielen herzlichen dank zurück!
beste grüsse
gudrun
Liebe Gudrun, DANKE SCHÖN !
Ich war noch nie dort, erlebe das Festival immer durch Deine Berichte,
LG monika
auch dir, liebe monika, 1000 dank.
auch wenn die berichte das live-erlebnis nicht ersetzen können: vielleicht kriegst du ja eines tages doch noch die kurve 🙂 einige teilnehmerinnen bei einem meiner letzten kurse haben mich in der pause über das foq fast ausgequetscht, dann tatsächlich die reise auf die insel unternommen und waren begeistert. samt göttergatten.
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
auch von mir wieder ein ganz großes Dankeschön!
Liebes Grüßle Annette.
halli hallo annette,
vielen lieben dank zurück für deine stetigen freundlichen kommentare. von solchen leserInnen lebt der blog!
beste grüsse
gudrun
Vielen herzlichen Dank für deine Berichte, ein Augenschmaus!
Kreative Grüße
Gerlinde
halli hallo gerlinde,
herzlichen dank auch diesmal für die nette reaktion. es war mir ein vergnügen!
beste grüsse
gudrun
Danke für Deine Bilder und Kommentare. Wie immer interessant und vielfaltig.
vielen dank für die blumen – wie immer freue ich mich sehr, wenn’s gefällt!