Endlich geht es weiter mit Teil 2 meiner Berichterstattung über das Europäische Patchwork Meeting (EPM), das vom 16. – 19. September 2021 im Elsass, in Ste Marie-aux-Mines und seinen Nachbargemeinden stattfand. Der erste Teil ist unter diesem Link und der dritte hier zu finden.
Im Salle des Tisserands im Hauptort Ste Marie-aux-Mines waren verschiedene Ausstellungen untergebracht. Aufgrund der Pandemiemassnahmen führte ein vorgegebener breiter Weg wie eine Einbahnstrasse hindurch, so dass sich Ausstellungsbesucher*innen möglichst nicht zu nahe kommen mussten. Los geht’s!
SAQA ‘Light the World’
Studio Art Quilt Associates, Inc. (SAQA) ist eine US-amerikanische gemeinnützige Organisation, die sich der Aufgabe verschrieben hat, den Art Quilt zu fördern. Ziel ist es, dass der Art Quilt als Teil der bildenden Kunst allgemein anerkannt wird. Im Mittelpunkt stehen dabei Exzellenz, Innovation, Integrität und Inklusion.
Unser Rundgang beginnt mit ‘In the Darkness’ von Gabriele Di Tota (USA).
In den letzten 30 Jahren hat sich SAQA zu einer dynamischen und aktiven Community von über 4.000 Künstler*innen, Kurator*innen, Sammler*innen und Kunstexpert*innen weltweit entwickelt.
Mit Ausstellungen, Veröffentlichungen und dem Netzwerk versucht SAQA, die Wertschätzung der Öffentlichkeit für den Art Quilt zu steigern und die Mitglieder in ihrer künstlerischen und beruflichen Entwicklung zu unterstützen.
Beim Europäischen Patchwork Meeting zeigte SAQA zwei jurierte Mitgliederausstellungen: ‘Light the World’ und ‘Wide Horizons VII’, und zwar beide als Premieren.
Jan Myers-Newbury wählte als Jurorin für ‘Light the World’ die Art Quilts von 41 Künstler*innen aus.
Licht ist unser wichtigstes Mittel, um die Welt um uns herum wahrnehmen und verstehen zu können.
Ohne Licht kein Sehen, keine Sicht.
Licht erlaubt uns, die Welt in ihrer Form und Gestalt zu würdigen. Dies weckt Emotionen.
Lichteigenschaften sind Intensität, Qualität, Farbe, Richtung, Verteilung, Textur und Bewegung.
Die Teilnehmer*innen sollten erforschen, wie Licht ihre Kunst schaffen und verändern kann.
Insgesamt schafften es höchst unterschiedliche Quilts in die Ausstellung: faszinierende Themen, Materialien, Techniken, Interpretationen.
Ich konnte mich – besonders auch durch die lange Zeit, in der man pandemiebedingt keine Ausstellungen in natura besuchen konnte – kaum sattsehen! Und das …
… obwohl das Thema längst vor dem Ausbruch von Corona gewählt und der Wettbewerb ausgeschrieben worden war, so dass auch Quilts ausgestellt waren, die nicht ‘brandneu’ geschaffen worden waren. Dies tat aber der Qualität keinen Abbruch.
Der durch die Ausstellungshalle vorgeschriebene Weg führt nun weiter zu ‘TEXNET 2’.
TEXNET 2
Im September 2018 startete Juliette Eckel das Projekt ‘TEXNET 2‘ und lud hierzu Textilkünstlerinnen aus Europa, den USA, Kanada und Australien ein.
Zwei Jahre lang sollten sie zusammenarbeiten, um eine Ausstellung zum Thema ‘Textiler Kalender’ zu kreieren. Die Kommunikation und Interaktion lief über Facebook.
Die Mitglieder wurden gebeten passende Themen zu wählen und mit ihren Techniken, Materialien und Farben zu bearbeiten, wobei auch nicht-textile Materialien verwendet werden durften. Am Ende sollte jede ein Textiljahr geschaffen haben.
Entstanden sind 365 faszinierende Werke in der Grösse 15 x 15 cm und 32 x 32 cm. Dazu kommen die Arbeiten von zwölf Teilnehmerinnen, die grösser, nämlich im Format 90 x 150 cm tätig wurden.
Die für 2020 geplante Ausstellung musste wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben werden.
Die 20 internationalen Künstlerinnen – die sich nie alle zusammen an einem Ort getroffen haben – beweisen aber mit ihren Werken, wie kreativ sie – im gegenseitigen Austausch und dank der wechselseitigen Anregungen – über das Internet zusammenarbeiteten.
SAQA ‘Wide Horizons VII’
Weiter geht es mit ‘Wide Horizons VII’, der zweiten von SAQA organisierten Ausstellung, die, wie schon in den vorangegangenen Ausstellungen gleichen Titels für Mitglieder aus Europa und dem Nahen Osten ausgeschrieben worden war.
Der Ausdruck ‘Wide Horizons’ ruft oft Gefühle von Offenheit, Erkundung, Experimentieren, neuer Arbeit, neuen Themen, neuen Geschichten hervor.
Aber diese Bezeichnungen können auch als gründliche Auseinandersetzung mit Lieblingsthemen interpretiert werden: Bekanntes in einem neuen Licht sehen, Grenzen des schon einmal Gemachten erweitern.
Unabhängig von der gewählten Herangehensweise sollte die Kreativität und nicht nur technisches Können und Engagement für die Kunstform im Vordergrund stehen.
Es sollten Arbeiten eingereicht werden, die eine Diskussion über einen Aspekt des Themas auslösen könnten.
Und so fanden sich spannende Art Quilts in dieser Ausstellung, deren Schöpfer*innen einen guten Namen haben.
Das ist auch ein Grund dafür, dass ich in diesem Bericht mehr Fotos zeige als sonst üblich.
Es ist doch immer wieder schön, wenigstens auf diese Weise alte Freundinnen und Bekannte wiederzusehen!
Auch diese Ausstellung hat viel Spass gemacht und man freut sich nun auf Neues.
Paola Zanda: ‘Visages cachés’
Paola Zanda zeigte in Ste Marie-aux-Mines ihre Ausstellung ‘Visages cachés’ (‘Versteckte Gesichter’), die auf der Beobachtung von Baumrinden basiert.
Paola Zanda, die ‘mit der Nadel in der Hand’ geboren wurde und seit ihrer Kindheit eine Leidenschaft für alles, was mit Textilien zu tun hat, entwickelte, durchlief eine Ausbildung zur Schneidermeisterin, was zu ihrem Beruf als Lehrerin für plastische Kunst führte, dem sie bis zur Pensionierung nachging. Zur Textilkunst kam sie durch den Besuch verschiedener Festivals in Europa und durch zahlreiche Kurse bei internationalen Künstler*innen.
Die Natur und vor allem die sorgfältige Beobachtung von Baumrinde ist ihre grösste Inspiration. Sie lebt in Carona, einem Dorf in der Südschweiz, umgeben von Wäldern.
Hier geht sie gerne spazieren, fotografiert, macht Skizzen, entdeckt Bilder, die sich je nach Licht und Wetter ändern. Das Holz ist lebendig, es gibt ihr Frieden, Ruhe und manchmal das Gefühl, beobachtet zu werden.
Ihre künstlerische Arbeit verwandelt organische Strukturen, Visionen, Empfindungen in abstrakte und minimalistische Formen, die sie mit den Farben ihrer selbstgefärbten Stoffe kombiniert, und dabei ein farbliches und räumliches Gleichgewicht sucht. Das Design nimmt sie so gefangen, dass sie erneut das Gefühl bekommt, beobachtet zu werden.
Während der Ausstellungen gibt es viele Besucher*innen, die ihr sagen, dass sie Gesichter in ihren Arbeiten sehen. Daher kam Paola Zanda die Idee für diese Ausstellung und sie vertiefte die Suche nach den Details der Rinde. Schliesslich versuchte sie, das Leben, das sich im Baum versteckt und unsere Sensibilität anspricht, darzustellen.
Portland Modern Quilt Guild: ‘Inspired by bauhaus’
Nachdem sich die Modern Quilt Guild als Online-Community gebildet hatte, gründete eine Gruppe von elf Quilterinnen die Portland Modern Quilt Guild in Portland / Oregon (USA) im Jahr 2010. Heute zählt die Gruppe über 340 Mitglieder und bietet ihnen jedes Jahr eine Vielzahl von Programmen, Workshops und Ausstellungen an. Auch die Wohltätigkeitsarbeit kommt nicht zu kurz.
Seit einigen Jahren organisiert die Portland Modern Quilt Guild intern Quilt-Wettbewerbe mit wechselnden Themen für die Sisters Outdoor Quilt Show, die jedes Jahr im Juli in Sisters / Oregon stattfindet. Die Quilts dieser Ausstellungen sind auch schon zu Wanderausstellungen geworden, die in Museen, Bibliotheken usw. gezeigt wurden.
Kimberley Bennefield schreibt zu ihrem Quilt ‘Tree of Life – Frank Lloyd Wright’:
Frank Lloyd Wright übte einen frühen Einfluss auf Walter Gropius, den Gründer der Bauhaus-Schule, aus. Mein Quilt stellt eine Interpretation von Frank Lloyd Wrights Lebensbaum dar, einer Arbeit aus Glas im Darwin D. Martin House in Buffalo, NY.
Florence DiJulio schreibt zu ihrem Quilt ‘An Imagined Conversation between Josef & Anni Albers’:
Josef Albers ist bekannt für seine ‘Quadrat im Quadrat-Bilder’ und Anni Albers für ihre Weberei. Ich begann mit einem ‘Quadrat im Quadrat-Design’. Das kleinste Quadrat ist ein ‘Gewebe’ von 225, je 1 Inch x 1 Inch grossen Quadraten aus drei Stoffen. Das Quilting setzt den gewebten Look mit vertikalen und horizontalen Linien fort.
Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Bauhaus-Schule wählten die Mitglieder der Portland Modern Quilt Guild 2019 das Thema ‘Inspired by bauhaus’ (‘Inspiriert vom Bauhaus’) für den Event in Sisters im Jahr 2020.
Im Laufe des Jahres 2019 informierten Gildeprogramme über das 100-jährige Jubiläum der Bauhaus-Schule. Das Portland Art Museum zeigte einen Film über die Bauhaus-Bewegung und auch das Internet war eine Quelle mit Bildern und Artikeln über die Künstler*innen und die 100-Jahr-Feier.
Die Gildetreffen boten mehrere anregende Dia-Vorträge für die geplante Ausstellung. Ausserdem organisierte die Gilde drei Workshops für ihre Mitglieder, um sie bei Entwurf und Umsetzung ihrer Quilts für die Ausstellung zu unterstützen.
Die daraus resultierende Wanderausstellung wurde von einer Jury aus den von den Mitgliedern eingereichten Quilts zusammengestellt. Sie besteht aus 10 Quilts sowie einer visuellen Präsentation, die Quilts waren in Ste Marie-aux-Mines zu bewundern.
Judy Livingston wurde von einem Webteppich von Gunta Stölzl, einer Bauhaus-Weberin (und später auch als Bauhaus-Meisterin in lehrender Position tätig) sowie durch Paul Klee (der ebenfalls zeitweilig am Bauhaus lehrte) zu ‘Damast Redux’ inspiriert.
Textil³: ‘Découvertes Textiles’ – ‘Textile Spurensuche’
Das Textil³-Netzwerk wurde 2014 in Norddeutschland gegründet, um Ideen auszutauschen und Projekte und Ausstellungen zu organisieren. Die Gruppe besteht aus Künstlerinnen, die durch ihre unterschiedlichen textilen Werdegänge ein breites Spektrum der Textilkunst repräsentieren. Nach den ersten Ausstellungen in den Jahren 2017, 2018 und 2019 haben sich die vier Mitglieder der Gruppe – Juliette Eckel, Barbara Hertel, Katharina Zeides und Luise Ruckert – für das neue Projekt ‘Découvertes Textiles’ – ‘Textile Spurensuche’ entschieden.
Die Projekte des Textil³-Netzwerks sollen nicht nur Unterschiede und Ähnlichkeiten aufdecken, sondern vor allem Diskussionen und konstruktive Kritik hervorrufen und anregen.
Auf der Suche nach Spuren verschiedener Kulturen haben sich die Mitglieder der Textil³-Gruppe für ein neues Abenteuer entschieden: eine virtuelle Reise in alle Ecken der Welt.
Sechs Monate in Japan auf der Suche nach Shibori und Sashiko mit Reduktion auf Blau und Weiss.
Die Reise ging weiter nach Ägypten, dem Land des Papyrus.
Sechs Monate Wandern durch die kargen Landschaften Islands mit seinen Flechten und Moosen, die im Frühling blühen und den endlosen weissen Flächen im Winter, die in freie Stickereien umgesetzt wurden.
In Deutschland, dem Land des Buchdrucks, haben sie das ‘geschriebene Wort’ freigegeben und wieder entdeckt.
Die mehr als zweijährige Reise endete schliesslich in Westafrika mit der Begegnung mit den Bogolan aus Mali und den Masken aus Burkina Faso, die künstlerisch in der Installation ‘Masquerade’ umgesetzt wurden.
Damit verlassen wir nun den Salle des Tisserands. Es endet hier Teil 2 meiner Berichterstattung über das diesjährige Europäische Patchwork Meeting im Elsass. Ich plane derzeit, den Bericht weiter fortzusetzen.
Bitte schon mal vormerken: Nächstes Jahr soll das Europäische Patchwork Meeting vom 15. – 18. September 2022 stattfinden.
Info:
16. – 19. September 2021
26. Europäisches Patchwork Meeting
68160 Ste Marie-aux-Mines
Frankreich
Alle Fotos: © Dr. Wolfgang und Gudrun Heinz mit freundlicher Erlaubnis des Veranstalters und der anwesenden Künstlerinnen (soweit nicht anders angegeben)
Hier geht es zum ersten Teil meines Berichts über das European Patchwork Meeting 2021:
https://blog.bernina.com/de/2021/10/european-patchwork-meeting-2021-teil-1/
Hier geht es zum dritten Teil meines Berichts über das European Patchwork Meeting 2021:
https://blog.bernina.com/de/2021/11/european-patchwork-meeting-2021-teil-3/
Liebe GudrunHerzlichen Dank für diesen ausführlichen Bericht mit den tollen Bildern! So kann ich unsere Reise ins Silbertal nochmals erleben.Viele liebe GrüsseErika
halli hallo erika,
herzlichen dank auch dir! es ist so schön, an dieser stelle von dir zu hören und zu lesen. aus deinem kommentar schliesse ich, dass es dir nicht nur beim EPM gefallen hat, sondern dass es dir / euch auch gut geht. das freut mich sehr.
nochmals lieben dank und
beste grüsse in die schweiz,
gudrun
Danke, liebe Gudrun, dass Du mich mit diesen herrlichen Fotos nach Ste. Marie aux Mines entführt hast… du ermöglichst damit Kunstbetrachtungen ohne Sorgen um den Coronavirus!
halli hallo christa,
1000 dank für deine lieben zeilen. ich freue mich sehr über deine wertschätzung. das sind die vorteile des blogs: sorgenfrei und so lange und so oft wie es dir beliebt in die gewünschten bilder eintauchen – isses nicht schön 🙂 jetzt müsste ich nur schon die nächste fortsetzung fertig haben …
sei mir ganz herzlich gegrüsst,
gudrun
Liebe Gudrun, vielen Dank für Deinen sehr informativen Bericht und die vielen sehr gut fotografierten Bilder. Dein Mann und Du seid seid dabei ein wirkliches super eingespieltes Team!
halli hallo anna-elisabeth,
vielen dank zurück! ich freue mich sehr über deinen kommentar und kann nur sagen: die übung macht’s! ich schreibe nun schon seit über elf jahren für den BERNINA blog und zuvor waren ausstellungen auch keine seltenheit …
mach’s gut und
beste grüsse, auch an deinen göttergatten,
gudrun
Hallo Gudrun,sehr interessante Arbeiten und ein toller Einblick in die Ausstellung. Danke dafür.Viele GrüßeBirgit
halli hallo birgit,
freut mich sehr, von dir zu lesen, ganz herzlichen dank! wir hatten inzwischen zwei geburtstage und ich bin gar nicht mehr mitgekommen, dir sofort zu antworten, sorry.
vielleicht inspiriert dich der artikel zu eigenem tun, das wär doch schön!
einen schönen sonntag und
beste grüsse
gudrun
Liebe Gudrun,ja, das Anschauen der schönen Fotos ist coronafrei und man kann solange in der Ausstellung bleiben, wie man möchte. Das ist doch eine wunderbare Option.Herzlichen Dank für diesen großartigen Überblick der textilen Werke, die farbenfroh und fantasievoll daher kommen.Liebe Grüße Erika
halli hallo erika,
wie schön, wieder von dir zu hören! vielen dank für dein lob, worüber ich mich sehr freue. das internet hat gewiss auch seine schattenseiten, aber für virtuelle ausstellungsbesuche ist es grossartig, da hast du genau recht.
beste grüsse
gudrun
Liebe Gudrun!Gerne folgen wir Dir auf dieser spannenden Reise . Es gibt mal wieder so viel Interesantes zu sehen .vielen dank ! Liebe GrüßeWiebke
halli hallo wiebke,
freut mich sehr, dass dir auch die fortsetzung gefällt – vielen dank zurück! gut, dass wir den besuch unternommen haben, würde ich heute, obwohl doppelt geimpft, wegen der sich verschlechternden corona-situation nicht mehr machen. so haben jetzt alle leserinnen und leser was davon.
beste grüsse
gudrun