Kreative Artikel zum Thema Nähen

Aus dem Nähkästchen geplaudert mit Elisabeth Jumpelt

Im Rahmen unserer Blog-Interviewreihe treffen wir heute unsere bisher älteste Gesprächspartnerin: Elisabeth Jumpelt näht auch mit fast 99 Jahren noch sehr glücklich mit ihrer BERNINA 532 aus dem Jahre 1957. Elisabeth blickt auf ein reiches Leben mit vielen Wendungen zurück. Geboren ist sie 1924 in Hannover, wächst aber in den Niederlanden auf. Kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges ziehen ihre Eltern mit ihr nach Berlin. Später studiert sie Sprachen und beginnt eine Laufbahn als Dolmetscherin, die sie um die halbe Welt führt.

In ihrem Buch “Out of Holland: Vom Königreich ins Dritte Reich” und in einem Podcast hält Elisabeth ihre Erinnerungen fest. Mehr Infos dazu erhaltet Ihr am Ende dieses Beitrags.

Wie sie zum Nähen gekommen ist, mit welchem radikalen Trick sie dem Arbeitsdienst im Weltkriegs entkommen ist und wann sie ihre Nähmaschine um Verzeihung bittet, das alles und noch viel mehr erfahrt Ihr in unserem Interview:

Interview mit Elisabeth Jumpelt

Liebe Elisabeth, dürfen wir Du sagen?
Aber natürlich gerne.

Erzähl mal, wo bist du geboren und aufgewachsen?
Ich bin in Hannover geboren, aber in Holland aufgewachsen. Mein Vater war gebürtiger Rotterdamer. Meine Mutter war Deutsche.

Wie war deine Kindheit?
Meine Kindheit war sorglos, denn wir wohnten in der Nähe des Strandes. Rückblickend würde ich sagen, man spürte sowohl die herrschende Demokratie als auch die Tatsache, dass Holland ein Königreich ist.

Mit 95 Jahren hast Du ein Buch geschrieben, es heisst «Out of Holland – Vom Königreich ins Dritte Reich». Erzähl uns von diesem Buch – wie kam es zur Publikation und worum geht es?
Im Alter von drei Jahren zog ich mit den Eltern, der Vater Niederländer, die Mutter Deutsche, in die Heimat meines Vaters nach Den Haag. Meine Jugendjahre erlebte ich in Apeldoorn. Von dort ging es 18 Monate vor Ausbruch des 2. Weltkrieges nach Berlin. Trotz lückenhafter Kenntnisse der deutschen Sprache und des damit verbundenen Kulturschocks gelang mir mithilfe wohlwollender Lehrer das Abitur. Das Kriegsende erlebte ich in Südbaden, studiert habe ich Sprachen in Freiburg und Basel. Ich hatte das Bedürfnis, meine Erinnerung niederzuschreiben, um die Erlebnisse festzuhalten. Irgendwann verlassen wir ja diese wunderbare Erde und dann sind die Erinnerungen verloren.

Wie waren Deine Teenager-Jahre im Weltkriegs-Berlin?
Die zahllosen Nächte im Luftschutzkeller habe ich gut überstanden. Mein furchtloser Vater ist oft während des Alarms wieder hoch in die Wohnung gegangen und kam dann später mit einem Teller köstlicher Reibekuchen zurück. Er war draufgängerisch und ideenreich. Er hat sich sehr gut durchgeschlagen, indem er improvisieren konnte. Das habe ich von ihm geerbt.

Was hat Dir in der Zeit geholfen?
Ich hatte eine robuste Gesundheit, wenig Appetit und insofern keinen Hunger verspürt. Mir war mehr an geistiger Nahrung gelegen.

Bist Du gerne zur Schule gegangen?
Ja, ich habe eine gute Erinnerung. Aber vor allem an die Schuljahre in Holland. Es gab damals schon Ganztagsschulen, in denen die Kinder verpflegt wurden, wo es Spinde für die Bücher gab. Man liess sie dort, denn die Hausaufgaben wurden noch in der Schule gemacht. Wir mussten keine schweren Tornister schleppen. Sehr fortschrittlich. In Deutschland sah die Sache dann natürlich ganz anders aus.

Welche Fächer waren für Dich als Kind interessant und welche nicht?
Ich mochte alle Fächer bis auf Mathematik. Mein Albtraum bis heute.

Du bist leidenschaftliche Näherin. Von wem hast Du das Nähen gelernt?
Meine Mutter hat mir das Nähen beigebracht. Den Rest habe ich mir – soweit es ging – als Autodidaktin selbst beigebracht.

Hat es dir von Anfang an Freude bereitet?
In jedem Fall. Man sieht sofort das Ergebnis seiner Arbeit.

Wie ging es für Dich als Näherin weiter?
In Deutschland mussten wir in in den Ferien in einer Munitionsfabrik sogenannte Kartuschvorlagen auf Industriemaschinen nähen. Eines Tages nähte etwas unkonzentriert und die Nadel fand ihren Weg durch den Nagel des linken Zeigefingers. Durch den Schreck habe ich nichts gespürt. Eine junge Frau, die neben mir sass oder stand, ist fast in Ohnmacht gefallen. Eine Episode aus dem Arbeitsdienst: Die sogenannten Führerinnen unseres Lagers bekamen des Öfteren männlichen Besuch aus dem nahe gelegenen Reichsarbeitslager. Wir Mädchen – ca. 24 an der Zahl – wurden beauftragt, die Arbeitskleidung der Männer in Stand zu setzen. Das missfiel uns Mädchen so sehr, dass wir das boykottierten, indem wir Knöpfe und Knopfloch leicht versetzten und Hosenbeine unterschiedlich kürzten. Die Idee stammte von mir und ich kam mir sehr verwegen vor. Was zur Folge hatte, dass die Aufträge wie erhofft spärlicher wurden. Unser Ziel war wenigstens teilweise erreicht. Ansonsten habe ich mit leichten Vorlagen gestartet und mir Schnittmuster besorgt. Damals gab es die noch in den Zeitschriften.

Wie hast Du das Kriegsende erlebt?
Ich beschreibe das in meinem Buch. Ich war zu der Zeit bei meinem Vater in Süddeutschland. Ich bin aus dem Arbeitsdienst abgehauen, indem ich eine nicht vorhandene Tante hab sterben lassen. Ich durfte die Dienststelle verlassen, um der Trauerfeier beizuwohnen und bin mit dem Rad zu meinem Vater. Dort habe ich die Rückkehrzeit verstreichen lassen und habe eine Blinddarmentzündung simuliert. Im Krankenhaus habe ich mir meinen gesunden Blinddarm rausnehmen lassen. Ich hatte mich vorher nach den Symptomen erkundigt. Die Ärzte meinten, es wäre höchste Zeit gewesen. Sie hatten keine Ahnung …

Wenn Du das Nähen früher und heute vergleichst, wie würdest Du die Entwicklung beschreiben?
Da ich Zeit meines Lebens auf meiner BERNINA 532 aus dem Jahre 1957 genäht habe, habe ich keinerlei Vergleichsmöglichkeiten.

Magst Du Deine Maschine?
Sie ist mein treuer Kamerad.

Welchen Beruf hast Du erlernt und welche Tätigkeiten hast Du in Deinem Leben schon ausgeübt?
Ich habe Sprachen studiert und war Zeit meines Lebens Dolmetscherin und Übersetzerin.

Wir haben gehört, Du bist ganz schön rumgekommen. Erzähl mal, wo warst Du schon überall? Was für Abenteuer hast Du erlebt?
Ich habe nach dem Krieg in Paris, Brüssel, Den Haag und London an den jeweiligen deutschen Botschaften als Dolmetscherin gearbeitet. Gereist bin ich privat sehr oft nach Kenia, um dort ein kleines Häuschen zu bauen. Und da ich an Archäologie interessiert bin, war ich oft in Griechenland und Italien – bei den Etruskern.

Du hast zwei Kinder, teilst Du mit Ihnen die Begeisterung zum Nähen?
Nein, beide können mir maximal den Faden einfädeln, da meine Augen sehr schlecht sind. Man braucht ja auch Ruhe und Geduld, die haben viele heutzutage nicht mehr.

Früher war Kleidung teurer als heute. Als Mutter hast Du sicherlich viele Flickarbeiten an Kleidung gemacht. Welche Erinnerungen hast Du an diese Zeit?
Für die Kinder gab es diverse Kleidungsstücke, aber die Zeit liegt so weit zurück, dass ich da keine konkrete Erinnerung habe. Aber es wurde viel repariert. Vor allem, wenn die Kinder mal wieder mit kaputten Knien zurück kamen. In den 70ern gab es eine Zeit, wo Schlaghosen und Borte am Jeansbein in waren. Da wurde ich von zwei halbwüchsigen um entsprechende Änderungen gebeten.

Gibt es Situationen beim Nähen, die Dich ärgern?
Ja, immer mehr, denn meine Augen lassen nach und ich kann die Nadel nicht mehr gut sehen. Ich verstehe selber nicht, dass ich früher gern und viel genäht habe.

Was nähst Du am liebsten?
Früher gerne Blusen für mich. Heute sind es nur noch Änderungen an bestehenden Kleidungsstücken.

Auf welches Nähwerk bist Du besonders stolz?
Blusen mit verdeckter Knopfleiste. Und Hüllen für Kleenexpackungen. Die stehen bei mir auf jedem Tisch oder Sideboard.

Was ist für Dich das Schönste am Selbermachen?
Heute nennt man das wohl Nachhaltigkeit. Früher war es aus Kostengründen hilfreich, nähen zu können. Und wie gesagt, man sieht das Ergebnis sofort.

Welche anderen grossen Leidenschaften hast Du neben dem Nähen?
Archäologie, Reiten, Reisen. Aber das ist jetzt leider nicht mehr möglich. Aber dichten geht noch.

Was hat Dich Dein Leben lang angetrieben?
Neugierde und Wissbegierde.

Welche Träume und Wünsche hast Du noch?
Eine bessere Gesundheit und keine weiteren Einschränkungen, dann stünde mir die Welt wieder offen.

Welchen Rat fürs Leben und fürs Nähen kannst Du unseren Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben?
Nicht aufgeben, neugierig bleiben, den eigenen Willen bekunden und vor allem: nichts aufschieben.


Fun facts

Näh- oder Lebensmotto?
Nicht aufgeben

Lieblingsfarbe und -muster?
Grün. Streifen.

Lieblingsort?
Im Liegestuhl auf meiner sonnigen Terrasse.

Detailverliebt oder mit Blick fürs grosse Ganze?
Blick fürs grosse Ganze

Stoffe vor dem Nähen waschen oder nicht?
Kommt auf den Stoff an.

Dein Lieblingsstoff?
Reine Baumwolle.

Lieblings-Nähzubehör?
Einfädler, Taschenlampe und Lupe.

Sprichst Du mit Deiner Nähmaschine? Was sagst Du ihr?
Erst schimpfe ich, dann bitte ich um Verzeihung, denn den Fehler mache meist ich. Nicht die Maschine.

Häufigster Anfängerfehler beim Nähen?
Falsche Spulenspannung.

Wie reagierst Du, wenn jemand Deine Stoffschere zum Papierschneiden benutzt?
Wie reagiert man, wenn der Sohn – damals ca. 11 Jahre alt – den Kragen vom Pelzmantel abschneidet, um sich eine Cowboy-Pistolentasche zu basteln?


Mehr erfahren über Elisabeth Jumpelt

Weitere Infos über Elisabeth findet Ihr hier: 

Buch: Out of Holland: Vom Königreich ins Dritte Reich

Podcast: Die Spurensuche ihres Lebens – Die Dritten – Damit nichts verloren geht


Wir werden weiterhin Interviews mit Näh-, Stick- und Quiltpersönlichkeiten im Blog publizieren. Fällt Euch eine Person ein, von der Ihr gerne mehr wissen würdet? Dann teilt uns deren Namen gerne in den Kommentaren mit.

Liebe Grüsse
Maria

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Kommentare zu diesem Artikel

12 Antworten

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  • Renate Wagner BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

    Respekt Respekt ! Danke für dieses interessante Interview, tolle Persönlichkeit, mutige Aktionen in Kriegszeiten (schiefe Säume, versetzte Knöpfe, Blinddarmentzündung … was für tolle Ideen !!). Alles Gute für Elisabeth, bleib gesund und liebe weiterhin das Leben und nähe wenn (und weil) es dich glücklich macht…. und ich dachte schon ich hätte die “älteste” Bernina … eine 530-2 (lt. Garantieheft 1962, grad mal 5 Jahre jünger als ich). Die habe ich letztes Jahr von meiner Schwiegermutter geerbt. Funktioniert einwandfrei, alles etwas umständlicher einzustellen, aber sie surrt und schnurrt. Ich hatte Zweifel, ob sie noch läuft. Hab sie selber auseinandergenommen, gereinigt und geölt.Kenne auch eine ältere Dame (wird bald 88) und beste Freundin, die mir in meiner Jugend immer geholfen hat bei Nähproblemen und mir damit die Freude am Nähen gegeben hat. Sie näht auch heute noch an guten Tagen mit immer wieder tollen Ergebnissen.NÄHEN ist wie zaubern können !!

  • Diana Meier BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

    Ein wirklich spannendes Interview mit einer sehr spannenden Persönlichkeit. Vielen Dank dafür! Ich werde mir das Buch bestellen, um noch mehr über Elisabeth‘s Leben zu erfahren. Dazu wünsche ich mir von Bernina die Verlinkung auf einen sozialen Buchhandel (und nicht auf Amazon). Auch im kleinen können wir Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen unterstützen 🙂 Der Preis für‘s Buch ist der gleiche:https://www.buch7.de/produkt/out-of-holland-elisabeth-jumpelt/1040522269?ean=9783750499904

    • Matthias Fluri BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

      Hallo Diana, vielen Dank fürs positive Feedback. Wir stellen im Artikel den Link zur Verfügung, den wir von Elisabeth Jumpelt erhalten haben. Diese hat das Buch bei “Books on Demand” selber publiziert und dürfte direkt vom Verkauf bei Amazon profitieren. Wir gehen davon aus, dass der Titel im Buchhandel nicht ohne Weiteres erhältlich ist und jedenfalls nicht in Online-Shops geführt wird. Vielleicht kannst Du ihn aber in der Buchhandlung Deines Vertrauens bestellen – wir drücken die Daumen!

      Lieber Gruss
      Matthias

  • Maria Fessler, BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

    diese Frau schreibt mir vom Leibe ich selbst bin  77 Jahre und mache fast Täglich etwas auf der Nähmaschine und wenn es nur eine Kleinigkeit ist dann bin ich zufrieden. Etwas habe ich doch geleistet auch gehe ich gerne Wandern und reisen aber im meinem Heimatland. Dieser Beitrag war sehr interresant.

  • Anne von Leben eben BearbeitenDas Bearbeiten von Kommentaren im BERNINA Blog ist erst nach Anmeldung mit einem Blog-Benutzerkonto möglich. Melden Sie sich jetzt an oder erstellen Sie hier ein Benutzerkonto, wenn Sie noch keines besitzen.

    Liebes Bernina Team, liebe Elisabeth (ich hoffe, ich darf Sie einfach dutzen),vielen Dank für das spannende Interview und den sehr interessanten Einblick. Ich habe es sehr gerne gelesen.Liebe GrüßeAnne

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