Vor knapp zwei Wochen bekam ich Besuch von einer lieben Freundin aus Südkorea. Jong Kyeong Lee ist eine fantastische koreanische Quiltkünstlerin, die ich während meines Koreaaufenthaltes im April diesen Jahres und dort in einem meiner Workshops kennenlernen durfte. Wir freundeten uns schnell an, verbrachten in Korea noch einige schöne gemeinsame Stunden und so lud ich sie, bei meinem Abschied am Flughafen in Seoul zu mir nach Deutschland ein. Denn damals war schon klar, dass eine Gruppe koreanischer Quiltkünsterlinnen gemeinsam mit BERNINA Korea im September zuerst nach Steckborn zur BERNINA kommen sollte und anschliessend zur eigenen Ausstellung anlässlich des 21. Carrefour Européen du Patchwork ins Elsass nach St.Marie-aux-Mines fahren würde.
Jong Kyeong Lee flog bereits ein paar Tage früher nach Europa, besuchte Paris und Bern und nahm dann den Zug nach Ulm. Samstag Nachmittags holte ich sie dort am Bahnhof ab, zeigte ihr dann meine neue hübsche Heimatstadt Ulm, mit Münster, Fischerviertel und Altstadt um danach dann ganz zu mir nach Hause zu kommen. Mein Mann wirbelte wieder einmal die Kochtöpfe und Pfannen mit grosser Begeisterung in der Küche umher und kredenzte ein wunderbares Abendessen. Tja, und dann ging es darum, was wir am darauffolgenden Sonntag anstellen sollten. Unser Angebot bestand daraus, mit ihr nach München zu fahren und ihr dort einiges zu zeigen. Ok, München kannte sie noch nicht und fand es spannend. Also gut.
Doch dann gingen wir hinauf in meinen Arbeitsbereich und nach einer Weile fragte sie dann, ob wir morgen einen halben Tag München machen könnten und die andere Hälfte hier bei mir “spielen” könnten. Ich schmunzelte, irgendwie hatte ich mir ähnliches ja schon gedacht. Kein Problem, meinte ich. Doch München für einen halben Tag war zu knapp, statt dessen schlug ich das Barockkloster Ottobeuren vor, zeigte Bilder im Internet und sie war begeistert. Also gut, Ottobeuren und einen halben Tag “spielen. Dann schauten wir gemeinsam meinen Materialfundus an und ich begann einen Teil der von mir genutzten Techniken zu erläutern. Und dann fragte sie ganz zaghaft: und einen ganzen Tag “spielen”? Ich musste so lachen, aber klar, kein Problem. Kein München, kein Ottobeuren, kein Sightseeing, lieber einen ganzen Tag im Arbeitszimmer rumtoben. Eine wunderbare Idee!
So starteten wir ausgeruht und mit viel Elan am nächsten Morgen.
Ich zeigte der lieben Koranerin nach und nach diverse Techniken, liess sie in Ruhe ausprobieren und Muster anfertigen. Und auch für mich war es spannend ihr zuzusehen wie sie diese Dinge auf ihre Art umsetzte.
Und Kaffee ging immer. Drinnen und draussen auf meinem Arbeitsbalkon, wo andere Materialien zur Oxidation an der Luft lagen und wir den Prozess so mit einer Pause beobachten konnten. Und fachsimpelten über Textil, die Kunst als solche, die Textilkunst, Quilten, Traditionen und vieles andere mehr.
Es war ein sehr schönes Beisammensein. Einfach unter seinesgleichen sein zu können und Ideen und Wissen auszutauschen. Eine sehr schöne und kostbare Erfahrung.
Und mit einer äusserst guten Ausbeute gingen wir am frühen Abend dann…..
zu meinem Wunsch über: dem Pojagi nähen. Da der Pojagi DIE traditionelle Nähkunst in Korea ist, wollte ich zu gerne die Technik aus erster Hand erlernen.
Die dazugehörenden Stoffe, Ramie und festes Leinen hatte ich mir im April bereits im Stoffmarkt in Seoul eingekauft und zwischenzeitlich schon mit der Handnähmethode, die extrem aufwändig, doch ebenso meditativ ist erste Erfahrungen gemacht.
Das ganze braucht sehr viel Zeit, Geduld und vor allem Übung. Schön ist es dennoch. Sehr schön sogar.
Doch das ging auch viel schneller. Jong Kyeong Lee setzte sich also an meine BERNINA und legte los.
Die für die Übung zugeschnittenen Vierecke (10cm x 10cm) liegen rechts auf rechts, die Nahtzugabe entspricht der linken Füsschenbreite des Kapperfusses # 71. Es gibt zwei unterschiedlich breite Kapperfüsse, # 70, die schmalere Variante mit 4 mm und Kapperfuß # 71 die breitere mit 8 mm. Es ist definitiv einfacher zu Anfang mit etwas breiteren Nähten zu arbeiten.
Die Nadelposition wird um 3 Einheiten nach links versetzt, Geradstich mit Stichlänge 2,5 mm
Der Stoff wird in die Gabel des Nähfusses eingeschoben, manchmal “faltet” sich die Nahtzugabe von selbst hinein, manchmal hilft man mit den Fingerspitzen nach. Dann wird soweit nach hinten, unter den Nähfuss geschoben, bis der Stoff unter der ovalen Öffnung für die Nadel sichtbar ist. Erst dann wird die Nadel abgesenkt.
Nahtzugabe absteppen.
Für die Stoffspitze, das Stoffende nimmt man entweder die Fadenschere oder eine Stecknadel zum festhalten.
So schaut nun die erste Naht aus.
Damit die links vom Stich noch offene Nahtkante verdeckt wird, legt man die genähte Stoffleiste nach links um, schiebt sie erneut unter den Nähfuss, wie zuvor und steppt wieder von oben nach unten, fein knappkantig ab. Hier kann je nach dem die Nadelposition nochmals korrigiert werden.
Und das ist es im Grund schon. Ganz einfach, ganz schnell, wenn ich mir überlege, wie lange ich dazu von Hand gebraucht hätte, ganz davon abgesehen, dass das Augenlicht auch nicht mehr das beste ist…..
Es gibt keine richtige und falsche Seite beim Pojagi, einmal schaut die doppelte Naht nach oben wie hier:
oder die nur einseitige die versteckte zweite Naht schaut nach oben:
Und dann durfte ich auch an die Maschine und zeigen, ob ichs verstanden hatte und umsetzen konnte. Und es funktionierte. Da der Batikstoff für meinen Übungsstand überhaupt nicht geeignet und viel zu weich war, startete ich gleich mit dem transparenten festen Leinenstoff, den ich von einer anderen lieben Freundin aus Korea mitgebracht bekam.
Und das ging viel leichter, da der Stoff vor dem Nähen bereits vorgefaltet werden kann und die Kanten dann halbwegs gerade werden – von gerade bin ich noch ziemlich weit entfernt.
Und so begann ich dann, ein paar Tage später mit meinen noch eigenen angefertigten “sperrigen” Stoffen zu arbeiten und sie mit Leinen und Ramie zu kombinieren und der erste Teil eines Pojagis ist schon sichtbar:
und die schöne Transparenz erhält diese Technik erst, wenn sie im Licht hängt. Wie gesagt, dies ist das erste Viertel von vieren, dazu kommt noch eine Randgestaltung.
Ja und dann kam noch das grosse Textilfestival im Elsass, in St.Marie-aux-Mines von dem auch unsere Blogkollegin Gudrun Heinz schon erste Eindrücke zeigte
https://blog.bernina.com/de/2015/09/impressionen-vom-21-europaeischen-patchwork-treffen-2015/
Ich wusste, dass einige koreanische Artquilts im Wettbewerb “Reflektion” standen und ich freue mich so sehr, dass Jong Kyeong Lee den Prix Edition Saxe zugesprochen bekam. Wohlverdient. Eine wunderbare Arbeit, in der immens viel Wissen, Können und Talent steckt.
Es sind unvergessliche Stunden, für beide Seiten und wir werden dasselbe dann irgendwann einmal in Korea, in Lees Arbeitszimmer wiederholen.
Viele Grüße,
Jutta Hellbach
Ganz toll erklärt vielen lieben Dank,ich habe Pojagi schön lange im Visirund auch schon genäht. Aber diese Technick gefällt mir sehr gut. Der Winter ist lang und mein Weissquilt wartet schon . Herzliche Grüsse Verena
Liebe Frau Hellbach,gibt es zum Nähen der Pojagi eine Anleitung, ein Buch, einen Workshop, eine Lehrerin? Ich möchte diese Näh-Technik lernen, habe keine Bernina, nur normale Füßchen, 7,5 mm breit für die -Nahtzugabe.Viele Grüße Susanne Voß
Liebe Monika,
danke für die Infos, Pojagi oder Bojagi, interessant, man lernt nie aus. Werde mich rasch auf die Suche nach dem Buch begeben.
Viele Grüße
Birgit
Liebe Jutta,
danke für die rasche Antwort und den guten Tipp.
Liebe Grüße
Birgit
Liebe Jutta,
danke für diesen schönen Anschauungsunterricht über Pojagis. Ich fand diese Textilkunst schon in deinem Bericht aus Korea hoch interessant. Genaugenommen kann man doch alle Stoffe, z.B. auch Baumwolle, verwenden, oder? Jedenfalls gefällt mir das Ergebnis Eures ‘spielerischen’ Nachmittags ausgesprochen gut.
Herzlich
Birgit
@Monika:
Du hast ein Buch über Pojagis? Kannst du mir bitte den Titel nennen, das würde ich mir gern besorgen.
Liebe Birgit,
man sagt wohl auch BOJAGI – ist aber dasselbe.
“BOJAGI & BEYOND” heißt das Buch und ist von der Künstlerin Chunghie Lee. Es enthält traumhafte Bilder ihrer Arbeiten und Anleitungen ! Damals war gerade die englische Fassung herausgekommen. Ich war/bin sehr beeindruckt von ihr und ihren Arbeiten.
ISBN 978-0-9830029-0-1
Gruß
monika
Hallo Monika,
danke für die Info zum Buch, das hatte ich sogar schonmal in der Hand, habs aber damals nicht gekauft. Naja, man braucht ja bald wieder Ideen zu Weihnachten…
Übrigens sagte mit Jongkyeong Lee dass man den Pojagi oder Bojagi als “B-o-t-a-g-i” aussprechen würde. Wieder was dazu gelernt.
Lieben Gruß,
Jutta
Liebe Birgit,
im Grunde genommen kannst du alle Stoffe verwenden, das stimmt. Nur für den Anfang ist zu Üben ein stabilierer Stoff nicht falsch.
Viel Erfolg und liebe Grüße,
Jutta
Hallo Jutta
Wow! Pojagi kannte ich auch noch nicht. Was für eine tolle Erfahrung von eine Meisterin etwas lernen zu dürfen. Zwei Meisterinnen in einem Raum… – da wäre ich auch gerne dabei gewesen.
Ganz liebe Grüsse
Kasia
Hallo Kasia,
ja, das war eine tolle Erfahrung und wir hatten viel Spass zusammen. Doch du kennst mich ja, zum Thema “Meisterin” sei gesagt, dass ich mich selbst nicht zu ernst nehme ;-).
Schönes Wochenende,
Jutta
halli hallo jutta,
da stellst du so hochinteressantes vor – und ich komme erst jetzt zum lesen und angucken 🙁 toll, toll und nochmal toll! sehr gut, dass ihr das sightseeing-programm fallengelassen habt.
die korea-ausstellung, die monika erwähnt, habe ich damals nicht nur im elsass,
(ach, schau mal hier: https://blog.bernina.com/de/2010/09/16-europaisches-patchwork-treffen/)
sondern auch noch beim festival of quilts in birmingham gesehen und war hin und weg! und auch diesmal hatte die koreanische delegation klasse quilts nach ste marie-aux-mines mitgebracht, pojagis und andere experimentelle arbeiten leider nicht. dafür haben die damen beim wettbewerb sogar mehrere preise ‘abgeräumt’.
zu recht.
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,
ich hoffe, deine Erkältung hat sich zwischenzeitlich gebessert und du fühlst dich wieder wohler.
Danke für den Link, da sind ja fantastische Pojagis zu sehen. Ich habe die ersten grösseren ja in Seoul gesehen und blieb auch staunend davor stehen. Wenn man die handgearbeiteten sieht ist das schon was ganz besonderes.
Und ich hab mich auch so gefreut, dass die Koreanerinnen so erfolgreich im Elsass waren. Ganz toll!
Liebe Grüße ins Wochenende,
Jutta
Liebe Jutta,
WUNDERBAR ! Schon vor Jahren gab es im Elsass eine Ausstellung mit Pojagis von Chunghie Lee. Ich war so begeistert, dass ich mir ihr Buch gekauft habe. Ich blättere immer wieder darin und freue mich daran, habe die Technik aber noch nicht selbst probiert. Das ist jetzt ein Anstoß – DANKE Dir.
LG monika
Liebe Monika,
na wunderbar, dass ich hier einen kleinen Anstoß geben konnte, ich wünsche dir viel Spass beim Nähen, vielleicht noch ein kleiner Tipp, schau für den Anfang, dass du stabile Stoffe unter der Nadel hast.
Viel Erfolg und liebe Grüße,
Jutta
Liebe Jutta, DANKE für den Tipp ! Werde ich beherzigen.
LG monika
Liebe Jutta,
Pojagi? … das habe ich noch nie gehört :o).
Du stellst uns ja wieder interessante Sachen hier vor. Das muss jetzt erstmal erforscht werden. Ach! … und ja! … ich kaufe bitte noch eine Tüte Freizeit ;-).
Lieben Gruß
Angie
Liebe Angie,
ach, es gibt soviele Dinge die wir alle noch nicht kennen und dann ists doch toll, wenn man es aus dem Ursprungsland gleich gezeigt bekommt, nicht? Viel Spass beim Erforschen – und Freizeittüten habe ich leider nicht im Sortiment, da wäre ich wohl selbst mein bester Kunde….
Liebe Grüße,
Jutta
Hallo Jutta,
das ist definitiv eine Technik, die ich auch mal probieren muss. Dank Deiner Anleitung, schaffe ich das vielleicht sogar. Und Fenster hab ich noch nie benäht.
Liebe Grüße Birgit
Hallo Birgit,
ja, unbedingt ins Fenster hängen, da ist der richtige Platz dafür. Und freie Fenster hat man sicherlich noch einige im Haus.
Liebe Grüße ins Wochenende,
Jutta