Kreative Artikel zum Thema Quilten

Der Himmel über Afghanistan

Weizen hat auf einer Dachterrasse gekeimt.

Quarantäne und Ausgangssperre, das ist die Realität der letzten Wochen nicht nur bei uns, sondern überall auf der Welt, auch in Afghanistan. Eigentlich wäre ich gerade jetzt in Afghanistan, doch ich habe Glück gehabt.  Eine knappe Woche vor meiner Reise wurden die Grenzen Afghanistans geschlossen und der Flug abgesagt. Ich muss gestehen, dass ich jetzt lieber zu Hause bin als in Afghanistan.

Die Dörfer auf der Hochebene: das Grün explodiert, doch in den Bergen liegt noch der Schnee.

Das Geld für die Bezahlung der Stickerinnen wurde vorab schon verschickt. Khaled ist unser Betreuer vor Ort, er lebt in Kabul. Ich bat ihn, die Stickerinnen zu bezahlen, ohne die Stickereien einzusammeln. Doch die Straße aus Kabul heraus wurde gesperrt, er konnte nicht zu ihnen und deshalb haben die Frauen ihr Geld noch nicht bekommen. Gerade um diese Jahreszeit ist es besonders schlimm für sie, denn die selbsterzeugten Lebensmittel sind wahrscheinlich aufgebraucht und es ist noch zu früh, um aus dem eigenen Garten Gemüse und Kräuter zu ernten. Hoffentlich haben sie noch ein paar Kartoffeln, Zwiebeln und getrocknete Tomaten von den Wintervorräten übrig.

Halema bei der Ernte

Halema vor der Kartoffel- und Zwiebelernte

Selten gehen die Frauen mit aufs Feld, es ist eigentlich Männerarbeit. Nur Frauen aus sehr armen Familien helfen ihren Männern dabei. In den Sommermonaten bis spät in den Herbst sind alle Frauen sehr damit beschäftigt, die Ernte aus dem eigenen Garten oder vom Feld zu konservieren. Obst, Gemüse, Kräuter, sogar Fleisch wird fast immer getrocknet, Kürbisse, Auberginen und weitere Gemüsearten werden in Essig konserviert. Das Herstellen von Marmelade ist noch selten, da Zucker gekauft werden müsste.

Vorrat an Zwiebeln

Geschnitzelte und getrocknete Zwiebeln

Getrocknete Tomaten

Getrocknete Tomaten

 

Eventuell haben sie noch in Essig eingelegte Auberginen. Die wachsen dort auf der Hochebene sehr gut. Es ist im Sommer eine Freude, sie mit ihrer wunderschönen Farbe und der glatten, glänzenden Haut zwischen dem großzügigen Grün der Blätter zu entdecken.

Frisch geerntete Auberginen

Eine merkwuerdige Komposition …

Auberginen trocknen an der Mauer.

Fleischstücke trocknen an der Wand.

Fleischstücke trocknen an der Mauer.

Ich denke, diese kommenden Wochen werden auch für die Afghanen eine Prüfung sein, die sie aber sicher bestehen werden. Schließlich haben sie schon viel Schlimmeres in den Kriegsjahren erlebt. Ich wünsche ihnen viel Kraft dabei!

Der Mandelbaum kündigt den Frühling und die Hoffnung an.

Seit nun zwei Wochen erholt sich unser Planet ein wenig. In Europa entdeckt man neuerdings, dass der  Himmel richtig blau sein kann und dass man nachts wieder Sterne in Hülle und Fülle sieht! Die Umweltbelastung nimmt ab. Wahrscheinlich wird in diesem Jahr der Erdüberlastungstag (Earth Overshoot Day) um wenige Tage oder Wochen verschoben. Möge diese Erfahrung uns helfen, klar zu sehen und wieder zu erkennen, was im Leben relevant ist.

Nicht selten sticken die Afghaninnen Kühe unter blauem Himmel, jedoch mit Mond und Sternen, obwohl zum Beispiel das Kühemelken natürlich tagsüber stattfindet. Können Sie die große Leere des Himmels, der dort quasi durchgehend blau ist, nicht oder nur schwer ertragen? Und warum wird selten eine Sonne dargestellt?

Kühe unter Sternen, von Bargigul gestickt

Stickerei von Saida

Stickerei von Shieba

Die Schweizerin Marianne Perrinjaquet verwandte solch eine Stickerei für ihr Werk „GEMEINSAM“. Sie schrieb in ihrer Bewerbung zu ihrer Technik: „Baumwolle, maschinengenäht und handgequiltet. Applikation von Hand aufgenäht, Vorhangstoff. Blumen und Sterne handgestickt und Schmetterlinge gequiltet“.

Werk von Marianne Perrinjaquet

Werk von Marianne Perrinjaquet – Detail; Foto M. Perrinjaquet

Die deutsche Gabriele Friedrich-Ritscher bediente sich der Technik des Filzens für die fast dreidimensionale Gestaltung „Kulinkas Traumreise“. Sie schrieb in ihrer Bewerbung zur Umsetzung: „Merinowolle/Seide, Baumwolle, verschiedene Stickgarne, Draht, Plusterstifte, Schaumstoff, Perlen, Knöpfe; Tiere: Nadelfilz, Nunofilz, verschiedene freie Sticktechniken“. Dass eine einfache Kuh solch eine blühende Fantasie erwecken kann!

Werk von Gabriele Friedrich-Ritscher

Werk von Gabriele Friedrich-Ritscher – Detail; Foto G. Friedrisch-Ritscher

Und dann gibt es die Kühe mit dem besonderen Fell: Nicht Muster aus Flecken, Punkten oder Streifen, nein, aus Mond und Sternen. Solche Exemplare sind häufig und bringen uns zum Schmunzeln. Ob die Kuh den Himmel verschluckt hat?

Kühe mit Sternen auf dem Fell – von Maryam gestickt

Stickerei von Maryam

Stickerei von Hasefa

Stickerei von Iqlima

Stickerei von Maryam

Stickerei von Maryam

Stickerei von Marzia

Bis zur Deadline des Wettbewerbs COWandMORE wurden alle angebotenen Kühe auf weißen Trägerstoff gestickt, seitdem die Ausstellung unterwegs ist, werden Kühe auf selbstgefärbte Stoffe gestickt. Diese Stoffe werden in Freiburg von meinen Freundinnen mit Procion gefärbt. Die Unregelmäßigkeiten verleihen eine zusätzliche Dynamik der Fläche und werten die bunte Kuh auf eine spannende Art noch auf. Aktuell findet Ihr gestickte Kühe auf gefärbten Stoffen im Galerie-Shop von Guldusi https://www.guldusi.com/shop/kuehe.html.

Gestickte Kuh von Lomja auf gefärbtem Stoff

Mit ihrem Werk “KLUB DER BUNTEN KÜHE” lädt Luitgard uns ein, die Welt anders zu sehen: lebendig, voller Überraschungen und rastlos. Ihre Beschreibung zur Technik gibt an: „Die ‘Hauptkuh’ wurde als Applikation eingearbeitet, die kleinen Kühe sind auf Stoff gedruckt und gecrasht, mit Multicolorgarn handgequiltet.“

Werk von Luitgard Möschle

Werk von Luitgard Möschle, Detail; Foto L. Möschle

Werk von Luitgard Möschle, Detail; Foto L. Möschle

Mit ihrem bewegten und zugleich naiven Werk “Drip Drop” projiziert uns Marie-Claire Rasque-Doliza aus Luxemburg in die Kinderwelt, wo noch Milch getrunken und Reime gesungen wurden. Ihre Beschreibung zur Technik: „Material: Leinen, Filz, Perlen. Techniken: filzen, sticken, nähen, manuell und mit der Nähmaschine“. Nicht selten haben die Kühe die Liedchen unsere Kindheit begleitet, z.B. in THE CAT AND THE FIDDLE

Hey, diddle, diddle!
The cat and the fiddle,
The cow jumped over the moon;
The little dog laughed
To see such sport,
And the dish ran away with the spoon.

Aus “A nursery rhyme from ‘The Real Mother Goose’, Copyright 1916 by Rand McNally & Company, Renewal copyright 1944 by R. M. & Co. Printed in U.S.A.”

Werk von Marie-Claire Rasque-Doliza

Als ich vor 15 Jahren das erste Mal in Afghanistan ankam, fiel mir sofort auf, dass der Nachthimmel sehr klar ist, sehr viele Sterne am Himmel stehen und dass der Mond „sich wiegt“: Die Mondsichel sieht man in einem anderen Winkel als bei uns. Eine beeindruckende Erfahrung, man glaubt, den Himmel fast anfassen zu können.

Nachts ist die Realität auf den Dörfern weniger poetisch. Bei meinen ersten Besuchen gab es noch keinen Strom. Vor 15 Jahren konnten sich einige Dorfbewohner eine Solarlampe kaufen, auch die Stickerin Shafiqa. Die DAI e.V, unser Verein, hatte eine Werkstatt unterstützt, in der Solarlampen produziert wurden. Damit konnte etwas Licht in die Nacht gebracht werden. Vor 10 Jahren wurden große, mit Diesel betriebene Generatoren in die Dörfern gebracht und Stromkabel verlegt. Jede Familie hatte in jeder zweiten Nacht für zwei Stunden Licht, bezahlt wurde nach Anzahl der Glühbirnen auf dem Hof. Vor fünf Jahren gab es endlich nach und nach ein richtiges Stromnetz, doch Strom ist nicht billig und viele erleben eine schmerzhafte Überraschung, wenn die Rechnung kommt!

Solar-Werkstatt in Bedmosch; Foto Sabur Achtari

Mit einem Solarpanel wird bei Shafiqa ein Akku aufgeladen.

Mit dem Strom kamen langsam auch kleine und größere Elektrogeräte, insbesondere Kühlschränke und Fernseher. Das können wir gut an den Stickereien erkennen! TV, Tolo auf Farsi, ist das große Tor, die Verbindung zur weiten Welt. Ob die Afghanen sich noch die Zeit nehmen, die Sterne in der Nacht zu bewundern?

Kleine Elektrogeräte, gestickt von Mahjan (links, rechts) und Marijan (Mitte)

Gestickte TVs, Stickereien von Rahima, Lutfia, Mahjan, Shekiba, Royla und Lutfia (von links oben nach rechts unten)

Durch die Covid-Pandemie ruhen zurzeit all unsere Ausstellungen. Dennoch konnte COWandMORE glücklicherweise noch am internationalen Frauentag in der säkularisierten Kirche von Eichstätt in Bayern gezeigt werden. So eine tolle Präsentation! Es gab viel Platz, gutes Licht und eine gut durchdachte Gestaltung. DANK an die Jurastoff-Gruppe um Franziska Braun-Wiedman, die die Veranstaltung wunderbar gemeistert hat.

Veranstaltung in Eichstätt, Foto: Uschi Brenner

Veranstaltung in Eichstätt, Foto: Uschi Brenner

Wir schließen den Beitrag mit zwei Werken aus der Ausstellung COWandMORE, die der Sonne einen Platz geben.

Die Schweizerin Marianne Bender-Chevalley überzeugte die Jury mit Ihrem Werk „Poya“. Es ist eine Nachahmung der Scherenschnitttechnik, diesmal mit Stoff. Welch eine gelungene Verbindung zwischen hiesiger Tradition und Anerkennung der zeitgenössischen Tradition Afghanistans!

Werk von Marianne Bender-Chevalley

Werk von Marianne Bender-Chevalley – Detail; Foto M. Bender-Chevalley

Die aus den Niederlanden kommende Teilnehmerin Marijke van Welzen breitet eine großartige Sonne mit „Happy Place“ über den Planeten. Zur Technik gibt sie an: „appliqué, free motion stitching“. Das ist ihre Spezialität, die wir schon bei mehreren ihrer Werke in den Ausstellungen von Guldusi genießen konnten.

Werk von Marijke van Welzen

Werk von Marijke van Welzen – Detail; Foto M. van Welzen

Möge die Sonne den Menschen, Tieren und Pflanzen weiterhin Licht und Wärme bringen. Und mögen wir diese Gaben schätzen und schützen, überall und für alle auf dem Planeten.

Pascale Goldenberg

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