Zum Stickprogramm Guldusi, über das ich im Blog schon mehrfach geschrieben habe, gehört ein Newsletter, den man hier abonnieren kann und der zweimal im Jahr verschickt wird. Meistens dann, wenn ich von einer Reise zurückkomme. Der heutige Blog-Bericht basiert auf dem letzten Newsletter. Frühere Newsletter sind hier hier dokumentiert, wenn ihr mehr über frühere Aktivitäten erfahren möchtet: https://www.guldusi.com/stickprojekte/reiseberichte.html
Die folgenden Bilder – eine afghanische Karte und eine stickende Hand – zeigen es: in Afghanistan wird gestickt!
Eine Reise in Lockdown-Zeiten
Nachdem meine Reise im März kurzfristig gecancelt wurde, konnte ich erst im August ein neues Visum beantragen. Anfang September flog ich nach Afghanistan und besuchte die Frauen auf den Dörfern.
Mein letzter Besuch im Dezember 2019 lag schon sehr lange zurück und ich fühlte eine tiefe Sehnsucht nach dem Land und den Menschen. Die regelmäßigen Reisen dorthin sind Teil meines Lebens geworden, denn sie fanden bisher zwei- bis dreimal jährlich statt. Auch bei mir zuhause dreht sich alles um die afghanischen Stickereien. Der persönliche Kontakt zu den Frauen gehört dazu und bestätigt mich in meinem Tun.
Der Lockdown wurde in Afghanistan sehr streng eingehalten, er lockerte sich erst am Ende des Ramadans. Auch auf den Dörfern besitzen inzwischen viele Menschen einen Fernseher, Tolo, und haben so sehr gut verfolgen können, was auf der Welt passiert ist.
Afghanistan selbst war nicht so stark vom Virus betroffen. Meine Vermutung: Die Menschen haben mit so viel Schlimmerem zu kämpfen, dass solch ein winziger Virus sie kaum angreifen konnte. Ein Großteil der Bevölkerung lebt von der Hand in den Mund. Wer am Tag nicht arbeiten konnte, hat für seine Familie kein Geld. Wahrscheinlich war es auf den Dörfern nicht so schlimm wie in den Städten.
Im Frühling schickte Sylvia Tischer mir eine Mail. Hier ein Auszug daraus:
Ich habe mir gerade überlegt, dass wir uns gerade in dieser Zeit ein Beispiel an den afghanischen Frauen nehmen können, die trotz der noch immer bedrohlichen politischen Lage, ihrer miesen wirtschaftlichen Situation und ihrer zumindest auf den Dörfern sehr eingeschränkten Bewegungsfreiheit (die mir gerade besonders schwerfällt) in ihren Stickereien so kreativ sind. Wir sind eben in jeder Hinsicht ein ‘Luxusleben’ gewöhnt.
Die Reise verlief für mich problemlos. Ich hatte aber leider eine unangenehme Botschaft zu vermitteln: In diesem Jahr 2020 können die Frauen nur zweimal Stickereien liefern, nicht wie üblich viermal. Dementsprechend werden sie nur die Hälfte des üblichen, erwarteten Lohns erhalten. Es war schmerzhaft für mich, das zu vermitteln, denn ich weiß ja, dass gerade jetzt das Geld supernötig ist. Diese für die Stickerinnen unerfreuliche Maßnahme ist aber nötig, um das Stickprogramm zu retten. Alle Handarbeits- und Kreativmessen und quasi alle Ausstellungspräsentationen sind seit März ausgefallen und damit die Möglichkeiten, die Stickereien zu verkaufen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass alle produzierten Stickereien direkt bezahlt werden, nicht erst dann, wenn sie verkauft wurden. GULDUSI ist ein Gewerbe und muss sich selbst finanzieren, obwohl es unter dem Dach des eingetragenen Vereins Deutsch-Afghanische-Initiative e.V. angesiedelt ist. Falls finanzielle Probleme auftreten, kann Guldusi nicht mit Spenden aufgefangen werden.
Diese schlechte Nachricht hatte Khaled ihnen immer wieder übermittelt, bis jede Stickerin sie zur Kenntnis genommen hatte, dabei sagten einige Frauen sagten zu mir „Hauptsache Du bist gesund!“.
Da sich momentan die Lage in Europa nicht wesentlich verbessert, die Messen also weiterhin ausbleiben, habe ich die Shop-Galerien mit den Stickereien aufgefüllt und hoffe sehr, dass Euch viele der kleinen Kunstwerke gefallen und ich Euch zum Kauf animieren kann! Zu den bestehenden 14 Galerien sind drei hinzugekommen: Portraits von Zakera, feinste Stickereien von Marina und Blauartiges. Die blaue Stickereien sind hier zu sehen: https://www.guldusi.com/shop/blauartiges.html
Auch die großartige Stickereien von Marina, die Ihr oben seht, sind im Shop zu erhalten: https://www.guldusi.com/shop/marina.html
Von Zakera stammen die folgenden Portaits:
Die Portraits von Zakera sind sehr realistisch, und das auf einer Fläche von 8 x 8 cm. Übrigens, es ist möglich eine Bestellung abzugeben: Ihr könnt mir ein Portrait (Foto) senden und ein paar Monate abwarten… Weitere Portraits findet Ihr hier ansehen: https://www.guldusi.com/shop/zakera.html
Wegen der Nachfrage biete ich jetzt auch vermehrt Serien von Stickereien an. Sie eignen sich besonders für größere Nähprojekte oder Gemeinschaftsarbeiten von Freundinnen.
Die Galerie mit gestickten Händen war fast ausverkauft. Ich habe sie mit sehr spannenden Motiven aufgefüllt:
Diese Stickbilder sind dazu gedacht, beim Wettbewerb HAND in HAND mitzumachen. Aber selbstverständlich könnt Ihr Handmotive erwerben, auch wenn Ihr nicht mitmachen möchtet.
Die Teilnahmebedingungen findet Ihr hier https://www.guldusi.com/wp-content/uploads/HANDinHAND_DE.pdf
Eure Hilfe zählt!
An dieser Stelle möchte ich an Euch appellieren, Stickereien zu bestellen, damit wir das Stickprogramm Guldusi auffangen und erhalten können. Stickereien einzuarbeiten muss nicht kompliziert sein. Sehr viele Ideen lassen sich einfach und effektiv ausführen. Hier könnt Ihr die verschiedenartigsten Anregungen studieren, sollten die Ideen ausbleiben: https://www.guldusi.com/stickprojekte/verarbeitung.html
Die langjährige Guldusi-Begeisterte Ulrike Döller amüsiert sich sichtlich und produziert humorvolle und köstliche kleine Collagen:
Ist es nicht großartig, dass eine afghanische Stickerei die Inspiration einer Europäerin so belebt?
Das Leben (und der Tod) in Afghanistan und auf den Dörfern geht weiter, hier eine Mail vom 1. August von Khaled, unserem Mitarbeiter vor Ort:
Dear Pascale
[…] I have bad news about Rana from (Dorf) Sofian: yesterday Taleban killed her son. He was Police officer in Logar province.
Best regards
I forgot to tell you: Goti* from (Dorf) Qala e kona, she died.
Khaled
*Goti hatte die Vertragsnummer 1, sie war also die allererste Stickerin im Programm.
In Afghanistan werden viele Kinder geboren. Hatefa brachte Zwillinge auf die Welt, und zwar schon das fünfte und sechste Kind. Auch die beiden ältesten sind Zwillinge. Sie sagte mir: „Bekomme ich noch ein Kind, dann sterbe ich“. Ich hatte die Gelegenheit, mit ihrem Mann zu sprechen. Er sagte mir, er wolle elf Kinder. Als ich ihn nach dem Warum fragte, gab er folgenden Grund an: „Weil der Krieg nicht vorbei ist. Man muss einen „Vorrat“ an Kindern schaffen, weil so viele im Krieg verloren gehen.“
Auf jeder Reise nehme ich ein Buch über Afghanistan mit. Ich teile diesen Auszug mit Euch, der für mich so wahr klingt:
Wieder und wieder fühlte ich, wie ich gegen ideologische Grenzen stieß, die unsere Welten voneinander trennten. Man kann Kontinente durchqueren und in ein anderes Land reisen, aber die Barriere zwischen den verschiedenen Kulturen bleiben so unüberwindbar wie eh und je. Ali Chans Fragen spiegelten eine Welt wider, in der sich die Zwänge (und Freuden) der Tradition – die teils auf kulturellen, teils auf kulturüberschreitenden Sitten des Islam beruhen – tief durch alle Phasen und Rituale des Lebens ziehen. Sie führten mich daher stets zu demselben Gedanken zurück: wie außergewöhnlich freizügig der Westen doch eigentlich ist und wie unverständlich diese Freiheit auf Menschen aus strengen und traditionelleren Lebensformen zwangsläufig wirken müssen. Die Freiheiten sind so untrennbar mit unserer westlichen Lebensweise verbunden, dass wir sie als „Rechte“ betrachten – nehmen wir nur einmal das Recht, den Beruf oder den Lebenspartner selbst zu wählen, die Politiker zu kritisieren oder nach Belieben ins Ausland zu reisen, ohne Einschränkung oder Verpflichtungen. In anderen Ländern wären derartige Freizügigkeiten einfach undenkbar. (Seite 192)
Aus: Jason Elliot, Unerwartetes Licht, bei Piper
Die folgende Stickerei stammt von Sosan, der Jüngsten des Stickprogramm, sie ist 17. Sie sagte mir, es seien eine Afghanin und eine Europäerin beieinander:
Zurzeit läuft der Dokumentarfilm “Afghanistan – Opfer im Namen des Friedens” auf ARTE https://www.arte.tv/de/videos/090634-000-A/afghanistan-opfer-im-namen-des-friedens/ In der Folge wird “Afghanistan: Angst vor den Taliban” ausgestrahlt.
Was soll man dazu sagen? Die Lage ist extrem kompliziert und schmerzhaft. Wir, das Volk, sind oft nicht korrekt informiert und können nichts bewirken. Vieles, was geschieht, dient in erster Linie politischen und ökonomischen Interessen unterschiedlicher (kriegführender) Gruppen bzw. Ländern. Humanitäre Interessen spielen in den Auseinandersetzungen nur eine untergeordnete Rolle. Aber die afghanische Bevölkerung wünscht sich nur eins: Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung. Sie möchte vor allem, dass ihr Land kein Spielplatz internationaler Mächte ist. Dieses Volk hat ausgesprochen viel Geduld, und ich wünsche jeder Mutter und ihren Neugeborenen, dass sie in Frieden leben können.
Bleibt gesund, Pascale Goldenberg
Herzlichen Dank für die rasche Lieferung, Pascale. Die Stickereien sind wunderbar, ich werde sie auf Täschchen nähen. Viel Erfolg weiterhin bei deinem tollen Projekt!
Kreative Grüße
Gerlinde
DANKESCHÖN, Pascale! Wie immer ein sehr interessanter und informativer Bericht! Bleib gesund und weiterhin so creativ bei Deiner Arbeit! Lieben Gruß monika