Die Menschen in Afghanistan lieben Vögel. Viele Familien, ob in der Stadt oder auf dem Land, halten ein oder mehrere Vögel in wunderschönen Flechtarbeit-Käfigen. Der unlösbare Widerspruch zwischen der Tierliebe und dem Einsperren ist auch in Afghanistan offensichtlich.
Schon seit vielen Jahren sticken viele Frauen aus Laghmani spontan Vögel in den 8 x 8 cm großen Quadraten. Sie zeigen diese Wesen, wie sie sie im Alltag beobachten, also auch in Käfigen. Mit den Vögeln wird Gespräch gehalten, sie werden gefüttert und bekommen wie ein Haustier viel Aufmerksamkeit und schenken im Gegenzug große Freude.
Sehr oft habe ich mich gefragt, woher diese besondere Liebe kommt. Meine Vermutung ist, dass der Grund in einer Sehnsucht nach Freiheit liegt. Genau diese grenzenlose Freiheit wird von Vögeln symbolisiert. Sie können sich frei in den Lüften bewegen und ziehen, wohin sie wollen. Das sind wahrscheinlich Visionen, die die Menschen in Afghanistan pflegen, auch wenn das Leben draußen ungemütlich und nicht einfach ist.
Als Antwort auf die Anfrage bei den Stickerinnen, Kühe für das Vorhaben COWandMORE zu sticken, lieferte Anila naiv gestaltete, sehr bunte und lebendige Kühe, die alle mit Vögeln umgeben waren.
Einige der Vögel bildeten mit der Kuh sogar eine harmonische Gesamtheit. All ihre Stickereien sind so gelungen, dass ich mich auf keine einzelne beschränken konnte und deshalb gleich ein Dutzend davon vorstelle. Die Darstellungen sind zwar sehr ähnlich, aber dennoch ist jede ein Unikat. Auf die Frage „Wer ist die Schönste im Lande?“ werden Sie vielleicht Ihre eigene Antwort finden.
Eine Stickerei von Anila inspirierte Petra Jakobi zum Werk mit dem Titel „Hoffnung“. Jakobi setzte die Kuh auf einer bunten Wiese in Szene. Es handelt sich mit Sicherheit nicht um eine afghanische Landschaft, denn so viel Grün ich habe dort noch nie gesehen!
Auch viele andere Stickerinnen stellen Vögel bei den Kühen dar. Meistens sitzen die Vögel gemütlich auf dem Rücken oder Buckel einer Kuh. Ob dieses Verhalten eine Gewohnheit afghanischer Vögel ist, kann ich nicht beurteilen, da ich nicht als Ornithologin unterwegs bin!
Vögel wurden auch Teil anderer eingereichter Werke der Ausstellung COWandMORE, und zwar nicht nur als dekorative Elemente, sondern auch als Symbolträger. Mit einem Zitat zum Nachdenken „Wenn Schlachthäuser Wände aus Glas hätten, wäre jeder Vegetarier“ fordert uns Bettina Jakob in ihrer Arbeit auf, unsere Essgewohnheiten umzustellen. Die schwarzen Vögel erinnern an aasfressende Krähen und haben etwas Bedrohliches und Warnendes:
Zum Schmunzeln verleitet das Werk „Die fliegende Kuh“ von Sabine Frank. Eine schwere Kuh scheint auf einem fliegenden Teppich durch die Luft zu fliegen. In dieser Darstellung spiegelt sich die Magie des Orients. So schwer eine Kuh auch sein mag, die Vorstellungskraft ermöglicht in der Fantasiewelt alles.
Diskret symbolträchtig und nicht nur dekorativ wirken die zwei stilisierten Vögel im Gemeinschaftswerk der zwei Freundinnen Karin Engert und Frances Fry mit dem Titel „Give Peace a Chance“. Das wünschen wir uns alle!
Mein Lieblingswerk trägt den Titel „Going home“. Es stammt von der Handstickerin Bärbel Rentop-Mertner, die bereits an den letzten Wettbewerben des Stickprogramms teilgenommen hatte. Auch diesmal ist ihre Arbeit eine Augenweide. Sie stellt eine ganz persönliche Darstellung der Stadtmusikanten dar und ist meisterhaft gestickt.
Vögel sind unzertrennlich mit der Lebenswelt Afghanistans verbunden. Letztes Jahr malten Schülerinnen der Schule von Laghmani ein Segment der Außenmauer der Mädchenschule an.
Übersetzung der Inschrift: Frieden im Lachen (der Ewigkeit) der Kinder. Sie sind ein Spiegel unserer Zukunft. Wissen und Lernen ohne selbstbestimmten Willen erinnert an einen Baum, der nicht genügend Regenwasser erhält. Der starke Wille ist die Achse der Welt, die eine Person zum Erfolg führt (Übersetzung aus dem Persisch von Zarghuna Nashir-Steck).
Leider existieren diese Wandmalereien nicht mehr, da eine neue stärkere Mauer gebaut werden musste, die Bestandteil von drei neu errichteten Klassenräumen ist. Die DAI, unser Verein, hat die Finanzierung und Khaled die Bauleitung übernommen. Neben dem Stickprogramm sind die wichtigsten Aktivitäten unseres Vereins Bildungsprojekte. Wir unterstützen mehrere Schulen und ein Frauenzentrum und übernehmen die Patenschaften von Kindern, die zur Schule gehen sowie von Studentinnen. Die Finanzierung des Frauenzentrums, der Schulen und der Patenschaften wird durch Spenden und deren Verwaltung gewährleistet. Die zwei Stickprogramme sind kommerzieller Art und finanzieren sich selbst.
Mehr zu unserem Verein finden Sie hier: www.Deutsch-Afghanische–Initiative.de
All diese Vorboten des Fortschritts erinnern mich an Schwalben, die den Sommer ankündigen. Insbesondere auch deshalb, weil ich Ihnen eine neue Galerie vorstellen möchte, in der gestickte Vögel zum Verkauf angeboten werden. Die Vogelwelt in Afghanistan unterscheidet sich tatsächlich nicht so sehr von der unseren. Fotografien wurden zu mehreren Serien zusammengestellt und an 10 ausgewählte Stickerinnen verteilt. Die Ergebnisse überraschten uns. Tamana und Frosan hatten Vögel auf sehr naturalistische Weise dargestellt, während andere uns durch ihre ausgesprochen fantasievollen Kreationen beeindruckten.
Die realistische Welt von Frosan und Tamana:
Die fantastische Welt von Aslia und Nadjiba:
Neben dieser positiven Erfahrung, die die Bitte an 200 Stickerinnen, Vögel zu sticken, ausgelöst hat, erleben wir nun aber auch, dass uns gewissermaßen Schwärme von bunten Vogelstickereien „zugeflogen“ kommen. Ich lade Sie deshalb zu dieser virtuellen Ausstellung ein und hoffe, dass Sie dort einige Vögel finden, die Ihnen besonders gut gefallen.
Im Online-shop, neben der Kuh-Galerie (https://www.guldusi.com/shop/kuehe.html) finden Sie die neue Vogel-Galerie unter diesem Link: https://www.guldusi.com/shop/voegel.html
Ich wünsche Ihnen viel Freude in der besonderen Voliere der afghanischen Welt.
Liebe Pascale,
herzlichen Dank für den wunderschönen Beitrag ,der mir inhaltlich gut gefiel und mit farbstarken ,wunderbaren Arbeiten wirklich überrascht hat.
Wie schön, dass Frauen in einer so männerdominierten Welt von Ihnen stark gemacht werden.
Nochmals Danke und herzliche Grüße
Erika
Liebe Pascale, DANKE für diesen informativen und persönlichen Beitrag! Du gibst uns einen weiteren Einblick in das Leben und die Kultur der Afghanen. Sehr interessant ! DANKE für Deine Mühe und Deinen Einsatz. All die schönen Stickereien, die wir so bewundern, sind die Früchte Deiner Arbeit ! Weiterhin viel Kraft und Freude daran wünscht Dir monika