Liebe Leserinnen, liebe Leser
Für diejenigen unter Euch, die zum ersten Mal hier sind, möchte ich kurz auf den Hintergrund dieses Artikels eingehen:
Ich berichte im BERNINA Blog regelmässig über das Stickprogramm Guldusi. Guldusi ist ein Projekt der Deutsch-Afghanischen Initiative DAI, deren Ziel die Hilfe für Frauen und Kinder und die Förderung von Bildung ist.
Viele Frauen in Afghanistan sind geschickte Stickerinnen. Guldusi gibt ihnen eine Möglichkeit, mit ihrem Können Geld zu verdienen. Gleichzeitig möchte die DAI dazu beitragen, dass die Tradition der Handstickerei bestehen bleibt und über Generationen weitergegeben wird.
Eine Aktion im Rahmen von Guldusi war der Wettbewerb ‘COWandMORE’, der letzte Jahr durch die Zusammenarbeit von vier Partnern zustande kam. Neben der DAI waren noch MADEIRA Garne, BERNINA International und die Deutsche Patchwork Gilde e.V. daran beteiligt. Hier findet Ihr die Blog-Beiträge zu ‘COWandMORE’.
Wer Guldusi unterstützen will, kann das über den Kauf von Handstickereien aus unserem Online-Shop tun.
T wie Tulpen
Der Frühling ist da und mit ihm die sehnsüchtig erwarteten Tulpen.
Wusstet Ihr, dass die Tulpen, die Zwiebel der Sultane, die hier im Handel sind und auch in fast keinem Garten fehlen, aus dem Mittleren Orient stammen?
Die Heimat der Wildtulpen ist Mittel-und Zentralasien, hauptsächlich Persien, Afghanistan und Turkestan (Kaukasus). Ihre Form erinnert an eine Spitze, Turban ähnliche Kopfbedeckung, die die Menschen in Asien früher trugen. Sie heiß im Türkischen „Tülbent“ und im persischen „Dulband“. Daraus leitet sich der botanische Name der Tulpe „Tulipan“ ab.
In Afghanistan wachsen sie wild, haben aber kurze Stiele. Sie sind ein sehr beliebtes Motiv der Stickerinnen.
Am Straßenrand stehen Kinder und verkaufen Ketten aus rosafarbenen Tulpen. Im Frühling wetteifern Kirsch-, Aprikosen-, Mandel-und Birnbaumblüten um die Aufmerksamkeit der Reisenden. Eine riesige Blumenwolke folgt dem Reisenden auf dem ganzen Weg nach Kabul.
Aus einem Prospekt des afghanischen Fremdenverkehrsamtes von 1967
Was hat sich Momtos sich wohl dabei gedacht, als sie in jede ihrer Stickereien eine rote Tulpe als Leitmotiv eingefügt hat?
Margreth Rößler-Wacker fliegt im Rahmen des Projektes auch regelmäßig nach Afghanistan. Sie fand diese weggeworfene Tulpe am Wegesrand und machte ein Foto, nach ihrer „Rettung“ noch ein zweites. Wer diese Tulpe weggeworfen hatte, wusste sicher nicht, dass sie für Europa bestimmt war.
Razias Stickerei zeigt eine glückliche Frau, deren Silhouette wie die einer Madonna dargestellt ist. Die Tulpenblätter sehen aus wie Flügel. Die vier kleinen traditionellen Figuren fixieren die Symmetrie. Dieses Motiv findet man immer wieder auf der Vollverschleierung.
Ein T für Tulpe oder ein L für GuLeLoLa? So heißt die Tulpe auf Farsi. Frosan hat sich auf das Sticken von Buchstaben spezialisiert. Sie kennt unser Alphabet nicht. Manchmal steht das Stickmotiv auf dem Kopf.
Zahlreiche spannende gestickte Buchstaben findet Ihr hier: (https://www.guldusi.com/shop/buchstaben.html)
Die Gestaltung der Stickereien wird immer künstlerischer und die Ausführung immer professioneller. Oft muss man zweimal hinsehen, um zu erkennen, welche die Rückseite ist. Durch einen dunklen, farbigen Hintergrund der Stickunterlage ist der Kontrast stärker und so wird auch die Rückseite sehr spannend. Manche Kundin hat sich schon für die Nutzung dieser Seite entschieden, denn sie ist dezenter, nicht so plakativ. Welche Seite gefällt Euch am besten?
Sosan ist die kleine Schwester von Meininja, sie gehören einer Stickfamilie an. Zu ihr gehören Zarlasht, Simin, Meininja, Rahyana, Sosan und Sonam. Sonam ist mit ihren 17 Jahren die allerjüngste des Stickprogramms. Die Mutter Shamin hat jahrelang mitgestickt, doch nach einem Schlaganfall, den sie nicht gut auskurieren konnte, stickt sie nicht mehr mit. Die Stickerei von Sosan ist eine meiner Favoriten. Sie zeigt Afghanistan so wie es ist: kahl, streng und monoton wegen der Endlosigkeit der Berge und dennoch bunt durch die Blumen und Menschen, die knallige Farben lieben.
Komm und lass uns nach Mazar gehen
Mullah Mohammad Jan,
die Tulpenfelder dort zu sehen,
mein lieber kleiner Kumpan.
Refrain eines afghanischen Volksliedes aus „Tausend strahlende Sonnen“ von Khaled Hosseini
In den Gräben wachsen über den Todesfallen Unmengen von kurzstieligen dunkelrosa Tulpen. Aber diese Blumen lassen sich nur auf Abstand bewundern. Wer sie pflückt, dem reißt es wahrscheinlich einen Arm oder ein Bein ab.
Aus Asne Seierstad „Der Buchhändler von Kabul“
Was die Journalistin Asne Seierstad in 2001 beobachtet hatte und in ihrem Buch 2004 wiedergab, ist heutzutage in der Provinz Parwan, dort, wo sich die Dorfansammlung von Laghmani befindet, nicht mehr Realität. Leider wurden aber noch längst nicht alle Provinzen aus Afghanistan von Personenminen geräumt. Ob Afghanistan jemals ganz davon befreit wird?
Sylvia Tischer lebt mit den Stickereien. Es gibt keinen Tag, an dem sie nicht mit Stickereien arbeitet – es sei denn, sie ist krank. Eine ihrer Spezialitäten sind die Notizbücher und Bucheinbände. Vorder- und Rückseite bilden eine Einheit.
Hier könnt Ihr weitere Arbeiten von Sylvia bewundern. https://www.guldusi.com/stickprojekte/verarbeitung/von-s-tischer-d.html
Auf dem Banner, mit dem wir auf die Ausstellung der Arbeiten aus dem Wettbewerb “COWandMORE” hinweisen, durfte eine Kuh mit Tulpen natürlich nicht fehlen:
Habt Ihr sie gefunden? Nicht nur Frishta gönnt ihrer Kuh Tulpen, auch weitere Kolleginnen greifen das Tulpenmotiv immer wieder auf. Es ist fast wie ein Logo. Diese breite Palette von Kühen beweist erneut, wie erfinderisch und kreativ die Stickerinnen arbeiten. Keine Kuh gleicht einer anderen. Auch hier sieht man, dass wir keine Vorlagen liefern. Jede Stickerei ist ein Unikat!
Lenas Tulpe wächst der Kuh buchstäblich über den Kopf. Sind es die Sorgen der Kuh um das Kalb im Bauch oder quälen Lena ihre eigenen Sorgen? Seit dem Herbst 2019 ist sie im Gefängnis, darf aber weitersticken.
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Eine einfache, schlichte und kurzstielige Tulpe kann zu einem Baum werden. Roya hat einen prächtigen, imposanten Tulpenbaum gestaltet. Die Stickerei ist circa 50 x 50 cm groß. Man muss wohl Visionen haben, um den reduzierten Alltag meistern zu können.
Immer wieder werde ich gefragt, was man mit den Stickereien anfangen kann. Da die Qualität der Garne sehr hochwertig ist, sind die Stickereien waschmaschinenfest. Sie können deshalb nicht nur zur Dekoration dienen, sondern auch auf Alltagsgegenständen Platz finden.
Hier findet Ihr eine große Palette an Ideen:
https://www.guldusi.com/stickprojekte/verarbeitung.html
In Freiburg haben wir Freundinnen einen Nachmittag lang Kissen genäht und zeigen Euch hier die Kissenparade. Die Stickbilder haben alle unterschiedliche Maße. Die Herausforderung bestand darin, sie mit Stoffresten möglichst optimal zu kombinieren, damit sie eine kissentaugliche Größe erreichten. Alle Kissen sind unterschiedlich groß. Ein passendes Inlett wurde aus einem festen Stoff genäht und mit Dinkelspreu gefüllt. Passend zum Sofa: Gewusst? Das Wort Divan kommt aus Persien.
In dieser außergewöhnlichen Zeit wünsche ich Euch eine spannende Kreativität, aber auch Ruhe.
Eure Pascale
wunderschön, liebe pascale, diese farbenpracht, diese phantasie, diese gekonnten stickarbeiten – vielen herzlichen dank! (man könnte glauben, daß die kuh von marzia, die so begeistert an der tulpe schnüffelt, einen sattel aufgelegt hat, und die kuh von lomia schon den winterpulli trägt). das wird gemütlich werden auf dem diwan mit den kuh-kissen – eine super-idee!
vielen dank für deinen bericht und weiterhin viel energie + gesundheit wünscht dir –
uschi
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man sehnt sich sooo sehr nach
Liebe Pascale, Du schenkst uns ein Feld voller Tulpen und eine Weide voller bunter Kühe, DANKE dafür! Dein Bericht bringt uns das ferne Afghanistan wieder ein bisschen näher. Lieben Gruß monika
Liebe Pascale,
welch eine Augenweide – die Stickereien aus Afghanistan! Sie werden immer besser “Deine” Stickerinnen – ! Und welch ein schöner Bericht! Danke dafür, er nimmt uns mit auf eine imaginäre Reise – derzeit sehr zu empfehlen in diesen grenzenschließenden und festsitzenden Zeiten!
Liebe Grüße Luitgard