Museum of Fine Arts Boston
Das Museum of Fine Arts in Boston (MFA) präsentiert derzeit einige interessante Ausstellungen und war aus diesem Grund ein Ziel in Massachusetts, das meine Tochter Valerie ansteuerte, als sie kürzlich die US-amerikanische Ostküste bereiste.
Sie hat mir ganz begeistert berichtet und einige ihrer Fotos für diesen Bericht überlassen – vielen Dank! Auch das Museum stellte mir grosszügig alles Gewünschte zur Verfügung – thank you so much!
Lasst uns reingehen und zwischendurch auch mal sehen, was ein Haus dieser Grösse ausser den drei von mir ausgewählten Ausstellungen noch so zu bieten hat. Viel Spass!
Auf dem Weg zur Ausstellung ‘Something Old, Something New. Wedding Fashions and Traditions’, die sich nicht nur mit Brautkleidern befasst, gehen die Blicke auch in andere Gänge. Monet? Leider heute nicht …
Something Old, Something New
Wedding Fashions and Traditions
Ausgehend von der Kostüm-, Schmuck- und Fotosammlung des MFA zeichnet diese Ausstellung die Ursprünge der amerikanischen Hochzeitsbräuche nach und untersucht, wie sie sich vor der viktorianischen Ära und darüber hinaus entwickelt haben – und gleich geblieben sind.
Hochzeiten in Nordamerika wecken Assoziationen zu exquisitem Schmuck, zum Austausch von Ringen, lassen an herzliche Liebes- und Ehegelübde, an frische, wundervoll arrangierte Blumen – und natürlich an weisse Hochzeitskleider denken. Warum haben sich dieses zeremonielle Herzstück und eine ganze Reihe anderer Bräuche und Moden erhalten?
Und was noch wichtiger ist: Woher kamen sie? Jedes Element einer weissen Hochzeit ist von Traditionen durchdrungen, doch viele sind sich ihrer Geschichte und wahren Bedeutung nicht bewusst.
Weisse Hochzeiten setzten sich nach der Vermählung von Königin Victoria und Prinz Albert im Jahr 1840 durch, lassen sich jedoch bis ins Jahr 1440 zurückverfolgen. Sitten und Gebräuche stammen aus verschiedenen Quellen und Kulturen.
‘White Weddings’ bieben zunächst der Elite vorbehalten, wurden aber in der Nachkriegszeit für die meisten Amerikaner zur Norm.
Dazu gehört heute auch die Redewendung ‘Something Old, Something New’ (dt. ‘Etwas Altes, etwas Neues’), die auf einer Kombination von kolonialen, familiären, religiösen und angestammten Traditionen basiert, die sich über die Zeit und unzählige Veränderungen in Kultur, Stil und sozialen Normen hinweg erhalten haben – vielleicht vergleichbar mit dem hierzulande üblichen Brauch, dass die Braut in Weiss ‘etwas Neues, etwas Altes und etwas Blaues’ dabeihaben soll.
Während das Brautkleid im Mittelpunkt des Interesses steht, ist das, was man unter dem Kleid nicht sieht, genauso wichtig und birgt ebenso viele Traditionen. Die Kleidung einer Braut besteht aus viel mehr als nur dem Kleid – es gibt auch Schuhe und Unterwäsche. Die Kriterien für diese Artikel sind oft dieselben wie für das Kleid und erlauben nur das Weisseste, Feinste und Teuerste.
Mit der Zeit veränderten sich jedoch auch die Moden und die Unterwäsche. Von im 19. Jahrhundert getragenen Korsetts gingen die Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts zu Büstenhaltern über und statt mit Strumpfbändern festgebundenen Strümpfen kamen später Strumpfhosen in Mode.
Eine noch heute praktizierte Hochzeitstradition ist das Strumpfbandwerfen. Historisch gesehen war es üblich, dass die Hochzeitsgesellschaft das frisch vermählte Paar ins Schlafgemach begleitete, da mit der Vollendung der Ehe die Zeremonie abgeschlossen war. Während sie sich auszogen, wurde das Werfen des Strumpfbandes oder die noch ältere Sitte des 16. – 18. Jahrhunderts, die Strümpfe zu werfen, zu einem Zeichen des Glücks für die zukünftige Hochzeit einer Brautjungfer oder eines Trauzeugen.
Ergänzt durch weisse Schleier, Schuhe, Schmuck und andere Accessoires ist das Brautkleid am wichtigsten und vielleicht die symbolträchtigste westliche Hochzeitstradition. Schon vor der Hochzeit von Königin Victoria mit Prinz Albert im Jahr 1840 wählten viele Bräute vor ihr – insbesondere aus christlichen Gemeinschaften – Weiss, um Jungfräulichkeit, Reinheit und Unschuld zu symbolisieren. Jahrhunderte zuvor stand Weiss in den römischen, griechischen, ägyptischen und anderen Gesellschaften für Reichtum, Status und Macht. Die Romantik und Eleganz von weisser Seide, Spitze, Tüll und Satin sind nach wie vor der Inbegriff eines perfekten Festkleides.
Brautkleider können oft zu Familienerbstücken werden, die über Generationen weitergegeben werden. Doch heutzutage suchen viele moderne Bräute nach Kleidern, die sie immer wieder tragen und in ihre Garderobe integrieren können. In jedem Fall sind Hochzeitskleider ein gutes Beispiel für nachhaltige Mode, da sie selten auf der Mülldeponie landen.
Ein Teil der Romantik einer Hochzeit besteht aus Nostalgie und nichts weckt diese Gefühle so sehr wie die Fotografie. Der Einfluss der im 19. Jahrhundert aufkommenden kommerziellen Fotografie war enorm. Als sich die Farbe Weiss durchsetzte, konnten die Menschen eine Fülle wertvoller Bilder in Alben anlegen, die eine in Weiss gekleidete Braut zeigten. Auch heutzutage ist die Hochzeitsfotografie nicht wegzudenken, Fotos als schöne Erinnerungsstücke werden geschätzt.
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Weiter geht es der nächsten Ausstellung ‘Tiny Treasures: The Magic of Miniatures’ entgegen.
Im Treppenhaus, von einer imposanten Kuppel überwölbt, eine Überraschung: Eine wunderbare Gemeinschaftsarbeit von Kindern zwischen 6 und 12 Jahren ‘Community Dreamscape’, isses nicht schön?
Tiny Treasures: The Magic of Miniatures
Einfach ausgedrückt ist eine Miniatur ein Objekt, das kleiner ist als sein normal grosses Gegenstück und dies wird sofort klar, wenn man einen nur wenige Zentimeter grossen Stuhl für ein Puppenhaus (oder aus einem Designmuseum) mit einem Stuhl in normaler Grösse vergleicht.
Dieses Unerwartete kann beunruhigend und unheimlich wirken. Andererseits sind Miniaturen voller Charme und Humor und sie haben oft eine umso tiefere Bedeutung, je kleiner sie sind.
Die Ausstellung ‘Tiny Treasures: The Magic of Miniatures’ (dt. ‘Winzige Schätze: Der Zauber von Miniaturen’) des MFA fragt, warum und wie Künstler*innen und Kunsthandwerker*innen über Zeiten, Orte und Kulturen hinweg überzeugende und kraftvolle Miniaturobjekte geschaffen haben.
Winzig liegt im Trend. Heute gibt es Bewegungen, die sich für ein einfacheres Leben auf kleinerem Raum und mit weniger Besitztümern stark machen, man denke an Tiny Houses, kleinere Stellflächen, Ordnung, Achtsamkeit und Minimalismus.
Allgegenwärtige Smartphones – selbst Miniaturcomputer – bringen Populärkultur und globale Phänomene in Sekundenschnelle in die Hände der Benutzer*innen und geben ihnen die effektive Kontrolle über ein Informationsuniversum – alles reduziert auf einen kleinen Bildschirm.
Doch in einer immer grösser werdenden Welt, in der Globalismus, Grösse, Spektakel und immersive Erlebnisse den Vorrang haben, können uns Miniaturobjekte überraschen, aufhalten und uns eine andere Geisteshaltung vor Augen führen.
Mit einer überraschenden Vielfalt an Werken – Gemälde, Zeichnungen, Keramik, Schmuck und mehr – aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. bis heute untersucht diese Ausstellung die Miniaturisierung in der Kunst und wie mit unserer Wahrnehmung von Massstäben gespielt wird.
Die mehr als 100 ausgestellten Objekte reichen von wenigen Zentimetern bis zu etwa einem halben Meter Grösse und umfassen Amulette aus dem alten Ägypten, geschnitzte Netsuke aus Elfenbein und Holz aus dem Japan der Edo-Zeit oder Schmuck, der miniaturisierte Alltagsgegenstände darstellt.
Miniaturen, als eigenständige Meisterwerke betrachtet, bieten ebenso viel Anregung wie grössere Werke und ihre komplizierten Details, deren Ausführung ein unglaubliches Mass an Geschick erfordert, machen ihre Erstellung oft anspruchsvoll. Mit allem, von winzigem Dekor bis hin zum fertigen Objekt, zeigt ‘Tiny Treasures’, dass Miniaturen weitaus überzeugender sind, als ihre Grösse vermuten lässt.
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Weiter geht der Weg, eine Ausstellung wartet noch. Nach den phantastischen ‘Kleinigkeiten’, den Miniaturen, wieder etwas Grösseres? Also, keine Puppenstube, sondern eine Spezialität amerikanischer Museen (habe ich mir sagen lassen): ein sog. Period Room. Hier ein Esszimmer, in dem alles aufeinander abgestimmt ist und eine Vorstellung von früheren Zeiten in gut betuchtem Haus vermittelt.
Von einer klassischen Gemäldegalerie jetzt endlich zur zeitgenössischen Kunst mit erstaunlich vielen textilen Exponaten und, und, und …
Tender Loving Care
Contemporary Art from the Collection
Mit der neuen Ausstellung ‘Tender Loving Care’ zeigt das MFA in den kommenden zwei Jahren zeitgenössische Kunst aus seiner Sammlung – neu arrangiert und ausgewählt unter dem Thema, das der Ausstellungstitel benennt: ‘care’. Das kann Fürsorge, Betreuung, Pflege, Zuwendung, Achtsamkeit sein – ‘care’ hat eine Vielzahl von Bedeutungen, und das Ganze zärtlich und liebevoll.
Fürsorge strukturiert unseren Alltag. Wir pflegen und erhalten Zuwendung von anderen Menschen, Orten – sogar Dingen. Aber dies kann unterschiedlich sein und empfunden werden. Im Grunde genommmen sind das Schaffen und Betrachten von Kunstwerken auch Akte der Fürsorge, von der Arbeit der Künstlerinnen und Künstler bis zur Betrachtung und Wertschätzung der Betrachterinnen und Betrachter. Lagerung, Konservierung und Ausstellung sind ebenfalls Formen der Kunstpflege.
Diese Ausstellung erforscht die komplexen Wurzeln der Fürsorge anhand von Werken aus der museumseigenen Sammlung, die von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern geschaffen wurden, die in ihrer Wahl der Medien ebenso vielfältig sind wie in ihren Interpretationen von ‘care’ und lädt die Besucherinnen und Besucher ein, dies zu erkunden.
Fürsorge kann bedeuten, eine Zuneigung oder Bindung zu jemandem oder etwas zu haben, zu bewahren oder zu trösten, Interesse oder Besorgnis zu empfinden, sogar zu trauern. Sorgfältig und umsichtig zu arbeiten, aufmerksam zu sein sind andere Formen der Fürsorge.
Kunst zu schaffen ist ein Akt der Sorgfalt, der Motivation, Absicht, Zeit und Energie erfordert, manchmal sogar radikale Ehrlichkeit und die Auseinandersetzung mit Themen, die gewalttätig, tabu oder unangenehm sein können. Durch ihre Arbeit helfen uns die Künstlerinnen und Künstler, mit Unterschieden umzugehen, Ungerechtigkeiten entgegenzutreten und nach Schönheit zu suchen.
Mehr als 100 Werke aus der Sammlung des MFA – darunter Neuankäufe und Objekte, die noch nie zuvor zu sehen waren – definieren, veranschaulichen und demonstrieren viele Formen von ‘care’ in fünf thematischen Gruppierungen.
Gisela Charfauros McDaniels Portrait ihrer Mutter, ‘Tiningo’ si Sirena’ (2021), bewegt sich zwischen Intimität und der Aufmerksamkeit für grössere Konzepte, die für die Künstlerin von Bedeutung sind, wie kulturelles Erbe und ökologische Vernetzung.
Für seinen ‘Sound Suit’ (2008) verlängerte Nick Cave die Lebensdauer weggeworfener Objekte, indem er sie in ein surreales, jenseitiges Kostüm verwandelte, das den Wert des schwarzen Lebens betont – ebenso wie die Tapisserien von Diedrick Brackens, ganz zu Beginn zu sehen.
Der intensive Zeit- und Arbeitsaufwand, der in die Herstellung von Textil- und Faserkunst investiert wird, wird an Beispielen von Sheila Hicks, Howardena Pindell oder Jane Sauer deutlich. Diese und viele andere Werke sollen die Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken anregen, wie unterschiedliche Formen der Fürsorge neue Lebens- und Gefühlsmodelle inspirieren können – jetzt und in der Zukunft.
Damit ein Museum ein Ort der Fürsorge darstellt, kann es nicht nur ein Ort sein, an dem Kunstwerke aufbewahrt werden. Es muss auch ein Ort sein, an dem Menschen und Ideen unterschiedlichster Art betreut werden. Das bedeutet, unsere Erwartungen an zeitgenössische Kunst anzunehmen, sie ständig zu erweitern und anzuerkennen, dass sie viele Formen annimmt.
Die Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, sich auch Momente der Ruhe und Besinnung zu gönnen. In der gesamten Ausstellung findet man Werke aus dem ‘Please Be Seated!’-Programm des MFA, Sitzgelegenheiten, die seit 1975 von Künstlerinnen und Künstlern angefertigt wurden und die in die Sammlung des Museums aufgenommen wurden. Diese Bänke, Stühle & Co. sind aber auch für den Gebrauch konzipiert (natürlich mit ‘care’!). Und wenn man erst Platz genommen hat, kann man mit Hilfe der ‘Tender Loving Care’-App Näheres zu den Werken erfahren, denen man gegenüber sitzt. Please Be Seated!
Wie oben schon erwähnt, wurde die zeitgenössische Kunst aus der Sammlung des MFA in der Ausstellung ‘Tender Loving Care’ neu arrangiert: Eine ungewöhnliche Ausstellungsarchitektur und Szenografie sowie eine ausgefallene Zusammenstellung und Präsentation der Exponate entlang eines übergeordneten Themas machen neugierig auf den Besuch. Es scheint ein neuer Wind zu sein, der derzeit durch die Museen weht, denn diesem Trend folgen auch andere Häuser. Beispielsweise sei hier nur das Kunstmuseum St. Gallen genannt, das mit ‘Sammlungsfieber’ ebenfalls neue Wege geht, wie man im ersten Teil der Ausstellungstipps September 2023 nachschauen kann.
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So, fast am Ende angekommen. Hoffentlich hat es gefallen, ich kann meine Tochter gut verstehen, sie war begeistert! Zum Abschluss ist ihr dann noch ein ‘alter Bekannter’ über den Weg gelaufen: Dale Chihuly, dessen Ausstellung sie im Sommer 2019 in den Kew Gardens in London besuchte (hier gehts zu unserem gemeinsamen Bericht) hat einen ‘Lime Green Icicle Tower’ ins MFA gestellt, ganz aus Glas und wirklich in Turmhöhe – man ahnt es, wenn man die Spiegelung in der Glasfront genauer betrachtet. Und damit endgültig bye for now!
Info:
27. Mai – 1. Oktober 2023
Something Old, Something New
Wedding Fashions and Traditions
1. Juli 2023 – 18. Februar 2024
Tiny Treasures: The Magic of Miniatures
22. Juli 2023 – 28. Juli 2025
Tender Loving Care
Contemporary Art from the Collection
Museum of Fine Arts Boston (MFA)
465 Huntington Avenue
Boston, Massachusetts 02115
USA
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Andrea Vogel
ausgemustert
Noch bis zum 15. Oktober 2023 zeigt die Kunsthalle Wil die Ausstellung von Andrea Vogel ‘ausgemustert’.
Der Begriff ‘ausgemustert’ hat unterschiedliche Bedeutungen. Am geläufigsten ist: aus dem Sortiment nehmen, entsorgen, wegwerfen. In der Textilindustrie steht das Wort für: ein neues Muster herstellen.
Die Faszination für Textiles ist im künstlerischen Werk von Andrea Vogel (* 1974) evident. In ‘ausgemustert’ arbeitet sie unter anderem mit textilen Recyclingprodukten, die aus dem ursprünglichen Produktionsprozess und ihrem Einsatzbereich ausgeschieden sind. Aus diesen Recyclingprodukten sind für ihre Soloshow neue Arbeiten entstanden. In Bildern, Objekten und Skulpturen erforscht die Künstlerin die DNA dieser Materialien und gibt ihnen eine neue Wertigkeit.
Ein bildhauerischer Umgang mit Textilien und das Performative bilden zwei der wichtigsten Grundlagen in Andrea Vogels Schaffen. Dabei erforscht sie die spezifischen physischen und optischen Eigenschaften der verwendeten Materialien und sucht zugleich, Grenzen zu überschreiten und ins Unbekannte aufzubrechen. Ihre Arbeit folgt dem Drang nach Vereinfachung. Eine Idee auf den Punkt zu bringen, alles Überflüssige wegzulassen, hält sich immer die Waage mit der Neugier, Material, Situation und Raum in überraschender Weise zu bearbeiten. Gerne beflügeln Absurdität und Humor, wie auch Poesie ihre Werke.
Weitere Werkfotos sind auf der Website der Kunsthalle Wil zu finden.
Info:
2. September – 15. Oktober 2023
Andrea Vogel
ausgemustert
Kunsthalle Wil
Grabenstrasse 33
9500 Wil/SG
Schweiz
Artist Talk:
Do, 21. September 2023, 19 Uhr
Finissage:
So, 15. Oktober 2023, 11 Uhr
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The Fabric of Democracy
Das Fashion and Textile Museum in London kündigt als seine nächste grosse Ausstellung ‘The Fabric of Democracy’ an, die ab 29. September 2023 zu sehen sein wird. Es geht um bedruckte Propagandatextilien, um die Schnittstelle zwischen bedrucktem Stoff und politischer Botschaft.
Das Industriezeitalter mechanisierte die Textilindustrie und revolutionierte die Drucktechniken. Aufwändige Bilder auf Stoff konnten jetzt detaillierter und schneller als je zuvor erstellt werden. Diese immer erschwinglicheren Verfahren ‘demokratisierten’ die Textildekoration und ermöglichten es Regierungen, Regimen und Unternehmen, die Schlagkraft des Drucks für die Kommunikation zu nutzen – vom Kriegsslogan bis hin zu revolutionären Idealen – und zeigt, wie dies auch heute noch genutzt wird.
Die von der renommierten Modehistorikerin Amber Butchart kuratierte Ausstellung untersucht, wie Stoffdesigner und -hersteller auf politische Unruhen von der Französischen Revolution bis zum Brexit reagiert haben. Sie zeigt auf, wie Textilien im gesamten politischen Spektrum als Instrument des Staates, vom Kommunismus bis zum Faschismus, eingesetzt wurden und wie Demokratien durch Textildesign die nationale Identität fördern.
Zu sehen sind etwa 150 Textilien und Objekte aus Ländern wie Grossbritannien, Amerika, Italien, Deutschland und Österreich, von französischem Toile de Jouy über japanische Gewänder aus dem Asien-Pazifik-Krieg bis hin zu seltenen chinesischen Stoffen aus der Zeit der Kulturrevolution.
Mit dieser Ausstellung zeigt Butchart, dass Textilien keine harmlose Form der materiellen Kultur sind, sondern von Regierungen, Unternehmen und Regimen manipuliert wurden, um politische Botschaften als eine Form der Propaganda zu verbreiten. Amber Butchart, Gastkuratorin: ‘Wenn Menschen das Wort ‘Propaganda’ hören, denken sie normalerweise nicht an Textilien. Doch schon seit Jahrhunderten werden Stoffe verwendet, um politische Botschaften zu verbreiten, sowohl am Körper als auch in der Wohnung. Mit dieser Ausstellung wollte ich untersuchen, wie bedruckter Stoff als Medium zur Vermittlung von Ideologien verwendet wird und hervorheben, dass Textilien starke Kommunikationsmittel sein können und dass häusliche Umgebungen genauso politisch sein können wie öffentliche Räume.’
Im Westen wurden Mode und Textilien historisch als ‘weiblich’ eingestuft und besetzten den häuslichen Bereich im Gegensatz zu öffentlicher Kunst wie Malerei oder Skulptur. ‘The Fabric of Democracy’ zeigt, wie häusliche und modische Kulturformen politisiert und in manchen Fällen als Waffe eingesetzt wurden und werden und erzählt die Geschichte, wie Propaganda durch Einrichtungsgegenstände und Mode im Alltag existieren kann.
Die Exponate führen uns von der Französischen Revolution bis zum Brexit. Kleidung nahm während der Französischen Revolution eine ideologische Rolle ein, wobei die Darstellung des Eifers der Arbeiterklasse durch die Figur der ‘Sansculotte’ (dt. ‘ohne Hosen’) symbolisiert wurde. Auch Möbelstoffe spielten eine Rolle bei der Verbreitung revolutionärer Ideale. Gezeigt wird ‘La fête de la Fédération’ aus dem Jahr 1790, eine Erinnerung an den Sturm auf die Bastille, früher für Polstermöbel im Haushalt verwendet.
Japanische Gewänder aus dem 20. Jahrhundert, die mit Kriegsmotiven wie Schlachtschiffen verziert sind und auf Seide gedruckte britische Fluchtkarten, die sich bei Nässe nicht auflösen und ohne das Rascheln von Papier verwendet werden können, verdeutlichen, wie Propaganda und Textilien im Krieg sowohl im übertragenen als auch im praktischen Sinn kombiniert wurden. Ein dekoratives Tuch mit dem Titel ‘Frieden in unserer Zeit’ von einem unbekannten Designer verweist auf das Münchner Abkommen von 1938, komplettiert mit Flugzeugen und Gasmasken, und unterstreicht das Gefühl eines drohenden Konflikts. ‘The Fabric of Democracy’ führt dies bis heute weiter: Dies zeigt das Geschirrtuch ‘Got Brexit Done’, ein offizielles Merchandise der Konservativen Partei zum Gedenken an den Austritt Grossbritanniens aus der EU im Januar 2020.
Parallel dazu ist die Ausstellung ‘Oh Boy! Boy’s Dress 1760-1910’ zu sehen, ein Ausflug in die Geschichte der Mode in zwei Akten:
29. September – 16. Dezember 2023
Erster Akt: ‘Breeched: No More Dresses’ erkundet die Zeremonie des Eintritts eines Jungens in die männliche Welt, die nach dem sechsten Lebensjahr stattfindet, indem Kleider zugunsten von Hosen aufgegeben werden, wobei der Schwerpunkt auf den Jahren 1760 bis 1810 liegt.
21. Dezember 2023 – 3. März 2024
Zweiter Akt: ‘Ship Shape’ befasst sich mit der Mode für nautische Kleidung aus den Jahren 1860 bis 1930. Beginnend mit einem Miniaturanzug, den ein Admiral für seinen kleinen Sohn hatte anfertigen lassen, bis hin zu Serge-Anzügen aus Leinen und Wolle, die lose von der Marinekleidung inspiriert sind, alles begleitet von Accessoires.
Info:
29. September 2023 – 31. März 2024
The Fabric of Democracy
29. September 2023 – 3. März 2024
Oh Boy! Boy’s Dress 1760-1910
Fashion and Textile Museum
83 Bermondsey Street
London SE1 3XF
England
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PAPER ALIVE! – Papierkunst International
Das Dresdner Kunstgewerbemuseum, untergebracht im historischen Schloss Pillnitz, und seine Parkanlage stehen derzeit ganz im Zeichen von Papierkunst. Schon seit Ende Juli findet hier die von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH gemeinsam organisierte Ausstellungsreihe ‘Artists’ Conquest 2023‘ statt.
Die vielfältigen Positionen reichen von der wasserbetriebenen Papierdruckmaschine ‘Fortuna Wheel’, die in der Design Campus Summer School unter Future Farmers (USA, Belgien) entstand, über Papierperlenkunst von Sanaa Gateja (Uganda) bis hin zu therapeutischen Gruppenarbeiten des Peace Paper Projects (USA), die Kriegs- und Krisentraumata mittels Papierherstellung thematisieren und für die Ausstellung in Dresden mit ukrainischen Teilnehmerinnen des kolibri e.V. zusammengearbeitet haben.
Sie ergänzt die ab 15. September 2023 stattfindende Ausstellung ‘PAPER ALIVE! – Papierkunst International’ der International Association of Hand Papermakers and Paper Artists (IAPMA), die Kunstwerke aus Papier präsentiert.
Anlässlich des 27. Kongresses von IAPMA, der dieses Jahr von Fides Linien, Bildende Künstlerin und Präsidentin der IAPMA, organisiert wird und in den Räumlichkeiten der Hochschule für Bildende Künste in Dresden stattfindet, zeigt das Kunstgewerbemuseum / Design Campus in Zusammenarbeit mit der IAPMA die Sonderausstellung ‘PAPER ALIVE! – Papierkunst International’ im Wasserpalais von Schloss Pillnitz.
In dieser Ausstellung wird Papier durch 85 Künstlerinnen und Künstler aus 30 Ländern aus aller Welt zu neuem Leben erweckt. Papier erfüllt in unserer Welt eine Vielzahl von Funktionen: Für den flüchtigen Betrachtenden kann Papier ein passiver Einwegstoff sein – etwas, das leicht weggeworfen werden kann, nachdem es seine begrenzte oder vorübergehende Funktion erfüllt hat. Für Kunstschaffende ist die Langlebigkeit von Papier von entscheidender Bedeutung, da sie die Lebensdauer eines Kunstwerks bestimmt. Deshalb heisst es dieses Jahr auf dem IAPMA-Kongress und auf Schloss Pillnitz: ‘PAPER ALIVE!’
Die in der Ausstellung präsentierten Kunstwerke zeigen Papierkunst als eigenständige Kunstform und, dass Papier ein lebendiges, reaktionsfähiges Medium ist. So widersetzt es sich den Erwartungen und verwandelt sich in komplexe zwei- oder dreidimensionale Gebilde, Künstlerbücher, Schmuck, Textilien und Mode oder Installationen, in Umwelt und Performance – in eine Erfahrung für alle Sinne.
Die hier ausgestellten zeitgenössischen Kunstwerke stehen dabei im Dialog mit Werken aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums und lassen somit zeitlose Verbindungen und Inspirationen in Bezug auf das Medium Papier sichtbar werden.
Auf nachhaltige, künstlerische Herstellungsprozesse von Papier verweist auch die parallel im Kunstgewerbemuseum gezeigte Ausstellung ‘Pflanzenfieber. Botanik, Mensch, Design‘ .
Weitere Fotos sind auf den verlinkten Websites zu finden!
Info:
15. September – 29. Oktober 2023
PAPER ALIVE! – Papierkunst International
Schloss Pillnitz
August-Böckstiegel-Strasse 2
01326 Dresden
Deutschland
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Textile Schätze aus der Abteikirche Sainte-Foy in Conques
Jahr für Jahr wird Santiago de Compostela von tausenden Pilgern regelrecht überschwemmt. Was pandemiebedingt in den letzten Jahren noch zugenommen hat, ist jedoch kein zeitgenössisches Phänomen. Bereits im Mittelalter waren Millionen von Menschen dorthin, zum Grab und den Reliquien des Apostels Jakobus, unterwegs. Ihr Weg führte sie auch an der Abtei Sainte-Foy in Conques vorbei, einer der bedeutendsten Pilgerorte in Frankreich.
Die Beweggründe für eine Pilgerreise mögen sich seither geändert haben, sicher ist, dass wir der Reliquienverehrung den Erhalt wertvoller Textilien aus jener Zeit verdanken. Reliquien, die sterblichen Überreste von heiligen Personen, waren das höchste Gut einer Kirche. Ihnen wurde eine besondere Wirkungsmacht zugeschrieben, weshalb man sie in kostbare Stoffe hüllte und sorgfältig aufbewahrte. Viele solcher mittelalterlichen Gewebe sind nur aus diesem Grund bis heute überliefert.
Das gilt auch für die Abteikirche Sainte-Foy. Dort haben sich im Kirchenschatz zahlreiche Fragmente von Seidengeweben aus dem 8. bis 11. Jahrhundert erhalten, unter anderem der prächtige purpurfarbene Stoff aus Byzanz, der den Schädel der heiligen Fides, französisch sainte Foy, umhüllte. Er wurde zusammen mit dreissig weiteren textilen Schätzen 2019 der Abegg-Stiftung zur Konservierung/Restaurierung anvertraut. Eine Auswahl dieser Gewebe wird nun im Rahmen einer kleinen Sonderausstellung vom 15. September – 12. November in Riggisberg präsentiert.
Weitere Fotos sind auf der Website zu finden.
Auch die Sonderausstellung ‘Das letzte Gewand. Grabfunde aus der Höhle Assi el-Hadath im Libanon’ ist noch bis 12. November 2023 geöffnet. Hier geht es zu meinem Bericht in den Ausstellungstipps April 2023
Info:
15. September – 12. November 2023
Textile Schätze aus der Abteikirche Sainte-Foy in Conques
Abegg-Stiftung
Werner Abeggstrasse 67
3132 Riggisberg
Schweiz
Öffnungszeiten:
täglich: 14 – 17.30 Uhr
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Gabrielle Chanel. Fashion Manifesto
Das Victoria & Albert Museum (V&A) in London zeigt vom 16. September 2023 – 25. Februar 2024 die Ausstellung ‘Gabrielle Chanel. Fashion Manifesto’, die der Arbeit der französischen Modeschöpferin Gabrielle ‘Coco’ Chanel (1883-1971) gewidmet ist. Sie zeichnet die Entwicklung ihres ikonischen Designstils und die Gründung des Hauses Chanel nach, von der Eröffnung ihrer ersten Modeboutique in Paris im Jahr 1910 bis zu ihrer letzten Collection im Jahr 1971.
Mit über 180 Looks, die zum ersten Mal gemeinsam zu sehen sind, sowie Schmuck, Accessoires, Kosmetika und Parfums beleuchtet die Ausstellung Chanels bahnbrechenden Ansatz im Modedesign, der den Weg für eine neue weibliche Eleganz ebnete und weiterhin die Art und Weise beeinflusst, wie sich Frauen heute kleiden.
Grundlage ist die vom Palais Galliera, Modemuseum der Stadt Paris, organisierte 2021 bereits gezeigte gleichnamige Ausstellung, die für das V&A neu konzipiert wurde und neben Looks aus dem Palais Galliera selten zu sehende Stücke aus der Sammlung des V&A und aus den Collectionen des Modehauses in Paris beinhaltet. Zu den wichtigsten Exponaten gehören u.a. Outfits für die Hollywoodstars Lauren Bacall und Marlene Dietrich.
Chanel entwarf in erster Linie für sich selbst. Indem sie Kleidung schuf, die für einen unabhängigen und aktiven Lebensstil geeignet ist, nahm sie die Bedürfnisse und Wünsche der modernen Frau vorweg. In acht Themenbereichen untersucht die Ausstellung Chanels innovative Herangehensweise an Stoffe, Silhouetten und Fertigung und stellt dar, wie sie einen neuen Ansatz, eine neue Struktur für die Mode im 20. Jahrhundert entwickelte.
‘Gabrielle Chanel. Fashion Manifesto’ bildet die Bühne für eine atemberaubende Auswahl einiger der bemerkenswertesten Designs von Chanel aus ihren 60 Jahren in der Modebranche. Ihre berufliche Laufbahn, die Entwicklung ihres Stils und ihr Beitrag zur Modegeschichte werden analysiert. Das ‘Kleine Schwarze’, das Chanel-Kostüm, zweifarbige Pumps, abgesteppte Handtaschen, feiner Modeschmuck sind einige der Dress Codes, die man mit ihr verbindet. Da die Ausstellung in London zu sehen ist, liegt auch ein Fokus auf den britischen Inspirationen, wie z.B. die Verwendung von Tweed und anderen in Grossbritannien hergestellten Textilien.
Der Direktor des V&A, Tristram Hunt, zeigt sich nicht nur über diesen Aspekt sehr erfreut, bietet die Schau über eines der erfolgreichsten Modehäuser überhaupt doch die Möglichkeit, die Ursprünge und Elemente dieses dauerhaften Stils, die die Modeschöpferin vor über einem Jahrhundert erstmals festgelegt hat, zu erkunden.
Miren Arzalluz, Direktorin des Palais Galliera, sagt: ‘Gabrielle Chanel hat ihr langes Leben der Schaffung, Perfektionierung und Förderung einer neuen Art von Eleganz gewidmet … einer zeitlosen Eleganz und einem Stil für eine neue Art von Frau. Das war ihr Modemanifest, ein Vermächtnis, das nie aus der Mode gekommen ist.’
Chanel ist bis heute ein Privatunternehmen und weltweit führend in der Kreation, Entwicklung, Herstellung und dem Vertrieb von Luxusprodukten. Es handelt sich um eine Marke, deren Kernwerte seit jeher auf aussergewöhnlicher Kreation basieren. Als solches fördert Chanel Kultur, Kunst, Kreativität und ‘Savoir-faire’ weltweit und investiert erheblich in Menschen, Forschung, nachhaltige Entwicklung und Innovation. Ende 2021 beschäftigte Chanel weltweit fast 28.500 Mitarbeiter.
Info:
16. September 2023 – 25. Februar 2024
Gabrielle Chanel. Fashion Manifesto
Victoria and Albert Museum
Cromwell Road
London SW7 2RL
England
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Füsun Onur. Retrospektive
Das Museum Ludwig in Köln präsentiert vom 16. September 2023 – 28. Januar 2024 die türkische Künstlerin Füsun Onur mit einer Überblicksausstellung, in der ein Œuvre ins Zentrum gestellt werden soll, dessen Bedeutung in seiner Tiefe noch nicht erfasst ist.
Füsun Onur, 1938 in Istanbul geboren und dort lebend, ist eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Türkei. Zwar ist ihr beeindruckendes und vielseitiges Werk durch regelmässige Beteiligungen an Gruppenausstellungen einem internationalen Publikum kontinuierlich zugänglich gewesen, hat aber bislang keine ausreichende Würdigung erfahren. Vor etwa zehn Jahren richtete ihr Arter, das Museum für zeitgenössische Kunst in Istanbul, erstmalig eine Überblicksausstellung aus. Mit der grossen Retrospektive möchte das Museum Ludwig ihr Werk nun einem breiteren Publikum zugänglich machen.
Aufgewachsen in Istanbul studierte Onur dort an der Staatlichen Kunstakademie von 1956 bis 1960 Bildhauerei inmitten der Umbruchszeit der türkischen Kunstgeschichte in den 1950er und 1960er Jahren. Mit dem Rückgang staatlicher Aufträge für repräsentative Kunst schwand auch die Einflussnahme des Staates. Künstlerinnen und Künstler begannen, sich ein eigenes Umfeld zu schaffen, in dem sie mit neuen Formen experimentierten.
Nach ihrem Abschluss an der Akademie führte sie ein Fulbright-Stipendium zunächst an die American University, Washington D.C., USA, wo sie Philosophie studierte, und dann an das Maryland Institute College of Arts, wo sie ihr Studium der Kunst fortsetzte. Schon während ihres Studiums fühlte Onur sich ermutigt, eine eigene künstlerische Position zu entwickeln und sie verfolgt diesen Anspruch bis heute. Bereits ihr Frühwerk, das sich keiner der Kunstbewegungen jener Zeit zuordnen lässt, vermittelt ihre künstlerische Souveränität. Sie schuf Skulpturen in einer abstrakten, konstruktiven und minimalistischen Formensprache, gepaart mit Witz.
Ein wiederkehrendes Element in Onurs Arbeiten ist ihre Verbundenheit mit Istanbul sowie das Haus ihrer Familie in Kuzguncuk, das sie bis vor Kurzem zusammen mit ihrer 2022 verstorbenen Schwester İlhan Onur bewohnte. Es ist gefüllt mit Mobiliar und Erinnerungsstücken, die in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückgehen. Direkt am Bosporus gelegen dient es Onur als Ausgangspunkt für neue Arbeiten. So verleiht sie der Erfahrung, am Wasser zu leben, in ihren Werken immer wieder neue ästhetische Formen.
Die Künstlerin nutzt Einladungen zu Ausstellungen dazu, die jeweilige Situation vor Ort zum Ausgangspunkt ihrer Beiträge zu machen. Auf diese Weise entstehen Werke, mit denen sie auf gesellschafts- und kulturpolitische Entwicklungen reagiert. Auf den Malerei-Hype in den 1980er Jahren antwortet sie mit Bildern, die in den Raum hinein erweitert sind.
Ihre Installationen, die grösstenteils im Zuge von Einladungen ins europäische Ausland entstehen, spiegeln in den 1990er und 2000er Jahren kritisch die westlichen Erwartungen. Ihre Werke fordern die Besucherinnen und Besucher auf, ihren eigenen Imaginationen Raum zu geben. Dies gilt insbesondere für solche synästhetischen Installationen, in denen Onur mit aufgereihten Alltagsgegenständen Musik in den Raum überträgt. Ihr Beitrag ‘Once Upon a Time’ 2022 im Türkischen Pavillon auf der Biennale von Venedig brachte sie wieder verstärkt in die öffentliche Wahrnehmung. Die grossformatige Installation besteht aus miniaturhaften, aus Draht handgefertigten Figuren, die in eine Fantasiewelt einladen.Die Ausstellung im Museum Ludwig umfasst 94 zum Teil raumfüllende Installationen aus den letzten sechzig Jahren. Zusätzlich hat Onur für ihre Retrospektive eine neue grosse Rauminstallation geschaffen. Blau ist eine immer wiederkehrende Farbe in Onurs Werk und das Leitmotiv dieser Ausstellung.
Katalog erhältlich
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit Arter, Istanbul.
Kuration: Barbara Engelbach, (Museum Ludwig), Emre Baykal (Arter)
Info:
16. September 2023 – 28. Januar 2024
Füsun Onur. Retrospektive
Museum Ludwig
Heinrich-Böll-Platz
50667 Köln
Deutschland
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Walde Huth. Material und Mode
Ab 23. September 2023 präsentiert das Kölner Museum Ludwig in seinem Fotoraum Werke der Fotografin Walde Huth (1923–2011), die sich ihr ganzes Fotografinnenleben lang mit Textilien und Stoffen befasste. Alles fing mit Aufträgen für die Samtfabrik Gottlieb Ott & Sohn an.
Dann gelang ihr in den frühen 1950er Jahren der Sprung zur Modefotografin von internationalen Designern des ‘New Look’ wie Christian Dior oder Jacques Fath, für die sie vor allem bekannt wurde. Drei Jahre lang, 1953 bis 1956, reiste sie nach Paris, Florenz und Rom und fotografierte die neusten Kollektionen für deutsche Magazine.
Ihre Modelle waren die Starmannequins ihrer Zeit. Sie liess sie selten in luxuriösen Kulissen posieren, stattdessen aber in der Stadt, umgeben von Passanten. ‘Ich habe das nicht nötig gehabt, diese Rückbezüge von der Örtlichkeit’, sagte sie später, wenn sie Abendkleider eben nicht in der Oper oder in einem Ballsaal fotografierte. ‘Ich habe es linear gesehen, von der Form her, von der Gestaltung her, der Robe.’ Auch wollte sie weg vom süssen Kitsch der dauerlächelnden Modelle. Ihre Bilder sind deshalb sorgfältig komponiert, die Frauen darauf wirken selbstbewusst, die Kleidung wird zur Form, korrespondierend zur Architektur der Stadt.
Das gilt auch für Walde Huths Nylonwäsche- und Teppichwerbung in den 1960er Jahren als sie mit ihrem Mann, dem Fotografen Karl Hugo Schmölz, in Köln das Unternehmen schmölz + huth gegründet hatte. Ihr von Hans Schilling gebautes Wohn- und Atelierhaus Am Südpark in Köln-Marienburg lässt noch heute die Modernität der beiden erahnen.
Ab den 1970er Jahren entstehen dann mehr und mehr abstrakte, künstlerische Fotografien und Super-8-Filme wie die von Gardinen im Wind, betitelt ‘100 ungeschriebene Briefe. Fotografische Modulationen’.
Neben den Stoffen spielen zwei weitere Komponenten in ihren Bildern von Anfang an eine wichtige Rolle: das Licht und die Wahl des Fotomaterials – mal Farbe, mal Schwarzweiss. Erfahrungen in der Farbfotografie hatte Walde Huth schon früh gesammelt, nämlich durch ihre Arbeit in der Agfa Fotofabrik in Wolfen 1943 bis 1945, wo sie etwa die Qualität der neuen Agfacolorfilme prüfte.
Wer die charakterstarke Kölnerin gegen Ende ihres Lebens noch besuchen durfte, berichtet oft von dem Chaos, das in ihrer Wohnung herrschte. Auch ihre Bilder waren Teil des Chaos. In einem Interview äusserte Walde Huth einmal: ‘Ich liebe halt eher Improvisiertes und nicht so Perfektes, Steriles. So glatte Galerien, wo die Fotografien so gehängt werden, das mag ich gar nicht. So kann ein Bild nicht wirken.’
Klar ist, wir wissen noch viel zu wenig über Walde Huth und ihr Werk. Diese Präsentation ist darum eine Annäherung, eine Sichtbarmachung und genauso eine Einladung, Erinnerungen und Wissen zu teilen, Forschungen aufzunehmen zu Kontinuitäten und Brüchen zwischen ihren ersten Jahren als Fotografin für Agfa und ihrer Karriere im Deutschland der Wirtschaftswunderjahre. Anlässlich ihres hundertsten Geburtstags gibt das Museum Ludwig Einblick in seine seit 2017 umfangreich erweiterten Walde Huth Bestände.
Kuratorin: Miriam Szwast
Info:
23. September 2023 – 3. März 2024
Walde Huth. Material und Mode
Museum Ludwig
Heinrich-Böll-Platz
50667 Köln
Deutschland
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Vorschau:
Quiltausstellung des Patchwork- und Quilttreffs Bondorf
Nochmals zur Erinnerung:
Die Mitglieder des Patchwork- und Quilttreffs der VHS Bondorf sind in den letzten sechs Jahren wieder fleissig ihrem Hobby nachgegangen und so möchten sie vom 1. – 3. Oktober 2023 ihre textilen Kunstwerke allen Interessierten aus nah und fern in der Zehntscheuer zeigen.
Highlight der diesjährigen Ausstellung wird das Gemeinschaftsprojekt ’25 + 1′ sein. Da der Patchwork- und Quilttreff sein 25-jähriges Bestehen im Jahr 2021 nicht richtig feiern konnte, haben die Mitglieder das Silberjubiläum mit einem Jahr Verspätung textil umgesetzt. 25 + 1 Teile und dazu noch etwas Silber ergaben eine interessante Mischung von Techniken und Stilrichtungen. Lassen Sie sich überraschen!
Info:
Hindenburgstrasse 92
71149 Bondorf
Deutschland
1. – 3. Oktober 2023: 11 – 17 Uhr
So, 1. Oktober 2023, 12 Uhr
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… und dann gibt’s noch:
Ausschreibung:
SCYTHIA 15
Ausstellung und Konferenz
Die 15th International Biennial of Textile & Fibre Art ‘SCYTHIA’ findet vom 4. – 18. Juni 2024 in Ivano-Frankivs’k, Ukraine, statt.
Teilnehmen können Künstler*innen, Designer*innen und Kunstkritiker*innen aus der ganzen Welt, die in verschiedenen Techniken der Textilkunst und Fiberart arbeiten. Jede Teilnehmerin / jeder Teilnehmer kann zwei Werke einreichen, zwei- oder dreidimensional gearbeitet, bis zu 3 x 3 x 3 Meter. Die drei besten Kunstwerke werden mit Medaillen ausgezeichnet. Für die Ausstellung Mode-Design können drei Kleidungsstücke eingereicht werden.
Die Veranstaltung umfasst:
4. – 18. Juni 2024: Internationale Biennale Textilkunstausstellung
4. Juni 2024: Ausstellungseröffnung
5. – 6. Juni 2024: Konferenz (2 Tage, Online Event)
Sollte es die Situation in der Ukraine erlauben, wird die Konferenz live stattfinden einschliesslich Modenschau und Master Classes von Ukrainischen Spezialist*innen.
Deadline / Einsendeschluss: 1. Februar 2024
Teilnahmeformular unter:
scythiatextile(at)gmail.com – bitte (at) durch @ ersetzen
Gründer und Organisatoren:
Ludmila Egorova und Andrew Schneider (Mitglieder des Künstlerverbandes der Ukraine)
Anastasia Schneider
Weitere Info:
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Frankfurt und die Region RheinMain werden ‘World Design Capital’ 2026
Die ‘World Design Organization (WDO)®’ mit Sitz in Montreal, Kanada, hat in einer Videokonferenz am 12. September 2023 bekannt gegeben, dass Frankfurt und die RheinMain Region den weltweit angesehenen Titel ‘World Design Capital®’ 2026 erhalten werden.
Neben Riad, Saudi-Arabien, war Frankfurt RheinMain mit dem Thema ‘Design for Democracy. Atmospheres for a better life’ unter den zwei Finalisten, die das internationale Komitee der WDO aus allen Kontinenten ausgewählt hatte und hat sich gegen die Konkurrenzstadt durchgesetzt.
Bei der Jahreshauptversammlung ‘World Design Assembly™’ der WDO in Tokio, Japan vom 27. bis 29. Oktober 2023 wird der Titel an Frankfurt RheinMain feierlich verliehen. Im ersten Quartal 2024 findet die ‘World Design Capital Signing Ceremony’ statt, bei der das ‘Host City Agreement’ offiziell unterschrieben wird. Dies ist der Startpunkt für ‘World Design Capital’ 2026.
Weitere Info:
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Bitte informieren Sie sich vor einem Ausstellungsbesuch auf der jeweiligen Website besonders über die tagesaktuellen Besuchsregelungen und die Öffnungszeiten – es kann sich immer etwas ändern.
Weitere Ausstellungen finden Sie auf meiner Website in der Rubrik AUSSTELLUNGSKALENDER.
Den verschiedenen Beteiligten herzlichen Dank für das Zur-Verfügung-Stellen von Informationen und Bildmaterial!
Gudrun, du bist ein Schatz! Tolle Bilder, da freue ich mich schon auf die in Dresden! Ich habe mich im letzten Jahr richtig in die Kunst verliebt und versuche mir eine eigene nette Kollektion aufzubauen. Habe mir bei Zimmermann & Heitmann erst letztens ein ganz filigranes Bild gekauft. Dafür suche ich immer Inspiration und war jetzt schon auf diversen Kunstausstellungen.Die viktorianischen Hochzeitskleider haben es mir aber auch angetan, habe ich gleich an meine Tochter weitergeleitet. Man weiß ja nie.
halli hallo ursula,
herzlichen dank für deinen freundlichen kommentar. freut mich sehr über deine begeisterung zu lesen – kunst ist doch einfach klasse!
beste grüsse
gudrun
Liebe Gudrun,so viele schöne Bilder! London werde ich nicht schaffen – aber Dresden und Köln lasse ich mir nicht entgehen. Vielen Dank für diese Kunsttipps!Mit Grüßen aus MünsterBirgit
halli hallo birgit,
ein grosses dankeschön an dich! da hast du dir ja was vorgenommen, beneidenswert!
georgia vom newham college (= fashion & textile museum) und ich haben auch schon gewitzelt, wer wem den flug nicht bezahlt 🙂
dir also schöne kreative entdeckungen und
beste grüsse
gudrun
DANKE DANKE DANKE liebe gudrun, das ist ja wieder mal sooo super, was du da alles präsentierst! es ist ein montagvormittag, da kann ich mich nicht weiter reinvertiefen, aber als erstes werde ich mich mit dem toile de jouy beschäftigen: das ist doch bestimmt ein huet-entwurf – mein momentaner zeitfresser!!! alles total interessant, das ganze “kleinzeug”, die wunderschönen modeaufnahmen usw.usw., und dann auch noch PAPIER – das gibt wieder lange nachtstunden! eine gute woche + liebe grüße – von uschi
halli hallo uschi,
vielen lieben dank zurück! freut mich sehr, dass es bei dir ein ‘volltreffer’ geworden ist 🙂
viel spass beim weiteren recherchieren.
beste grüsse
gudrun
Liebe Gudrun,auch ich bedanke mich für die ausführlichen Beschreibungen und schönen Bilder aus Boston.Herzliche GrüßeErika
halli hallo erika,
1000 dank auch an dich, die du immer positiv kommentierst. das geht mir runter wie öl 🙂
ein schönes wochenende und
beste grüsse
gudrun
Hallo Gudrun,sehr schöne Fotos aus Boston und ein interessanter Bericht. Danke auch für die weiteren Informationen, wie immer gut zu lesen und anzuschauen.Viele GrüßeBirgit
halli hallo birgit,
ganz herzlichen dank für deine lobenden worte, über die ich mich sehr freue! es ist doch immer schön, wenn alles gut ankommt 🙂
ein schönes wochenende und
beste grüsse
gudrun