Achtung, bevor du in diesem Artikel weiter liest, gibt es eine kleine Warnung vorab:
In diesem Artikel stecken: Ein paar ironische Bemerkungen, ein wenig Spaß, ein Funken Ernst, meine eigenen Erfahrungen, ein paar hilfreiche Tipps und zu guter letzt ein paar technische Details.
Als ich vor ein paar Wochen während meiner Entdeckungsreise an den Babyquilts saß und meine ersten Nähte nähen wollte, wollte meine geliebte BERNINA 570 QE leider nicht so wie ich und fraß den Stoff am Nahtanfang fröhlich in sich hinein. Dieses Phänomen – ich habe es Stoffhunger getauft – kannte ich so von meiner alten BERNINA 550 QE gar nicht. Leicht frustriert hätte ich eigentlich aufgeben können, aber dann wären weder beide Babyquilts fertig geworden, noch hätte ich jetzt ein paar hilfreiche Sofortmaßnahmen und Tipps für euch auf Lager.
Bevor ich euch aber nun die Gründe, Sofortmaßnahmen und Tipps gegen Stoffhunger erläutere, muss zunächst das Phänomen Stoffhunger definiert werden:
Definition Stoffhunger
Stọff · hụn · ger, Substantiv [der]
- Das Gefühl einer Nähmaschine, das durch das Bedürfnis nach Stoff hervorgerufen wird.
- Die plötzliche Lust der Nähmaschine, ein bestimmtes Nahrungsmittel – in unserem Fall Stoff – zu essen.
- Ein Mangel an Nahrungsmitteln – in unserem Falle Stoff.
- Die Sehnsucht der Nähmaschine nach Stoff.
In unserem Falle ist Stoff definiert als: Gewebe, aus dem Kleidung, Quilts, Tücher und allerlei bestehen.
Klare Sache, oder nicht? Also wenn ihr mich fragt, meine Maschine konnte definitiv nicht vernachlässigt gewesen sein und damit konnte keine Sehnsucht nach Stoff existieren, oder vielleicht doch? Wer weiß das schon so genau, was die Maschine so empfindet, schließlich stecken wir ja nicht drin.
Getreu meinem Motto “Geht nicht, gibt’s nicht” hab ich mir ein paar Sofortmaßnahmen im Falle eines akuten Stoffhungers, sowohl bei euch als auch bei mir, überlegt:
Sofortmaßnahmen
1. Ruhig bleiben, sich selbst ein Stück Schokolade als Nervennahrung gönnen (wenn verfügbar dann Schweizer Schokolade) und einmal tief durchatmen. Abhängig von der Tages – bzw. Nachtzeit kann auch ein Kakao oder Tee weiterhelfen.
2. Wappnet euch mit eurer Fadenschere und schneidet zunächst den Oberfaden im Bereich der Nadel durch, um die Nadel zu entlasten. (Dass die Maschine dabei am Besten ausgeschaltet ist, brauche ich nicht zu erwähnen, oder? Schließlich wollen wir nicht aus Versehen eine Nadel im Finger haben. Sollte eure Arbeitsplatzbeleuchtung allerdings nicht ausreichen, empfehle ich die Nadel jetzt zu entfernen und beiseite zu legen sowie das Pedal abzustöpseln. So kann zumindest verhindert werden, dass wir mit unserem Fuß aus Versehen los nähen wollen).
3. Weiterhin mit eurer Fadenschere bewaffnet öffnet, ihr nun die Klappe für die Unterfadenspule. Mit einem gekonnt gesetzten Schnitt trennt ihr den Unterfaden durch.
4. Entfernt nun vorsichtig den in die Stichplatte hineingefressenen Stoff.
5. Entfernt die Spulenkapsel und sämtliche hier zu findenden Fadenreste. Ich hab diese Gelegenheit genutzt und in diesem Moment den Nähstaub gleich mit entfernt und die Maschne geölt. (Wenn ihr schon dabei seid, könnt ihr auch gleich die Stichplatte entfernen, den Nähstaub hier ebenfalls entfernen und das Ölreservoir befüllen. Wie das genau geht, zeigt euch der Nähberater oder die Bedienungsanleitung).
6. Rettet den Stoff und trennt den Fadenwust an der gefressenen Stelle vorsichtig auf und bügelt ihn ordentlich.
Nachdem wir diese Sofortmaßnahmen durchgeführt haben, gönnen wir uns ein zweites oder drittes Stück Schokolade für die Nerven und ergründen die Ursache für den Stoffhunger.
Gründe und Ursachen
Wenn wir die Sehnsucht, die Mangelernährung und die Vernachlässigung der Maschine außen vor lassen, dann könnten noch einige technische Details zu Stoffhunger führen.
1. 9mm Stichbreite:
Maschinen mit einer Stichbreite von 9mm haben ein größeren Stoffhunger als Maschinen mit einer 5,5mm Stichbreite. Dies begründet sich schlicht und einfach in dem größeren Stichloch in der Stichplatte.
2. Nadel:
Die Nadel kann eine Fehlerursache sein. Untersucht die Nadel, ob sie beschädigt ist. Dazu legt ihr die flache Seite des Flachkolbens auf eine Ebene (ich nutze dafür den Freiarm der Maschine) und begutachtet die Nadel, ob sie noch gerade ist.
Auch eine falsch gewählte Nadel kann zu Stoffhunger führen. Ihr solltet euch immer fragen, ob die verwendete Nadel geeignet ist für euer Nähvorhaben. Eine Jerseynadel mit abgerundeter Spitze wäre zum Beispiel für Patchworkarbeiten nicht so empfehlenswert. Genausowenig würde man ja eine 100er Jeansnadel für Seide oder feine Stoffe verwenden. Eine gute Beschreibung, wann welche Nadel geeignet ist, findet ihr hier. Eine praktische Übersicht bietet das Nadel-Büchlein von BERNINA.
Stumpfe Nadeln sind ebenfalls nicht vorteilhaft um Stoffhunger zu vermeiden. Doch wann ist eine Nadel stumpf? Da gibt es die unterschiedlichsten Techniken. Ich richte mich da ganz nach dem Geräusch, welches die Nadel macht, wenn sie in den Stoff eintaucht. Andere testen die Spitze der Nadel an ihrer Fingerkuppe und vergleichen das Gefühl mit einer frischen Nadel.
Mein Tipp an euch: Nicht an Nadeln sparen und lieber eine Nadel eher entsorgen, als im Nachhinein Löcher im Nahtbild durch eine stumpfe oder gar beschädigte Nadel zu haben. Nadeln sind Verschleißmaterial und sollten auch immer so behandelt werden.
3. Garnstärke
Jaaaa… auch die Garnstärke kann Appetit anregend sein. Absteppgarn für Jeans (hier steht mehr zu Garnstärken und deren Kennzeichnung) passen nicht zu feinen Patchworkstoffen – irgendwie logisch, oder?
Die Ursachen wären damit dann schon mal geklärt, was können wir dagegen tun, ist die nächste Frage, bei der wir uns noch ein Stück Schokolade genehmigen können.
Tipps und Tricks gegen Stoffhunger
Regelmäßiger nähen könnte Tipp 1 sein, aber da wir ja Sehnsucht, Mangelernährung und die Vernachlässigung außen vor lassen wollen, beschränke ich mich auf Tipps und Tricks technischer Natur
1. Geradstichplatte verwenden
Das Verwenden der Geradstichplatte ist Tipp Nummer 1. Durch die Geradstichplatte wird das Stichloch immens verkleinert und damit der Stoffhunger stark unterbunden und die Maschine kann sich nicht mehr mit dem Stoff verschlucken. Das ist vergleichbar mit dem Büschel Stroh oder Heu, welches man bei Pferden vorsorglich auf den mit Wasser gefüllten Eimer legt – hastiges Trinken ist damit nicht mehr möglich. Oder auch das Trinken durch einen Strohhalm beim Menschen. Denkt daran im Menü die Geradstichplatte auszuwählen, so warnt euch die Maschine vor nicht zu der Platte passenden Stichen, sprich Zierstichen.
2. Richtige Nadel verwenden
Achtet auf die Wahl der richtigen Nadel für euer Projekt. Ich tendiere bei feinen Patchworkarbeiten eher zu einer 70er Nadel.
3. Garnstärke beachten:
Achtet auf die richtige Garnstärke. Mein Standardpatchworkgarn ist ein 120er Garn.
4. Nicht am Stoffanfang anfangen:
Wenn möglich platziert die ganze Füßchensohle auf dem Stoff, so kann sich der Stoff nicht mehr so leicht im Stichloch verfangen. Ist dies nicht möglich, dann müsst ihr Tipp 5 nutzen
5. Läppchen oder Vlies verwenden:
Wenn ihr unbedingt am Stoffanfang anfangen wollt, dann legt euch ein Läppchen vor euren eigentlich zu nähenden Stoff. Alternativ könnt ihr auch ein Stück ausreißbares Stickvlies unter und vor euren Stoff legen.
6. Handmaß unterlegen
Diesen Tipp von Ute Schneiderherz kann ich auch sehr empfehlen: Ein Handmaß haben wir alle ja beim Nähen griffbereit.
7. Oberfaden und Unterfaden festhalten
Der letzte und womöglich einfachste Tipp: Haltet Ober – und Unterfaden zum Nahtanfang ruhig ein wenig strammer fest, so lauft ihr gar nicht erst Gefahr, dass das Garn Knubbel oder ähnliches bilden will.
Mit all diesen Tipps und Tricks solltet ihr jetzt den Stoffhunger eurer Maschine in den Griff bekommen. Oder habt ihr noch Tipps, was noch gegen den Stoffhunger helfen kann? Dann hinterlasst es mir gerne in den Kommentaren.
Sicherlich wollt ihr noch wissen, was der Grund bei mir war… Man sollte tunlichst vermeiden Patchworkstoffe mit Stretchnadeln zu verarbeiten. In Kombination mit der 9mm-Stichplatte war das dann ein gefundenes Fressen für meine BERNINA 570 QE – im wahrsten Sinne des Wortes. Der Wechsel auf die Geradstichplatte ist mittlerweile bei mir ein fest eingeplanter Nähschritt, ebenso die regelmäßige Kontrolle der Nadel.
Liebste Grüße Dominique
Meine bisherige Entdeckungsreise mit meiner BERNINA 570 QE findet ihr hier:
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Wunderbar beschrieben, musste ordentlich schmunzeln. War eine Freude zu lesen, da oft kein Einzelfall. Irgend einen Fehler macht man immer, bis man wieder weiter machen kann.
Danke sehr. Hoffe auf weitere lustige Beitäge
So toll geschrieben! Musste herzlich lachen. Danke:-) GlG Mirjam